Schrei der Gehetzten

MOH (46): 7. Oscars 1935 - "Schrei der Gehetzten"

In unserer Serie "Matthias' Oscar History" (MOH) bespricht Matthias in jeder Folge jeweils einen der zwischen den Jahren 1929 und 2000 nominierten Oscar-Beiträge aus der Kategorie "Bester Film".

von Matthias Kastl / 12. März 2024

So richtige diszipliniert wirkten die Kadetten auf der Militärakademie in “Here Comes the Navy“ letzte Woche ja nicht. Vermutlich alle darum keine Kandidaten für unsere heutige Armee, mit der niemand anders als der berüchtigte Pancho Villa in “Schrei der Gehetzten“ sein geliebtes Mexiko aus den Händen eines Diktators befreien will.

Schrei der Gehetzten

Originaltitel
Viva Villa!
Land
Jahr
1934
Laufzeit
115 min
Genre
Release Date
Oscar
Nominiert "Outstanding Production"
Bewertung
7
7/10

“Schrei der Gehetzten“ ist ein in manchen Aspekten zwar etwas frustrierender aber meist doch ganz unterhaltsamer Film über das Leben des mexikanischen Revolutionsführers Pancho Villa. Spannend ist hier schon alleine die Produktionsgeschichte, deren Chaos irgendwie perfekt zu dem sehr wild daherkommenden Streifen passt. Die Dreharbeiten in Mexiko standen schnell unter keinem guten Stern, nach dem sich Schauspieler Lee Tracy (der ursprünglich einen Reporter spielte) im alkoholisierten Zustand mit den Teilnehmern einer mexikanischen Militärparade angelegt hatte. Die der Produktion sowieso schon skeptisch gegenüber eingestellte mexikanische Regierung warf das Filmteam daraufhin für einige Zeit aus dem Land, woraufhin das Studio Tracy und kurze Zeit später auch noch weitere Darsteller und Darstellerinnen austauschte. Regisseur Howard Hawks, dessen bisher gedrehtes Material teilweise bei einem Flugzeugabsturz vernichtet wurde, weigerte sich derweil sich von Tracy zu distanzieren und war schließlich ebenfalls seinen Job los. Ersatzregisseur Jack Conway wiederum wurde kaum am Set angekommen krank und musste zeitweise durch William A. Wellman ("Flügel aus Stahl") ersetzt werden.

Klingt ja nicht gerade nach idealen Vorraussetzungen für einen erfolgreichen Film. Doch genau das war “Schrei der Gehetzten“ an der amerikanischen Kinokasse. Geschichtsprofessoren und wohl die gesamte mexikanische Bevölkerung dürften sich aber die Hände über den Kopf zusammengeschlagen haben, angesichts der vielen Freiheiten, die sich der Film mit der Vita des gerade einmal elf Jahre zuvor verstorbenen Nationalhelden nimmt. Immerhin gibt man zu Beginn des Filmes per Texttafel brav zu, dass man im Wesentlichen sich vieles hier einfach ausgedacht hat und sich so seine ganz eigene fiktive Legende bastelt.


Nach dieser ist der brutale Tod des Vaters in den Händen skrupelloser Großgrundbesitzer (historisch nicht korrekt) der Grund für Pancho Villas brutale Rachefeldzüge gegen die Obrigkeit. Zwischen dem ganzen Rauben und Morden bleibt für Villa (Wallace Beery, “Der Champ“) aber immer noch Zeit hin und wieder eine Dorfschönheit zu heiraten (zugegeben, historisch korrekt). Pancho Villas ziemlich farbenfroher Alltag erhält allerdings einen etwas tieferen Sinn, als Villa den gebildeten Revolutionär Francesco Madero (Henry B. Walthall) trifft. Der benötigt Villas Hilfe um die Regierung stürzen, da er zu Gunsten der Unterschicht eine Landreform umsetzen möchte. Charmante Idee, findet Villa, auch wenn er von der Bitte Maderos, dabei doch auf Gräueltaten besser zu verzichten, etwas irritiert ist. Er lässt sich trotzdem darauf ein und schon bald scheint Villa, auch dank den blumigen Schilderungen des ihn begleitenden amerikanischen Reporters Johnny Sykes (Stuart Erwin), zum Retter des mexikanischen Volkes aufzusteigen.

