Schau mich an

Originaltitel
Comme une image
Land
Jahr
2004
Laufzeit
110 min
Regie
Release Date
Bewertung
9
9/10
von Anna Sola / 17. März 2011

 

Lolita (Marilou Berry) hat's nicht leicht, denn sie ist weder besonders attraktiv noch verführerisch wie ihre Namensgeberin. Wenn sich doch mal jemand für sie interessiert, dann nur, weil sie die Tochter des berühmten Schriftstellers Étienne Cassard (herrlich arrogant: Jean-Pierre Bacri) ist. Der wiederum kümmert sich lieber um seine Frau, die so jung ist, dass sie stets für seine Tochter gehalten wird. Dabei wünscht Lolita sich eigentlich nur, dass er ihr einmal beim Singen zuhört. Doch selbst ihre Gesangslehrerin Sylvia (fantastisch gespielt von Regisseurin Agnès Jaoui) gibt ihr nur extra Stunden, nachdem sie erfährt, wer Lolitas Vater ist. Sylvias Mann ist nämlich selbst Schriftsteller und könnte von dieser Beziehung profitieren. Nur Sébastien (Keine Bouza) scheint es wirklich ernst mit ihr zu meinen, aber Lolita ist so verzweifelt und von ihren Problemen besessen, dass sie ihn ständig links liegen lässt. Doch früher oder später muss ja jemand erkennen, dass das "hässliche Entlein" innerlich schon längst ein Schwan geworden ist ….

Agnès Jaoui hat ein Talent dafür, die Dinge so zu zeigen wie sie sind. Geschichten, die das Leben schrieb sozusagen, mit einem guten Ohr für Dialoge. Das fand offenbar auch die Jury in Cannes, die ihr dieses Jahr für "Schau mich an" den Preis für das beste Drehbuch verlieh. Bei den Auseinandersetzungen zwischen den Figuren, besonders zwischen Lolita und ihrem Vater und Sébastien ist der Dialog so treffend, dass man es kaum ertragen kann. Vor allem Bacris Cassard nimmt kein Blatt vor den Mund und entschuldigt sich meistens viel zu spät mit den Worten "ich mach doch nur Spaß". Aber gesagt ist gesagt, wie wohl jeder aus eigener Erfahrung weiß. Und so rutscht man unruhig im Kinosessel rum, während kommunikativ auf der Leinwand alles schief geht, was irgendwie schief gehen kann.
Gelacht werden darf aber trotzdem viel in Jaouis Tragikomödie, nicht zuletzt über die Selbstbesessenheit, die die meisten Figuren gemeinsam haben. Bacris Rolle erinnert an seinen arroganten Geschäftsmann aus "Le Goût des Autres" (unbedingt zu empfehlen!), der notgedrungen jeden Abend ins ihm zunächst verhasste Theater geht, weil er sich in eine Schauspielerin verliebt hat. Sein Schriftsteller Cassard, obwohl innerlich von Zweifeln und einer Schreibblockade geplagt, gibt der Welt täglich zu verstehen, dass "Rücksicht" für ihn ein Fremdwort ist. Die Figur erinnert ein bisschen an Jack Nicholsons Melvin in "Besser Geht's Nicht", der ebenfalls scheinbar unantastbar der Star in seinem Universum ist und es sich so leisten kann, auf den Gefühlen anderer herumzutrampeln.
Diese Eigenschaft entwickelt auch seine Tochter Lolita, die ihm ähnlicher ist als beide zugeben mögen. Vor lauter Selbstmitleid merkt sie gar nicht, dass sie ebenso verletzend wie verletzt ist. Marilou Berry spielt die frustrierte Tochter mit soviel Selbstgefälligkeit, dass man sie wachrütteln möchte, denn schließlich hat sie eine wunderschöne Stimme und wird von Sébastien geliebt. Klassische Musik spielt eine große Rolle im Film und gibt ihm die richtige Stimmung. Herrlich sind die Szenen von der Gesangsprobe, in denen die Sänger mit Kicherattacken kämpfen wie wir damals im Schulchor. Eine der schönsten Szenen ist Sylvias und Lolitas spontanes Singen in einer alten Kirche auf dem Lande, bei der man sich wünscht, einfach hinten in der letzten Bank zu sitzen um ihnen zuzuhören.

"Schau mich an" befasst sich mit der Suche nach dem Glücklichsein und der Frage, ob es möglich ist, sich zu ändern und seiner Situation zu entkommen. Jaoui und Bacri spielen mit den klassischen Klischees und Konflikten zwischen Paaren und Freunden, aber nie so, dass es abgedroschen klingt. Dabei spielen Macht und Einfluss natürlich eine große Rolle. Wer sich vom Erfolg blenden lässt, hat oft das Nachsehen, denn am Ende wird die Überheblichkeit doch bestraft. Da ist zum Beispiel der idealistische Schriftsteller Pierre (Laurent Grévill), der alles aufgibt um ein bisschen Aufmerksamkeit von Cassard zu ergattern und sich zum Schluss auch noch im Fernsehen blamiert. Oder Cassards Frau (die echte "Lolita"), die plötzlich merkt, dass sie zur Barbiepuppe geworden ist.
Wie der Original-Titel schon sagt, gelingt es Jaoui und Bacri, ein faszinierendes Bild der Pariser Gesellschaft zu zeigen, und das mit einer gehörigen Portion französischem Charme und Humor. So gesehen hätte der Film auch "C'est la vie" heißen können.

 
Bilder: Copyright

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