Frankreich, 1789. Das Volk hungert, der Adel am Hofe Ludwig XVI. in Versailles kann zwischen 80 verschiedenen Dessert-Sorten wählen. Im Juli entlädt sich der Zorn dieser „99 Prozent“ im Sturm auf die Bastille und gibt damit den Startschuss für die Französische Revolution. Köpfe sollen rollen. Zuallererst der von Ludwigs Gemahlin Marie Antoinette (Diane Kruger). Was vor den Toren von Versailles in Paris tatsächlich vor sich geht, hören Hofstaat und Dienerschaft nur bruchstückhaft. Um zu erfahren, wie real die Bedrohung durch die hungernden Massen tatsächlich ist, braucht es gute Kontakte. Die junge Sidonie Laborde (Léa Seydoux) verfügt als Vorleserin der Königin über solche. Aus der Perspektive der glühenden Verehrerin Marie-Antoinettes erleben wir drei heiße Juli-Tage der beginnenden Französischen Revolution.
Sidonie bewohnt eine karge Kammer im weitläufigen Gemäuer von Versailles. Sie und ihre Kollegen wuseln wie in einem Paralleluniversum zu der prunkvollen Welt des Königs durch kalte, kahle Gänge, die hinter den Wänden der königlichen Salons und Kabinette wie ein Bienenstock verlaufen. Der Hof von Versailles ist ein eigener Mikrokosmos. Adlige tun alles, um sich im Zentrum der Macht aufhalten und dem Herrscher nahe sein zu können. Die Besitzer prächtigster Schlösser bewohnen hier sogar „Rattenlöcher“, wie der höfische Geschichtsschreiber Jacob Nicolas Moreau (Michel Robin) abfällig bemerkt, nur um sich im Glanz des Königs zu sonnen. In der Küche ist der Tisch jedoch auch für die Angestellten reich gedeckt, sodass die Not außerhalb Versailles für sie irreal bleibt. So auch für Sidonie, die sich völlig dem Dienen ihrer launischen Herrin hingibt. Sidonie kennt die literarischen Vorlieben der Herrscherin, sieht sich zusammen mit ihr Modemagazine an und wird in einem schwachen Moment sogar zu ihrer Vertrauten: Angesichts der politischen Ereignisse liegen Marie-Antoinettes Nerven blank, sie plant die Flucht nach Metz und gesteht Sidonie ihre Leidenschaft für Gabrielle de Polignac (Virginie Ledoyen).
Dass die Königin ein Faible für die schöne Duchesse hat, ist in Frankreich ein offenes Geheimnis und ein Grund für den Volkszorn – verschlangen der luxuriöse Aufenthalt von Gabrielle und ihrer Familie am Hofe doch astronomische Summen. Die schöne Gabrielle ist es auch schließlich, deren Leben sich schicksalhaft mit dem von Sidonie verbindet. Ludwig XVI. durchkreuzt mit seiner Entscheidung, in Versailles bleiben und nach Paris reisen zu wollen die Fluchtpläne Marie-Antoinettes. Während am Hof eine Stimmung von Chaos und Aufbruch herrscht – viele der Günstlinge und Diener flüchten bei Nacht und Nebel aus Versailles – muss Marie-Antoinette angesichts der drohenden Gefahr an der Seite ihres Königs am Hof verweilen. Die Königin will jedoch auf jeden Fall das Leben ihrer geliebten Gabrielle retten und verlangt dafür ein unerhörtes Opfer von der treuen Sidonie...
Auch wenn „Leb wohl, meine Königin!“ durch Parallelen zum arabischen Frühling und der teils revolutionären Stimmung der Occupy-Bewegung durchaus aktuelle Züge aufweist und einen interessanten Einblick in revolutionäre Bewegungen in der Prä-Web-2.0-Ära gibt, lässt der Film den Zuschauer doch seltsam unberührt. Die schwärmerische Ergebenheit einer jungen Dienerin für ihre launische, im Luxus schwelgende Herrin ist nur schwer nachvollziehbar. Dies liegt sicher auch an der historischen Figur Marie-Antoinette, der Diane Kruger kein Leben einhauchen kann. Die deutschstämmige, längst international agierende Schauspielerin wirkt in erster Linie verkleidet. Eva Green, die ursprünglich für den Part der Königin vorgesehen war, hätte der Figur und damit der Beziehung zwischen Herrscherin und Dienerin vermutlich mehr Konturen und psychologische Spannung verleihen können.
So bleibt „Leb wohl, meine Königin!“ nicht mehr als ein opulent ausgestattetes Kostüm-Drama, das vorwiegend einen Blick hinter die Kulissen des prunkvollen Versailles gewährt. Das aber tat „Vatel“ („Ein Festmahl für den König", 2000) mit Gérard Depardieu in der Hauptrolle als Koch am Hofe Ludwig XIV. auch schon. Wer sich für den Weg aufklärerischer Ideen an einen europäischen Königshof interessiert und eine berührende Liebesgeschichte zwischen einer dänischen Königin und einem deutschen Hofarzt sehen möchte, ist mit dem am 19. April gestarteten, zeitlich ähnlich verorteten Drama „Die Königin und ihr Leibarzt“ in jedem Fall besser bedient.
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