Anno 1998 kam Peter Lichtefelds Filmdebüt "Zugvögel ... Einmal nach Inari" in besonders glückliche Kinos und etablierte schnell einen Ruf als einer der schönsten (und besten) deutschen Filme seines Jahrzehnts. Der spleenige, eigenwillige Charme der deutsch-finnischen Schienen-Odyssee eroberte die Herzen der Zuschauer im Sturm, und nicht wenige wähnten den Grundstein einer großen Regiekarriere vor sich. So ruhig und entspannt, wie Lichtefeld seinen Debütfilm erzählte, scheint er allerdings auch seine Karriere anzugehen, denn bis zum nächsten Kinofilm vergingen mal eben sieben Jahre. Mit "Playa del Futuro" kommt nun endlich der lang ersehnte "Zugvögel"-Nachfolger, der viele positive Eigenschaften mit seinem Vorgänger gemein hat, aber leider nicht ganz so berühren kann.
Der leise Held der Geschichte ist auch in diesem Falle ein einfacher Mann aus einem einfachen Milieu: Jan (Peter Lohmeyer) hätte eigentlich das Zeug und Talent, um ein richtig guter Koch zu sein, doch stattdessen ist er stets den Versprechungen seines Jugendfreundes Rudi (Hilmi Sözer) gefolgt, denn der hatte den Plan: Mit Saufen wird man reich. So eröffneten die Kumpel zusammen mit Rudis finnischer Freundin Kati (Outi Mäenpää) im Arbeiterviertel Köln-Mühlheim die Eckkneipe "Ohne Ende" - und die Träume verschwanden langsam im Zigaretten- und Bierdunst. Bis sich Rudi eines Tages aus dem Staub macht und seinen besten Kumpel mit einem beachtlichen Schuldenberg sitzen lässt. Jan, der schon lange in Kati verliebt ist und die Chance nicht verlieren will, mit ihr endlich ein eigenes Restaurant aufmachen zu können, folgt der Spur des Zechenprellers bis in ein abgelegenes, verschlafenes Bergdorf im spanischen Andalusien, und macht dort die Bekanntschaft von Angie (Nina Petri), die ihren eigenen Lebenstraum von einem Bahnhofscafé verfolgt. Auch Rudi hat in der Gegend große gastronomische Pläne, doch die sind natürlich alles andere als sauber ….
Eines muss man Peter Lichtefeld lassen: Er hat ein untrügliches Auge für brillante Locations, weit ab von den üblichen Trampelpfaden, auf denen alle anderen drehen. Und die typisch finnische, lakonische Trockenheit eines Aki Kaurismäki hat er anscheinend im Blut, denn in seiner Hand kriegt selbst sein andalusisches Setting einen nördlichen Spleen, nur mit vielmehr Sonnenschein: Finnland liegt in Spanien. Auch die Eisenbahn spielt in "Playa del Futuro" wieder eine triftige Schlüsselrolle, ist sie doch der einzige wirkliche Anschluss in das titelgebende Kaff irgendwo im Nirgendwo, und der Bahnhof mit dem Café des Exil-Ungarn László, das Angie kaufen möchte, das meist genutzte Set des Films. Wer ein Freund des finnischen Kinos ist, wird auch an der wundervoll eigenwilligen Stimmung in "Playa del Futuro" seine Freude haben - Lichtefeld untermauert nachhaltig seinen Status als der deutsche Kaurismäki.
Auch sein klischeefreies Figurenensemble trägt zum andersartigen Zauber von "Playa del Futuro" bei, präsentiert Lichtefeld doch wie schon in "Zugvögel" eine bunte Mischung von Charakteren, wie sie in anderen Filmen konsequent übergangen oder nicht beachtet werden - wer anderswo nur ein stummer Statist in der Ecke ist, wird bei Lichtefeld zur tragenden Figur (auch wenn das nicht unbedingt mit mehr Dialog verbunden sein muss). Wie es die Besetzungsliste bereits erahnen lässt, sind hier zahlreiche Veteranen aus "Zugvögel" mit dabei - abgesehen von Joachim Król eigentlich fast die komplette Riege der tragenden Rollen. Eine eingespielte Besetzung für Lichtefelds Charaktere, auf die man sich hoffentlich auch in seinem nächsten Film freuen darf. Angeführt vom wieder mal großartigen Peter Lohmeyer agieren jedenfalls alle hervorragend und lassen die angemessene Zurückhaltung walten, um die Bodenständigkeit ihrer Figuren nicht mit allzu dick aufgelegten Gesten zu verraten.
Ebenso wie bei "Zugvögel" gelingt es Lichtefeld, mit einer recht einfachen Geschichte über einen Jedermann, der für seinen großen Traum die Lethargie des Alltagstrotts verlässt und endlich etwas riskiert, um sein verdientes Glück zu finden, große Wirkung zu erzielen. Genauso bodenständig wie romantisch ist "Playa del Futuro". Eine Mischung, die merkwürdig bis unmöglich erscheint - und genau darin besteht die Kunst des Ganzen. Das Besondere im Einfachen, die kleinen Wunder im Alltäglichen - dies findet Lichtefeld mit sicherem Blick, und macht es auf unnachahmliche Weise sichtbar in Geschichten, die so unmittelbar zu rühren wissen, weil sie sich nicht größer geben als sie sind.
Das einzige, was an "Playa del Futuro" ein bisschen stört, ist die eigentlich zentrale Handlung um Jans Nachforschungen zu Rudis heimlichen Machenschaften. Der etwas bemühte Detektivspiel-Plot kann nie wirkliches Interesse entwickeln und ist eindeutig der schwächste Part in einem Film, der viel zu viele andere schöne kleine Geschichten zu erzählen hat, als sich mit einem solch konventionellen Stück aufzuhalten.
So gelingt "Playa del Futuro" leider nicht ganz das wohlige Rundum-perfekt-Gefühl, dass seinen Vorgänger so einzigartig gemacht hat. Doch auch wenn man Peter Lichtefeld vorhalten kann, dass er inhaltlich wie stilistisch eigentlich gar keine Weiterentwicklung durchgemacht hat: Wenn das Endergebnis weiterhin so grandios beobachtet, leise bezaubernd und wundervoll eigenwillig ausfällt, kann er gerne noch ein halbes Dutzend mal nichts Neues machen. Nur bitte nicht wieder sieben Jahre damit warten.
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