Der „Joker“ ist mit Sicherheit die faszinierendste Schurkenfigur im Superhelden-Universum von DC Comics, wenn nicht gar im Medium Comic generell. Bei mehreren Darstellern, die den Clownprinzen des Verbrechens schon verkörpert haben, überschlug sich die Kritik und sprach von der ultimativen, perfekten Besetzung. So war es einst bei Jack Nicholson, bevor Heath Ledger diese Einschätzung mit seiner Interpretation in „The Dark Knight“ dann doch ein wenig relativierte. Aber auch nach dieser Vorgabe waren viele dann doch wieder elektrisiert als bekannt wurde, dass Joaquin Phoenix sich nun der Figur annehmen wird. Ein Schauspieler , der bekannt dafür ist sich gerne mit Haut und Haaren in seine Rollen zu stürzen und noch nie vor extremen Charakteren zurückgeschreckt ist. Doch auch wenn Phoenix erwartungsgemäß überzeugt, kann der Film das als Ganzes nur bedingt.
Arthur Fleck (Joaquin Phoenix) ist ein im Grunde gutmütiger Typ, dem aber in seinem Leben nur wenig gelingen will. Seinen eher armseligen Job als Werbefigur für eine Agentur, die Clowns vermittelt, übt er zwar mit Engagement aus, wird aber öfter gemobbt und eines Tages sogar von einer Straßengang verprügelt. Seine kranke Mutter erfordert viel Aufmerksamkeit, er bekommt regelmäßig Psychopharmaka verschrieben, bis auch seine Betreuerin schließlich einer Rationalisierung zum Opfer fällt. Als er aus der Situation heraus schließlich zur Waffe greift und drei übergriffige, angetrunkene Anzugträger erschießt, löst das in Arthur jedoch ein unerwartetes Gefühl der Befreiung aus. Nie zuvor fühlte er sich so selbstbewusst und seine Tat löst zudem auch noch eine Bürgerbewegung aus, die sich gegen die Dominanz der reichen Kaste richtet und zu deren Feindbildern der Industrielle Thomas Wayne gehört. Arthur jedoch erregt mit einigen bizarren Auftritten als mäßig witziger Comedian die Aufmerksamkeit seines großen Idols, des Late Night-Gastgebers Murray Franklin (Robert De Niro).
Acht Minuten Standing Ovations bei den Filmfestspielen in Venedig? Man könnte zu dem etwas überraschenden Schluss kommen, dass das dortige Publikum filmhistorisch nicht allzu bewandert ist, denn es ist ja nun wirklich nicht so, dass der frühere „Hangover“-Regisseur Todd Phillips bei seinem Wechsel ins seriösere Fach etwas bahnbrechend Neues präsentieren würde. Sein nicht exakt datierter, aber klar erkennbar in den späten 70er oder frühen 80er Jahren verorteter Film wirkt wie ein Pastiche einiger Klassiker aus dieser Zeit. Denn noch nie war „Gotham“ klarer als New York zu identifizieren, und man stutzt sogar erst mal, wenn irgendwann der Name der Phantasie-Stadt genannt wird. Zu stark sieht das alles nach dem Moloch aus, den wir aus Filmen wie „Taxi Driver“ oder „Ein Mann sieht rot“ kennen.
Womit auch gleich die beiden Filme genannt wären, auf die „Joker“ am stärksten reflektiert. Wie einst Travis Bickle bekommt auch Arthur Fleck hier einen Nackenschlag nach dem anderen verpasst, wird entweder ignoriert oder verlacht und stellt sich auch im Umgang mit dem anderen Geschlecht sehr ungeschickt an. Bis auch er schließlich seinen eigenen, gewalttätigen Weg aus der Bedeutungslosigkeit findet und damit zu einem Medienphänomen mutiert. Und wenn Fleck eher unvermittelt in einem U-Bahn-Wagen in die Auseinandersetzung mit einer Gruppe unangenehmer Typen gerät und dabei die Waffe zieht, dann ist das fast schon eine 1:1-Umsetzung der entsprechenden Charles Bronson-Sequenz, mit dem Unterschied, dass der dabei natürlich nie gelacht hat.
Story und Kamera kreisen dominant um die Entwicklung des Arthur Fleck vom verhuschten, problembeladenen, aber keinesfalls einzigartigen Loser-Typen zu einem, der schließlich heraussticht und Dinge in die Tat umsetzt, die bei anderen nur Phantasie bleiben. Das wird alles höchst schlüssig und nachvollziehbar erzählt, doch genau das ist eben bei dieser Figur kein Kompliment. Denn was den Joker schon immer (und vor allem bei der Verkörperung durch Heath Ledger) so eindrucksvoll und beklemmend wirken ließ, war eben gerade seine Verweigerung der üblichen, stereotypischen Motive. Er war derjenige, der ohne nachvollziehbaren Grund Schrecken verbreitet, der wahllos zuschlägt und tötet und der durch seine Unberechenbarkeit eine Art von Terror erzeugte, gegen die man mit bekannten Erklärungsansätzen und Methoden machtlos war. Und letztlich derart hilflos, dass nur eine mindestens genauso absurde, schizophrene Figur wie Batman sich zu einem ernsthaften Gegenspieler aufschwingen konnte, der eine die jeweilige Nemesis des Anderen. Dieser Widerpart fehlt hier nun komplett, es wird lediglich eine recht konstruierte Beziehung zur Familie Wayne aufgebaut, die zumindest einen vagen Bezug zum Batman-Universum herstellt.
Dieser Joker aber erhält von Beginn an unser Verständnis und unsere Sympathie, ist der Außenseiter, der Freak, dem übel mitgespielt wird und aus dem es halt irgendwann herausbricht. Mysteriös oder erschreckend ist eigentlich überhaupt nichts an dieser Figur, und das muss als Enttäuschung empfunden werden, denn es nimmt ihr fast komplett ihren Reiz. Joaquin Phoenix ist dabei nichts vorzuwerfen, er agiert absolut glaubwürdig und nicht so bemüht überzogen wie etwa ein Jared Leto in „Suicide Squad“ (und im Grunde damals auch Jack Nicholson). Robert De Niro sehen wir immerhin mal wieder in einer etwas seriöseren Rolle, aber wirklich anspruchsvoll ist die des etwas schmierigen Talk Show-Hosts auch nicht und es wirkt eher wie ein PR-Stunt, den Darsteller des „Taxi Driver“ und auch des „King of Comedy“ hier auf der seinen damaligen Rollen genau entgegengesetzten Seite zu besetzen.
Der Ansatz, sich vom bisher sowieso nicht allzu gut funktionierenden, verbundenen DC-Filmuniversum zu lösen und eigenständige Geschichten zu erzählen, die in der Tonalität völlig anders ausfallen, ist sicher nicht verkehrt und bietet mehr Möglichkeiten als das ständige Bemühen, die Marvel-Filme zu kopieren. Und der zweifellos aus der Art der Comicverfilmungen schlagende „Joker“ wird dabei wie es ausschaut auch als großer Kritiker- und Publikumserfolg verbucht werden. Wer etwas genauer hinschaut könnte jedoch zu dem Ergebnis kommen, dass dieser Film weder besonders aufregend noch originell ausgefallen ist. Denn der Kaiser trägt gar keine neuen Kleider, sondern kommt ziemlich nackt daher.
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