Es lässt sich gar nicht vermeiden, einen Film wie „Nerve“ auf seinen Realitäts- als auch Aktualitätsbezug zu überprüfen. Ein Online-Spiel, bei dem man entweder anderen zuschauen oder selbst ein paar Aufgaben lösen muss? Das einen dazu bringt, sich auf Erkundung durch die eigene Stadt zu machen? Das ist nicht nur theoretisch technisch möglich, sondern bereits Realität. Schon vor der grassierenden Jagd auf gewisse Taschenmonster gab es dafür Spiele wie „Ingress“ und es ist sehr wahrscheinlich, dass zukünftige Variationen der „Augmented Reality“-Spielwelten etwas weniger knuddelig und dafür umso Action-orientierter ausfallen werden. Einen ersten Einblick, wie das wohl aussehen könnte, bietet nun „Nerve“, der Film zum Hype der Reality-Spiele aus der Schmiede der "Paranormal Activity"-Macher.
Darin gibt es in der Schule wie auch auf Partys nur ein Thema: Bist du Player oder Watcher? Stellst du dich selbst immer neuen, verrückten Aufgaben oder treibst du lieber andere dazu an? Vee (Emma Roberts) ist eigentlich nicht der Typ für ein Leben im Rampenlicht und steht daher folgerichtig stets im Schatten ihrer extrovertierten Freundin Sydney (Emily Meade). Doch aktueller Frust bringt sie schließlich dazu, es auch einmal aktiv auszuprobieren, dieses „Nerve“-Spiel. Ihre erste Aufgabe, einen völlig Fremden zu küssen, bewältigt sie problemlos. Und auch als sie anschließend mit ihrer Zufallsbekanntschaft Ian (Dave Franco aus „Die Unfassbaren“) noch weitere Herausforderungen zugeteilt bekommt, entwickelt Vee echten Spaß an dieser Form des Abenteuers. Die werden allerdings zusehends verrückter und gefährlicher, denn das „Spiel“ scheint doch nicht ganz so harmlos zu sein wie gedacht.
Natürlich ist „Nerve“ in erster Linie ein Action- und Unterhaltungsfilm und keine Sozialstudie, daher greift der Realitätsanspruch natürlich auch nur bis zu einem gewissen Grad. Irgendwann verlässt man aber die Ebene des Glaubwürdig-Nachvollziehbaren und muss als Hollywood-Produktion halt auch noch den Popcorn-Faktor bedienen. Daher zerfällt „Nerve“ dann auch in zwei Hälften, wovon die erste die klar stärkere darstellt. Und das nicht nur, weil sie noch recht stark in der Realität verankert ist. Was aber dazu beiträgt, dass man schön mitfiebern und darüber reflektieren kann, wie weit denn wohl jeder selbst gehen und welche Aufgaben er sich zutrauen würde. Oder ob man es sich nicht doch lieber auf dem Sofa bequem machen und andere für ihren Wagemut mit Aufmerksamkeit und Geld belohnen möchte – das Ausleben einer gewissen sadistischen Ader mit eingeschlossen. In einem Kaufhaus sündhaft teure Kleider anzuprobieren, sich nackt durch die Straßen oder unerlaubt schnell auf einem Motorrad zu bewegen – warum nicht? Vor allem, wenn man dabei zusieht, wie die von Emma Roberts höchst sympathisch gespielte Vee anhand dieser für sie völlig neuen Erfahrungen regelrecht aufblüht.
Aber dabei darf es dann natürlich nicht bleiben, es muss eben unbedingt noch kippen in Richtung Lebensgefahr, Irrsinn und äh, gladiatorenartige Arenakämpfe. Dass die Handlung sich immer weiter ins Dramatische steigert, wäre als Genre-Konvention ja auch noch zu akzeptieren, wenn dies denn nicht so überzogen geschehen würde wie es hier aber leider der Fall ist. Das finale Drittel von „Nerve“ gehört mit seinen absurden Wendungen eindeutig in die Kategorie „grober Unfug“ und zerstört in dieser Form dann doch mehr als nur ein wenig den bis dahin positiven Gesamteindruck. Und torpediert damit bedauerlicherweise auch die vorherigen Bemühungen, etwas mehr als nur Augenfutter fürs anspruchslose Teenager-Publikum zu bieten. So bleibt es daher bei ein paar guten Ansätzen und dem für diesen Film äußerst glücklichen Umstand, rein vermarktungstechnisch genau zum richtigen Zeitpunkt herauszukommen.
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