Im Himmel, unter der Erde

Jahr
2011
Laufzeit
90 min
Regie
Release Date
Bewertung
8
8/10
von Patrick Wellinski / 27. April 2011

 

"Es tickt die Uhr. Dein Grab hat Zeit,
drei Meter lang, ein Meter breit.
Du siehst noch drei, vier fremde Städte,
du siehst noch eine nackte Grete,
noch zwanzig-, dreißigmal den Schnee -
Und dann: Feld P - in Weißensee -
in Weißensee."

Kurt Tucholsky "In Weißensee"

Von oben sieht er aus wie einer der vielen Berliner Stadtwälder. Im Sommer dicht, grün und wuchernd. Doch unter den Baumkronen, die die Kamera immer wieder einfängt, liegt ein im wahrsten Sinne geschichtsträchtiger Ort. Hier, in Berlin-Weißensee, befindet sich Deutschlands größter jüdischer Friedhof. Es ist sogar einer der größten in ganz Europa. Die Dokumentarfilmerin Britta Wauer erkundet in ihrem sehr gelungenen Werk "Im Himmel, unter der Erde" die Vergangenheit und Gegenwart des Friedhofs und liefert damit ein einfühlsames Porträt dieses Ortes und der deutschen Geschichte der letzten 150 Jahre.

Der Friedhof ist der Ausgangspunkt für verschiedene menschliche Schicksale, die im Film aufgerollt werden. Eines gehört Harry Kindermann. Sein Vater kam aus Palästina nach Berlin auf Geheiß von Harrys Großvater. Der besorgte Harrys Vater eine Stelle als Fundamentbauer auf dem Friedhof. Für den kleinen Harry bedeutete das, dass er auf dem großen Friedhof aufwuchs. Selbst das Autofahren hat man ihm dort beigebracht. Als der Zweite Weltkrieg ausbrach, wurde der 14-jährige Harry auf dem Friedhof zwangsverpflichtet. Dort verliebte er sich in Marion, seine erste große Liebe. Doch sie wurde deportiert und kam in einem der nationalsozialistischen Konzentrationslager ums Leben. Seine erste Tochter benannte Harry nach ihr.
Oder die Geschichte von Daniel Hakeremz Großmutter, die in West-Berlin verstarb aber in Weißensee (damals DDR-Gebiet) beigesetzt werden sollte. Oder die des Engländers, der unbedingt auf diesem Friedhof beerdigt werden will, aber dazu nicht nur der hiesigen jüdischen Gemeinde beitreten, sondern auch noch einen Verwandten finden muss, der bereits hier beerdigt wurde. Oder die Familie, die jetzt eine freie Wohnung auf dem Friedhofsgelände bewohnt. Oder, oder, oder …
Man könnte stundenlang so weiter erzählen. Britta Wauer hat einen sehr geschmackvollen Film gedreht, der den Friedhof nicht nur als Ort des Todes begreift, sondern vor allem als einen des Lebens. Auf der Berlinale gewann sie dafür ganz verdient den Panorama-Publikumspreis. Ein Zeichen dafür, dass "Im Himmel, unter der Erde" einen Nerv trifft. Ein Film, der auf jeden Fall sein Publikum finden wird. Jetzt im Kino oder schon sehr bald im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, das ihn zum Großteil produziert hat.

"Im Himmel, unter der Erde" behandelt sein Thema würdevoll, ohne sentimental oder belehrend zu werden. Ausgestattet mit einem betörenden Soundtrack würdigt Britta Wauer den größten jüdischen Friedhof mehr als angemessen.

Bilder: Copyright

3
3/10

PRÄDIKAT: FILME WELCHE DIE WELT UND DER KINOGÄNGER NICHT BRAUCHT!

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