Paradies: Liebe

Originaltitel
Paradies: Liebe
Jahr
2012
Laufzeit
120 min
Genre
Regie
Release Date
Bewertung
7
7/10
von Margarete Prowe / 2. Januar 2013

Oh, welch einen Aufschrei gab es letztes Jahr in Cannes, als „Paradies: Liebe“ von Ulrich Seidl gezeigt wurde: Genitalien! Sexszenen! Und das auch noch mit nackten, dicken Frauen mittleren Alters! Doch wer Seidls Film nur als Moppelmama-Pornografie abtut, liegt weit daneben, denn Seidl entlarvt hier den Postkolonialismus in Afrika am Beispiel des weiblichem Sextourismus der westlichen „Sugar Mamas“ und ihrer jungen, hier kenianischen „Beach Boys“. Das Thema des Sextourismus älterer Frauen mit Geld wurde schon mehrfach filmisch umgesetzt, unter anderem von Laurent Cantet in „In den Süden“ (2005), in dem Charlotte Rampling eine „Sugar Mama“ auf Haiti spielte.

„Paradies: Liebe“ ist der erste Teil einer Trilogie von Filmen über die drei Frauen einer Familie und über ihre Suche nach der Liebe, die Seidl über vier Jahre drehte. Sie sollten ursprünglich ein Film werden, doch teilte er das Materilal schließlich auf in „Paradies: Liebe“, „Paradies: Glaube“ (über die Schwester der Sugar Mama, die sich Gott zuwendet) und „Paradies: Hoffnung“ über die Tochter, die in ein Diätcamp für übergewichtige Jugendliche geschickt wird und dort die erste Liebe erlebt. Der letzte Teil wird auf der Berlinale 2013 uraufgeführt, womit sich der Festivalkreis der Trilogie schließt, nachdem „Paradies: Liebe“ in Cannes und „Paradies: Glaube“ in Venedig gezeigt wurden.

Um noch einmal auf die eingangs genannten Nacktszenen zurückzukommen: „Paradies: Liebe“ ist hochgradig fremdschäm-geeignet. „Sugar Mamas“ heißen die Europäerinnen mittleren Alters, die nach Afrika oder in die Dominikanische Republik fahren und sich „Beach Boys“ suchen, die mit ihnen gegen Geld oder andere Gefälligkeiten Sex haben. Doch die Protagonistin in „Paradies: Liebe“ will sich dazu auch noch geliebt fühlen und erwartet Romantik von dieser Konstellation. Die Absurdität ihrer Wünsche in diesem Arrangement offenbart sich durch die spezifische Methode, mit der Seidl arbeitet. Seidl lässt auf der einen Seite den Film gleichzeitig quasi-dokumentarisch wirken und die Schauspieler ihre Dialoge komplett improvisieren. Dadurch blubbern Sätze hervor, die so politisch unkorrekt sind, aber gleichzeitig in die Situation passen, dass Zuschauer an manchen Stellen verstört nach Luft schnappen. Gleichzeitig nutzt der Regisseur aber seine mittlerweile sogenannten „Seidl-Tableaux“, bei denen es sich um strikt durchkomponierte Einstellungen handelt, in denen Menschen direkt in die Kamera schauen. Hier sind dies zum Beispiel Einzelaufnahmen eines der Beach Boys nach dem Sex, der auf seiner Couch sitzt und nackt raucht, während er die gegenüber auf dem Bett schlafende Sugar Mama betrachtet.

Die Hauptdarstellerin Margarethe Tiesel, die bisher nur an Theatern gespielt hatte, erweist sich in „Paradies: Liebe“ als brillante Besetzungswahl. Ihre naiven Augenaufschläge, ihr watschelnder Gang, ihre natürlichen Sätze und ihre aufrichtige Präsenz vor der Kamera verleihen dieser eigentlich unsympathischen Figur den naiv-komischen Touch und die Kamera folgt ihrem voluminösen Hintern sehr amüsant auf ihrer Liebes-Odyssee durch Mombasa. Die "Beach Boys" sind Laiendarsteller, die diese Tätigkeit auch in ihrem realen Leben ausüben und sie hier fiktionalisiert darstellen.

Doch „Paradies: Liebe“ ist leider schlichtweg zu lang für seinen Inhalt. Die 120 Minuten fühlen sich weit länger an, weil Seidl zum einen Szenen sich sehr, sehr lange entwickeln lässt und dann auch noch viele Szenen im Film ließ, deren Aussage schon an voriger Stelle dem Publikum nahegebracht wurde. Dadurch schmälert sich die Aufmerksamkeit der Zuschauer immer weiter, wenn auch das Fremdschämen durch die mehrfache Wiederholung peinlicher Momente intensiviert wird, denn zur nächsten Nacktszene dauert es in „Paradies: Liebe“ nie lang.

Bilder: Copyright

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