Minari - Wo wir Wurzeln schlagen

Originaltitel
Minari
Land
Jahr
2021
Laufzeit
115 min
Genre
Release Date
Bewertung
8
8/10
von Frank-Michael Helmke / 12. Juli 2021

Einer der durchaus positiven Nebeneffekte des vergangenen, so außergewöhnlichen Pandemie-Kinojahres war es, dass bei den großen Preisverleihungen eine Reihe von Filmen in die breite Wahrnehmung gespült wurden, die man dort unter normalen Umständen - mit finanzkräftigen Produktionen aus großen Studios als Gegner - wohl eher nicht gefunden hätte. Das trifft nicht nur auf den "Bester Film"-Gewinner "Nomadland" zu, sondern auch auf die kleine Perle "Minari", die schließlich sechs Oscar-Nominierungen einsackte: für Film, Regie, Drehbuch, Hauptdarsteller, Musik und die letztliche Preisträgerin Yuh-Jung Youn als beste Nebendarstellerin. Und jede dieser Nominierungen war eindeutig verdient.

"Minari" erzählt die sehr intime Geschichte einer koreanischen Einwanderer-Familie, doch anstatt relativ klischierten Plot-Elementen zu folgen (Familie kommt frisch in Amerika an, wird vollkommen vom "Culture Clash" übermannt, doch durch starken Zusammenhalt überwindet sie alle Widerstände und schafft ihren kleinen Durchbruch zum "American Dream" - so in der Art), setzt "Minari" erst an, als seine Immigranten bereits sattsam in der harten Realität angekommen sind: Auf Wunsch von Vater Jacob (Steven Yeun) sucht die Familie nach zehn ernüchternden Jahren in Kalifornien einen erneuten Neuanfang auf dem platten Land in Arkansas.

Jacob will sich eine neue Existenz als Landwirt aufbauen, der asiatisches Gemüse für die immer größer werdende koreanische Immigranten-Gemeinde anbaut. Doch die schwierige finanzielle Situation der Familie und die generelle Unzufriedenheit von Ehefrau Monica (Yeri Han) mit dem Umzug sorgen für Spannungen in der Ehe, die Jacob zu beheben versucht, indem er einwilligt, Monicas Mutter aus Korea zu ihnen zu holen. Mit Oma Soonja (die wie erwähnt Oscar-gekrönte Yuh-Jung Youn) kommt einiges Leben in die Bude, auch wenn der kleine Sohn David (Alan S. Kim mit einer der tollsten Schauspielleistungen eines Kindes in jüngerer Erinnerung) zunächst wenig begeistert von ihr ist, nicht zuletzt weil er sein Zimmer mit ihr teilen muss. 

Das klingt alles nicht nach sehr viel Plot? Stimmt, ist auch so. Denn anstelle von künstlich gebastelter Dramatik geht es Regisseur und Autor Lee Isaac Chung viel mehr um das lebensnahe Porträt dieser Familie, ihren Dynamiken und Konflikten. "Minari" spielt nicht zuletzt auch deshalb in den 1980er Jahren, weil der Film an Chungs eigene Kindheit angelehnt ist - und das spürt man. Viele Szenen durchweht eine Atmosphäre authentischer Erinnerung, die an Alfonso Cuaróns ähnlich gelagertes Meisterwerk "Roma" erinnert - auch wenn "Minari" von dessen inszenatorischer Brillanz dann doch noch ein gutes Stück entfernt ist. Aber nichtsdestotrotz: Die Stärke von "Minari" liegt darin, dass hier jede Szene ganz natürlich, organisch und wie aus dem Leben gegriffen wirkt, nicht wie für ein Drehbuch mit gezielter dramaturgischer Funktion erdacht. 

Große Teile von "Minari" sind eher episodenhaft, kleine Anekdoten aus dem Leben dieser Familie, die dennoch ihre Wirkung haben, ob mit leiser Dramatik, herzlichem Humor oder sanfter Absurdität. Der Film lässt sein Publikum auf besondere Weise in seinen Kosmos eintauchen. Und doch: Obschon die spezifische koreanische Kultur der Familie immer wieder von Relevanz ist (nicht zuletzt durch das titelgebende Kraut, quasi die Petersilie der koreanischen Küche, das die Eigenart hat, in seiner zweiten Saison deutlich stärker zu gedeihen als in seiner ersten - hallo, Metaphorik), gewinnt "Minari" durch die Wahrhaftigkeit seines Familienporträts eine Allgemeingültigkeit, die auch für Mitteleuropäer einiges an Identifikationspotenzial bietet - sei es durch die Schwierigkeiten der Familie, in ihrem neuen Zuhause Anschluss zu finden, die Entwicklung der Beziehung zwischen Oma und Enkel, oder den zerbrechlichen Wunsch von Vater Jacob, seinen Kindern zu beweisen, dass er in der Lage ist, aus eigener Kraft ein erfolgreiches Geschäft aufzuziehen. 

Feinsinniger Humor und leise Tragik geben sich hier immer wieder die Klinke in die Hand, und wenn "Minari" gegen Ende dann doch auf einen sehr dramatischen Höhepunkt zusteuert, hat er sein Publikum längst genug eingenommen, dass es mit vollem Herzen dabei ist. Ein gleichsam leiser wie wunderschöner Film, dessen sanfter Fluss so angenehm ist wie das ruhige Rauschen des Baches, an dem Oma Soonja ihr Minari anpflanzt.  

Bilder: Copyright

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