Eine romantische Komödie mit zwei jungen, schönen und bekannten Schauspielern, ein Oscar-Preisträger in der Nebenrolle, eine leichtgängige Story - nach den Gesetzen von Hollywood hatte "Gigli" alle Voraussetzungen für einen Kassenerfolg. Doch zum Leidwesen der Studiobosse floppte der Film in den USA, und zwar erbärmlich: Ein im Prinzip nicht existentes Einspielergebnis am ersten Wochenende (es kursierten schon Branchenwitze, der Film sei auf einigen Leinwänden vor einem leeren Saal gelaufen) setzte ihm in Rekordgeschwindigkeit den Todesstoß. Filme lassen sich eben nicht perfekt berechnen, zum Glück, denn da es den Studios nur um den Gewinn geht, sind Ihnen die Interessen des Publikums herzlich egal, die scheinbar endlosen Sequels allein diesen Jahres zeigen es. Doch mit Publicity kann man sich auch verrechnen, denn der grandiose Misserfolg von "Gigli" und seine vorhergehende, spektakuläre Zerfleischung durch fast alle amerikanischen Kritiker (die sich mit Schmährufen gegen den Film fortlaufend überboten), kann anscheinend fast direkt zurückgeführt werden auf eine Überdosis an Promi-Klatsch: Die fortlaufenden Eskapaden um das "Traumpaar" Jen & Ben (Lopez und Affleck), die sich am Set dieses Films verliebten und seitdem aus keiner Schlagzeile mehr weg zu denken waren, gingen dem Publikum bereits ohne Kinobesuch schon genug auf die Nerven. Und wenn man die beiden Hauptdarsteller ohnehin nicht mehr sehen kann, geht man lieber in einen anderen Film. Eine derartige Abstrafung hat "Gigli" - alle Boulevard-Nervereien außen vor - allerdings nicht verdient.
Um einen Menschen, der sich entwickelt, geht es in diesem Film. Und damit um einen ganzen Rattenschwanz von Themen wie das Verhältnis von Männern und Frauen, Mächtigen und Machtlosen, Lebensträume und persönliche Moral. Vordergründig ist "Gigli" jedoch eine Gangsterkomödie: Kleinganove Larry Gigli (Ben Affleck, "Spurwechsel", Pearl Harbour") hält sich für tough, männlich und einen ganz Schlauen. Allerdings spricht niemand seinen Namen richtig, nämlich italienisch (Dschili), aus, und sein Auftraggeber Louis hält ihn für einen Trottel. Gigli erhält von Louis den Auftrag einen Jungen zu entführen, welcher der Bruder eines Mannes ist, der seinem Mafia-Oberboss Starkman (Leinwand-Legende Al Pacino) in New York gefährlich werden kann. Gigli will Louis bei diesem Auftrag beweisen, was für ein toller Hecht er ist - doch sein Vorsatz gerät ins Wanken, als er feststellen muss, dass der Junge Brian (Justin Bartha) geistig etwas zurück geblieben ist und sich nicht aus seiner Behindertenwerkstatt entführen lassen will. Erst als Brian Gigli von "The Baywatch" erzählt, einem wunderbaren Ort, an dem Brian glücklich und wie alle anderen mit einer Freundin leben könnte, sieht Gigli seine Chance und überzeugt Brian, er könne ihn zu "The Baywatch" bringen. Daraufhin schließt sich Brian aufgeregt Gigli an und kommt bereitwillig mit. Zurück in Giglis Wohnung erwartet diesen eine Überraschung: die attraktive Ricki (Pop-Diva Jennifer Lopez) soll, von Louis geschickt, Gigli überwachen, da Louis Gigli den Job nicht zutraut. Brian erweist sich als schwer berechenbar und Ricki als lesbisch und ihm überlegen, und so gerät Gigli bald mächtig ins Schwitzen.
Viele Klischees werden in diesem Film erfolgreich auf die Schippe genommen, sei es nun über Männer, Frauen, Gangster oder Behinderte, und mit viel Sinn für Situationskomik bringt Regisseur Martin Brest ("Der Duft der Frauen", Beverly Hills Cop") die Zuschauer ständig auf intelligente Art zum Lachen.
