Motherless Brooklyn

Originaltitel
Motherless Brooklyn
Land
Jahr
2019
Laufzeit
144 min
Genre
Release Date
Bewertung
4
4/10
von Frank-Michael Helmke / 7. Dezember 2019

Als der Autor Jonathan Lethem 1999 seinen Roman "Motherless Brooklyn" herausbrachte, war Edward Norton gerade auf dem besten Weg, der größte Schauspieler seiner Generation zu werden. Er hatte da gerade mal in einem halben Dutzend Filmen mitgespielt, schon zwei Oscar-Nominierungen für "Zwielicht" und "American History X" in der Tasche, begeisterte gerade in "Fight Club" und hatte sein Regie-Debüt "Glauben ist alles" im Kasten. Motherless BrooklynEben dieser Edward Norton erwarb damals die Filmrechte an Lethems Roman, was ziemlich gut passte. Denn die Romanhauptfigur war ein Privatdetektiv mit Tourette-Syndrom, und wer damals Nortons aufblühende junge Karriere live mitverfolgte, konnte ihn sich in solch einer Rolle bestens vorstellen. Und dann geschah... erst einmal nichts. Nortons Karriere verlor recht bald den Nimbus des Überirdischen, bis zu seiner nächsten Oscar-Nominierung vergingen über 15 Jahre. Und bis er endlich seine zweite Regie-Arbeit fertigstellte und "Motherless Brooklyn" tatsächlich auf die Leinwand kam, gingen zwei ganze Jahrzehnte ins Land. Warum Norton den Stoff so lange mit sich herumschleppte, ist nicht ganz klar. Ob sich das Warten indes gelohnt hat, ist eindeutig: Definitiv nicht. 

Die Hauptfigur von "Motherless Brooklyn" heißt Lionel Essrog (Norton persönlich), ein Protegé des New Yorker Privatdetektivs Frank Minna (Bruce Willis in einer Rolle, die ungefähr einen Drehtag benötigte). Lionel verehrt seinen Chef und ist ihm treu ergeben, und entsprechend hart trifft es ihn, als er mitansehen muss, wie Frank erschossen wird. Von wem und warum genau, das herauszufinden ist für Lionel nun seine heilige Pflicht. 

Motherless BrooklynDiese Ausgangssituation übernimmt Nortons Verfilmung 1:1 aus Lethems Roman - so ziemlich alles andere hat Norton in seiner Funktion als sein eigener Drehbuchautor geändert und/oder neu erfunden. Was grundsätzlich sein gutes Recht ist - wenn man die Filmrechte an einem Stoff hat, kann man damit ja im Prinzip machen, was man will, eben auch alles komplett umschreiben. Es erweckt allerdings den Eindruck, dass Norton an der ganzen Geschichte eigentlich nur der Aufhänger mit dem Tourette-Syndrom so wirklich interessierte. Was darauf hindeutet, dass "Motherless Brookyln" vor allem eines ist: Das selbstverliebte Ego-Projekt eines Schauspielers, der sich selbst mit einer scheinbar anspruchsvollen Rolle besonders hübsch in Szene setzen will. 

Und hübsch in Szene gesetzt, das ist "Motherless Brooklyn" auf jeden Fall. Markanteste Änderung zur Vorlage ist seine Handlungszeit. Während Lethems Roman zu seiner eigenen Entstehungszeit in den späten 90ern spielte, finden wir uns in Nortons Version nun in den frühen 50er Jahren wieder, und damit in einer Ära, die in Kombination mit dem Beruf "Privatdetektiv" sofort Assoziationen an Hollywoods berühmte schwarze Serie, den "Film Noir" und legendäre Schnüffler wie Sam Spade und Philip Marlowe erweckt. Es ist genau dieses filmhistorische Erbe, an das Norton hier anknöpfen möchte. Doch leider bleibt er dabei an einer allzu sauberen Oberfläche kleben. Sein "Motherless Brooklyn" ist ein im wahrsten Sinne des Wortes hübscher Historienfilm - alles und jeder sieht hier sehr adrett aus, die Straßen sind sauber, die Autos poliert. Und damit fehlt dem Film genau das, was den "Film Noir" essentiell auszeichnete: Ein Gefühl von Schäbigkeit, ein omnipräsenter Hauch des Zwielichtigen. "Motherless Brooklyn" fühlt sich nicht an wie ein "Film Noir", sondern eher wie eine Kostümparty mit dem Motto "Film Noir". Norton spielt hier "schwarze Serie", aber er scheitert daran, sie auch nur ansatzweise wieder zum Leben zu erwecken. 