Genauso wie der gute Johnny mit seinen Berichten von Villas Heldentaten erlaubt es sich auch das Drehbuch von “Schrei der Gehetzten“ die historische Authentizität im Film eher hinten anzustellen. So werden wichtige Ereignisse entweder erfunden oder komplett verdreht und die Komplexität der historischen Figuren weicht einfachen und eher klischeebeladenen Porträts. Und natürlich werden alle wichtigen Rollen, egal ob mexikanischer Revolutionär oder feurige Latina, von westlichen Schauspielern oder Schauspielerinnen gespielt. Angesichts der Tatsache, dass der Film sich teilweise aber nicht ganz so ernst nimmt und von Anfang an klar macht, hier nur pures Entertainment und keine Geschichtsstunde liefern zu wollen, sind einige dieser Punkte heute aber halbwegs verzeihbar – gerade im Kontext der Zeit gesehen, in welcher der Film entstand.


Das man Pancho Villa in einigen Szenen allerdings wie einen riesigen Trottel dastehen lässt, der das eigene Land nicht mal auf einer Landkarte erkennt, ist dann doch auch etwas zu viel des Guten. Überhaupt grenzt die Einfältigkeit der Hauptfigur im Film oft schon sehr stark an Lächerlichkeit, da man sich nicht zu schade ist den Ruf des Nationalhelden für simple Gags zu missbrauchen. Damit wollte man wohl Hauptdarsteller Wallace Beery entgegenkommen, der sich als eine Art einfacher Prolet mit großem Herzen damals in vielen leichteren Filmen einen Namen gemacht hatte. Die historisch belegte Brutalität Villas fährt man interessanterweise aber nicht zurück, im Gegenteil. “Schrei der Gehetzten“ ist definitiv der bisher brutalste Beitrag in unserer Oscar-Reihe. Gleich in den ersten zehn Minuten wird man unter anderem Zeuge wie Villa erst als Kind den Mörder seines Vaters ersticht und dann für einen Schauprozess die Leichen unschuldig ermordeter Bauern auf eine Anklagebank setzen lässt – mit anschließender Massenexekution als Zugabe.

Eine derartige Brutalität verbindet man eigentlich eher mit den damals so beliebten Gangsterfilmen, in unserer Oscar-Reihe ist sie aber ein Novum. Wirkt hier aber irgendwie erfrischend kompromisslos – auch wenn das in dem Zusammenhang komisch klingt. So ist der Film ein wilder Ritt, der schon fast komödiantische Aspekte mit immer wiederkehrenden Gewaltausbrüchen kombiniert, was aber irgendwie besser funktioniert als es eigentlich sollte. Vermutlich liegt es daran, dass der eingestreute Humor teils doch ganz nett ist, Wallace Beery genug Verständnis und Sympathie für seine eigentlich problematische Figur generiert und der Film in sehr zügigem Tempo durch seine Geschichte braust. Dabei kommt gerade bei den mit viel Aufwand inszenierten Kampfszenen ein klein wenig das Gefühl von Epos auf – auch wenn mancher Pferdestunt angesichts des Wissens um die damals brutalen Praktiken der Branche einen auch mal kurz zusammenzucken lässt.


Am Ende ist “Schrei der Gehetzten“ zwar ein bunter Mix aus manch kritisch zu betrachtenden Klischees, der gerade aus heutiger Sicht viele Angriffspunkte bietet, doch irgendwie gelingt es dem Film diese zumindest halbwegs ordentlich zu übertünchen. Und wenn diese dann doch mal wieder zu Tage treten, dann lockert ein kleiner Scherz oder eine wilde Kampfsequenz die Stimmung wieder auf. Angesichts des Chaos hinter den Kulissen und drei verschiedenen Regisseuren eigentlich ein kleines Wunder, dass der Film dann doch so kurzweilig geraten ist. Vielleicht ja auch ein kleiner Verdienst von John S. Waters, der für den Film den Oscar als bester Regieassistent erhielt – eine Kategorie, der zwischen den Jahren 1933 bis 1937 nur ein kurzweiliges Leben vergönnt war. So kurzweilig der Film aber auch sein mag, wer echtes Interesse an der Geschichte Mexikos hat sollte dieses aber natürlich besser an anderer Stellte befriedigen.

"Schrei der Gehetzten" ist aktuell leider nicht als DVD auf Amazon in Deutschland verfügbar. Alternativ ist der Film aber auf Youtube zu finden (Suchbegriff: “Schrei der Gehetzten 1934“).

Ausschnitt: Pancho Villa versammelt seine Gefolgsleute.


Ausblick
In unserer nächsten Folge geht es wieder etwas hüftsteifer zu, tauchen wir mit “The Barretts of Wimpole Street" doch in die englische High Society des viktorianischen Londons ein.


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