Unerhört sexy und sinnlich, mit der Körperbeherrschung einer Tänzerin, erklärt Ricki Gigli während ihrer Yoga-Übungen, warum guter Sex eben keinen männlichen Rammbock und keine scheinbar maskuline Härte braucht, und ob dieser überzeugenden Darbietung, eine der besten Szenen des Films, kann Gigli in seiner bisher eindimensionalen Perspektive nur die Waffen strecken vor dieser Frau. J.Lo mag soft-eingängige Popmusik und manchmal auch ebensolche Filme ("Manhattan Love Story", "The Wedding Planer") machen, aber in diesem Film zeigt sie wie schon bei "Out of Sight" ihr Können und ganz nebenbei, dass das Gerede um ihren angeblichen so kräftigen Hintern nichts als der Bullshit einer wahrnehmungsgestörten Filmindustrie ist (wie sie bei "Wetten, dass ..." sagte, hat sie sich denselben auch nicht versichern lassen).
Die Überraschung des Films ist allerdings Justin Bartha. Er ist Absolvent der Tisch School of Arts der New York University. Das war's. Keine Rollen am Theater oder im Fernsehen, geschweige denn im Film. Der Mann ist im Schauspielgewerbe ein Niemand. Und abgesehen vom Altstar Al Pacino ist er derjenige, der einen wirklich tiefen Charakter spielt. Er spielt so anrührend und brillant, mit feinnuancierter Körpersprache und wenigen Worten, dass die Zuschauer innerhalb von Sekunden auf seiner Seite gegen Gigli sind und sich wünschen, dass seine Träume wahr werden. Brian ist oft unfreiwillig komisch, er ist hilflos und wird von Gigli für seine Zwecke missbraucht, doch Justin Bartha spielt Brian so gekonnt, dass dieser nie seine Würde verliert und zwar unfrei ist, aber Gigli trotzdem die Macht auf seine Art entwenden kann.
Die scheinbar liberalen, unter der Oberfläche jedoch strengen Konventionen, die uns alle umgeben und meist fest in den Klauen haben, treten am Beispiel von Brian deutlich zu Tage. Statt eines Behinderten könnte Brian auch einfach irgendjemand sein, der sich nicht die gesellschaftlich-bürgerlichen Normen als Korsett anlegt oder anlegen lassen will. Die Rolle des Brian ist nicht nur die des Opfers und Behinderten, sondern auch eine Parabel dafür, wie Eltern ihre Kinder als Knetgummi für ihre eigenen Vorstellungen missbrauchen und ihnen keinen Raum lassen wollen, wenn diese durch ihr unbekümmertes Tun das immer enger werdende Korsett laufend in Frage stellen. Wer andere in ihrer Andersartigkeit akzeptieren kann, muss keinen festen Rahmen vorgeben, welcher die anderen oft erst klein macht beziehungsweise unfrei lässt. Gigli gestattet sich und Brian immer mehr Raum für das individuelle Dasein und so schafft es Brian, sich aus der Opferfigur zu befreien und einfach nur anders zu sein.
Diese mitmenschlichen und politischen Fragen, die Martin Best neben der Komödie hier aufwirft, befinden sich trotz allem unter der Oberfläche. Dies ist weder "Rain Man" noch "Boys don't cry", sondern eine solide amerikanische Gangsterkomödie mit berechenbarem Ende. Auch wenn der Plot oft platt und die Umsetzung Hollywood-artig seicht und leicht daherkommt: die soliden und teilweise auch sehr guten Darsteller und der punktuelle Tiefgang machen "Gigli" zu einem sehenswerten Film, der sowohl Unterhaltung als auch Charakter anbietet. Eine Mischung, die vielleicht auch den Geschmack der Amerikaner hätte treffen können. Es wird sich zeigen, ob "Gigli" hier im alten Europa etwas wohlwollender aufgenommen wird, oder ob es die Jen&Ben-Allergie auch schon über den großen Teich geschafft hat.
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