Motherless BrooklynNortons fruchtlose Bemühungen um etwas Noir-Flair beziehen sich dabei nicht nur auf Handlungsära und Kostümierung, sondern auch auf den von ihm gestrickten Plot um eine nur scheinbar mega-verworrene Verschwörung, die sich bis in die obersten Kreise der (natürlich) korrupten Macht hinaufschraubt. Alec Baldwin darf die Karikatur eines machtbesessenen Immobilienmagnaten geben, in dem das moderne Publikum bitte schön Anspielungen auf Donald Trump herauslesen soll, Rassismus darf als unterliegendes Thema natürlich auch nicht fehlen, und so im ganz Allgemeinen geht es darum, dass die kleinen, ehrlichen Leute stets auf höchst ungerechte Weise von den mächtigen, skrupellosen Reichen verarscht und gefickt werden. So banal, so belanglos. 

Mal pseudo-bedeutungsschwanger, mal möchtegern-stimmungsvoll lässt Norton sich und seinem Film sehr viel Raum, was sich in einer Laufzeit von fast zweieinhalb Stunden niederschlägt, die durch die eigentlich ziemlich dünne Handlung absolut nicht gerechtfertigt wird. Entlang des Weges lässt Norton einen ganzen Haufen unterentwickelter Charaktere links liegen, so wie Lionels drei Detektiv-Kollegen und beste Freunde, die ebenso wie er von Frank Minna ausgebildet und protegiert wurden, hier aber als störender Ballast ratzfatz aus der aktiven Handlung entfernt werden - ob das für sie als Figuren nun nachvollziehbar ist oder nicht.

Motherless BrooklynEbenso unnatürlich fühlt sich auch Nortons Umgang mit dem zentralen Charakteristikum seiner Hauptfigur an, Lionels Tourette-Erkrankung. Die ist hier letztlich nicht mehr als ein Gimmick, das Norton nur einstreut, wo es ihm gerade gut in den Kram passt, gerne auch mal für ein wenig "Comic Relief". In bester "Wasch mir den Pelz, aber mach' mich nicht nass"-Manier will Norton als Schauspieler damit glänzen, wie überzeugend er die ständigen Ticks darstellt, die Lionel heimsuchen, dabei aber immer noch zu jeder Zeit gut aussehen und cool rüberkommen. Die Unkontrollierbarkeit dieser Krankheit ist hier jedenfalls nur behauptet - so richtig störend ist Lionels Tourette für ihn eigentlich nie, und sowieso reagieren die meisten Leute sehr höflich und verständnisvoll auf seine Ticks - was gerade angesichts des Settings in den 50er Jahren, wo noch so gut wie gar keine allgemeine Sensibilität für derartige Erkrankungen bestand, ziemlich unglaubwürdig und geheuchelt erscheint. 

Letztlich wirkt nichts an "Motherless Brooklyn" so richtig überzeugend. Alles ist zu poliert, zu gerade, zu gewollt, und keine der Figuren erreicht jemals die Schwelle zu einem echten, glaubwürdigen Charakter. Da können auch schauspielerische Schwergewichte wie Willem Dafoe wenig ausrichten, auch wenn sich alle im an sich sehr gut besetzten Cast viel Mühe geben darüber hinwegzutäuschen, dass unter der grob gezeichneten Oberfläche ihrer Figuren keine Tiefe mehr lauert.

Der Film scheint sich selbst für unglaublich gewichtig und bedeutsam zu halten, wirkt gleichzeitig aber vollkommen ratlos darüber, was an ihm eigentlich gewichtig und bedeutsam sein soll. Nortons "Motherless Brooklyn" ist nicht mehr als ein Setzbaukasten mit Elementen aus gängigem Historienkino und den konventionellsten Klischees einer typischen Noir-Detektivgeschichte. Es ist alles vielleicht hübsch anzusehen, aber es ist absolut nichts dahinter.   

Bilder: Copyright

ich hätte Edward Norton echt ein erfolgreiches Comeback gegönnt!
Gefühlt kenne ich Norton aus ganz vielen Filmen, aber jetzt wo ich nochmal recherchiert habe finde ich im Grunde nur "Fight Club" und "Der Illusionist", wobei der letztere, wie ich mich erinnere, auch schon etwas an seiner eigenen Prätention den Illusionisten als romantisches Ideal stilisieren zu wollen gekränkelt hat - wenn man die Rezension hier liest fast schon ein vor-Echo auf die Probleme dieses Films.

Andererseits kann es sein, dass mein den "gescheiterter Noir-Krimi"-Unfall ähnlich einem Autounfall, auch glotzen muss.
Schon im Trailer gibt es allerdings einige Dialoge, die seltsam weh tun.
Irgendwann wird der Film mal gestreamt, dann vollziehe ich die Kritik mal nach :D
Im Moment bedanke ich mich für die "Warnung"!

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