
Als ich meinen Text zu "Kollektiv - Korruption tötet" schrieb, war ich mir verdammt sicher, dass er den Oscar als beste Dokumentation gewinnen würde. Entsprechend baff war ich dann, als letzte Woche bei der Oscar-Verleihung in dieser Kategorie ein Film mit dem reichlich unscheinbaren Namen "Mein Lehrer, der Krake" gewann - ein Werk, das mir seit Monaten beim Blättern durchs Netflix-Sortiment immer wieder angezeigt und von mir ebenso regelmäßig ignoriert worden war. Nun wurde es dann doch Zeit, das zu ändern. "Mein Lehrer, der Krake" hatte sich mit Nachdruck in meine Aufmerksamkeit gedrängt. Und was soll ich sagen: Ich bin froh drüber. Und ich kann auch die Entscheidung der Oscar-Akademie verstehen.
Im Gegensatz zu seinen mächtigsten Konkurrenten um den Doku-Oscar hat dieser Film ein nahezu lächerlich kleines Thema: Ging es anderswo um die Korrumpierung eines ganzen Gesundheitssystems ("Kollektiv"), um die Geburt und Geschichte der politischen Organisation körperlich Behinderter ("Sommer der Krüppelbewegung", ebenfalls auf Netflix zu sehen und sehr empfehlenswert) oder die Auswirkungen des ungerechten amerikanischen Justizvollzugs ("Time", auf Amazon Video zu sehen), so spielt "Mein Lehrer, der Krake" auf einem kaum 200 Meter breiten Stück Algenwald und befasst sich mit nichts weiter als der Beziehung zwischen einem Menschen und einer Krake.

Der Dokumentarfilmer Craig Foster steckte mitten in einer Lebens- und Schaffenskrise, als er sich als Gegenmittel auf die Freuden seiner Kindheit besann und vor der Küste seiner südafrikanischen Heimat auf regelmäßige Tauchgänge ging. Dort entdeckte er eine Krake, und entwickelte solch eine Faszination für dieses einzelne Tier, dass er ein ganzes Jahr lang Tag für Tag an denselben Ort zurückkehrte, um die Krake zu besuchen und sie und ihre Lebenswelt immer besser kennenzulernen. Dabei hielt er so ziemlich alles mit seiner eigenen, hochprofessionellen Videoausrüstung fest, woraus dann wiederum zwei seiner Kollegen diesen Film machten, in dem Foster als durchgängiger Erzähler der Ereignisse fungiert.
Was zunächst klingt wie eine simple Tier-Doku, ist weit mehr als das. Auch und vor allem, weil Foster sein Subjekt mit einer Ausdauer und Hingabe beobachtete, die wohl einmalig ist. Tatsächlich entdeckte Foster während seiner Zeit mit der Krake Verhaltensweisen und Überlebensstrategien dieser Spezies, die der Wissenschaft bislang vollkommen unbekannt waren. Und tatsächlich kommt man auch selbst beim Zuschauen teilweise kaum aus dem Staunen heraus, was sich da vor der Kamera für ein unbestreitbar intelligentes Verhalten seitens der Krake offenbart. Kaum weniger faszinierend ist indes die quasi-freundschaftliche Beziehung, die Foster mit dieser Krake entwickelte. Und die enorme Zutraulichkeit, die hier eindeutig von beiden Seiten entstand, ist die wohl ungewöhnlichste Mensch-und-Tier-Beziehung, die je filmisch dokumentiert wurde.

Es ist wahrlich außergewöhnlich, wie schnell man in diesen Film eintaucht (Wortspiel nicht beabsichtigt), und wie rasch man ähnlich wie Foster emotional in das Schicksal dieser Krake involviert ist, die im ewigen Rhythmus der Natur in permanenter Gefahr lebt, zum Opfer ihrer Fressfeinde zu werden. Es ist gerade diese persönliche Involviertheit, die diesen Film tatsächlich einmalig macht - man hat wohl noch nie in einem Film so sehr mit solch einem exotischen Tier mitgefühlt. Und man wird es wohl auch nicht so bald wieder tun.
Das einzige, was an "Mein Lehrer, der Krake" massiv aufstößt, ist sein deutscher Titel - denn es wird durchgängig, immer wieder und mehr als deutlich betont, dass der tierische Protagonist eine "Sie" ist. Ein Lapsus, für den der Film selbst aber natürlich nichts kann. Und der ist so ziemlich über jede Kritik erhaben. Ein höchst originelles und einmaliges Thema, eingefangen mit noch nie gesehenen, beeindruckenden und fesselnden Bildern, erzählt auf offenherzig emotionale Weise. Ein wahres Kleinod von einem Dokumentarfilm, in den man sich einfach verlieben muss - und trotz all seiner unbestreitbaren Wirklichkeit eine willkommene kleine Flucht in eine andere Welt und weg aus unserer gerade allzu bedrückenden Realität. Mehr als nachvollziehbar, dass die Oscar-Akademie sich letztlich hierfür entschieden hat.
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