Die erste Ehe. Die erste wahrhaft tiefe Beziehung?
Die große, ehrliche Liebe? Der Partner, dem ich vertraue,
den ich respektiere und dessen Schwächen ich ebenso akzeptiere,
wie ich seine Stärken schätze? Ist es so zwischen Dorit
(Maria Simon) und Alex (Nils Nellessen)? Sie sind seit kurzem verheiratet.
Turteln im Bett und spielen das typische Frage-Antwort-Spiel der
Verliebten: "Würdest du mich auch dann noch lieben, wenn
ich keine Arme mehr hätte und keine Beine?", fragt Dorit
voller Erwartungen. "Was willst du eigentlich von mir?",
ist Alex' Fluchtantwort aus dem Bett. Er muss jetzt erst mal Sport
machen....
Spiel
beendet. Willkommen in der Realität; in der einsamen Zweisamkeit.
Hier haben sich Alex und Dorit ihre eigenen, viel grausameren, Spielregeln
aufgestellt. Man hat geheiratet. Vielleicht weil man verliebt war.
Möglicherweise war man einfach scharf aufeinander. Oder schlicht
aus Langeweile. Auf der Hochzeitsfeier waren alle zu besoffen, um
zu erkennen, dass die Heirat ein Fehler sein könnte.
Jetzt ist der Alltag da; die erste Ehe von Dorit und Alex. Und das
Spiel muss weiter gehen. Zumal das Paar zu einer Hochzeitsparty
in seine Berliner Wohnung lädt, die schnell zur Bühne
eines verzweifelten Ehekrieges wird.
Hinter schnellen Küssen und antrainierter Fröhlichkeit
für die eintrudelnden Gäste bröckelt die Fassade.
Alex will sich umbringen - zumindest inszeniert er den Selbstmord
im Badezimmer sehr dramatisch, damit ihm seine Frau mehr Aufmerksamkeit
schenkt. Noch geht Dorit auf Alex ein. Mit theatralischen Dialogen,
gestelzten Worten beruhigen und reizen sie einander abwechselnd:
"Du wolltest dich doch zusammenreißen und das Wort nicht
mehr sagen…" - "Du Fotze!". Noch duldet sie
seine Respektlosigkeiten und holt sich (falsche) Liebeshinweise
aus seinen Eifersuchtsattacken, wenn sie mit fremden Männern
flirtet.
Immer
mehr Freunde kommen. Dorits Freundin Sybille (Silvina Buchbauer);
mit der sie reden kann. Denn Sybille ist eine moderne, verständnisvolle
Frau: Sie hat Karriere gemacht und lebt seit Jahren in einer vollkommen
unbefriedigenden Beziehung ("Schau mich an! Ich hab keinen
Sex und dazu hab ich noch die Krätze."). Heiner (Sybilles
unbefriedigende Beziehung; Marc Richter) wird seinem Kumpel Alex
mit all seiner angetäuschten Männlichkeit, seinen kernigen
Sprüchen und jeder Menge Koks zur Seite stehen.
Auch eine lukrative Geldgeberin wird erwartet. Frau von der Burg
ist Zahnärztin und soll mit ihrem Geld Alex' Filmprojekt finanzieren;
denn Alex ist Regisseur. Zumindest hält er sich dafür.
Illusionen gibt es viele in "Erster Ehe", und sie werden
alle in erschreckender Rigorosität abgeschossen. In den Kampfpausen,
wenn die Gegner ihre Waffen nachladen, bemühen sich die Partygäste
um Smalltalk und Schadensbegrenzung. Markus Fritsch und Martin Dean
versuchen derweil mit ihrer Musik Trost zu spenden. Scheinbar alte,
melancholische Songs, bei denen sich das ‚Traumpaar' vorübergehend
die Wunden lecken kann. Bis sie wieder, wie zwei verzweifelte, böse
Kinder, alles zerstören, dass sie doch eigentlich zu lieben
versuchen; dem sie vertrauen möchten. Beide projiziert ihre
Unsicherheiten, Ängste und ihre Psychosen auf ihr Gegenüber,
dass sie in selbstzerstörerischer Wut attackieren. Um ihrem
eigenen Ich zu beweisen, dass sie am Leben sind (vielleicht sogar
liebenswert -und fähig), gibt es keine Pausen und keinen Kompromiss
zwischen Dorit und Alex: Ohne Unterlass, von Szene zu Szene steigernd,
hinterfragen sie einander; testen sich und stellen sich Fallen.
Öffnen und verschließen sich; quälen sich und den
Anderen. Zerfleischen sich vor ihren Gästen als wären
sie ihr Publikum. Menschen, die später bezeugen könnten,
dass dies nicht nur eine schlechte Vorstellung von "Who's afraid
of Virginia Wolf?" war.
Wahrhaft
zerstörerisch diese "Erste Ehe"; in all ihrem verzweifeltem
Sehnen, ihren ausgelebten Süchten und Aggressionen. Das die
weitverbreitete Illusionslosigkeit unserer Generation ein großes
Thema ist, und sich Maria Simon darin, mit ihrem kraftvoll-verzeifelten
Spiel, wahrhaftig die Seele aus dem Körper reißt, steht
außer Frage (Max-Ophüls-Preis als beste Nachwuchsdarstellerin).
Hinterfragt werden sollte aber, ob Isabelle Stevers erstes Kinowerk
zu recht den Nachwuchspreis First Steps Award 2002 bekommen hat.
Ist die Jury hier vielleicht dem bekannten Award-Trend verfallen:
Wo ‚authentisch' geliebt, gehasst, gekokst, geschlagen und
vielleicht noch gesungen wird, dass ist auch (in Deutschland) einen
Preis wert?
Ein sehr mutiger aber desillusionierender Film. Wie die Regisseurin
Isabelle Stever über ihr Werk sagt: "Es scheint so, als
könnten Dorit und Alex sich nur für wenige, sehr wertvolle
Sekunden in Frieden lieben, wenn einer von beiden ohnmächtig
oder beinahe tot ist."
Originaltitel
Erste Ehe
Land
Jahr
2003
Laufzeit
90 min
Genre
Regie
Release Date
Bewertung
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