Erste Ehe

Originaltitel
Erste Ehe
Jahr
2003
Laufzeit
90 min
Genre
Release Date
Bewertung
7
7/10
von Nadja Raweh / 8. März 2011

Die erste Ehe. Die erste wahrhaft tiefe Beziehung? Die große, ehrliche Liebe? Der Partner, dem ich vertraue, den ich respektiere und dessen Schwächen ich ebenso akzeptiere, wie ich seine Stärken schätze? Ist es so zwischen Dorit (Maria Simon) und Alex (Nils Nellessen)? Sie sind seit kurzem verheiratet. Turteln im Bett und spielen das typische Frage-Antwort-Spiel der Verliebten: "Würdest du mich auch dann noch lieben, wenn ich keine Arme mehr hätte und keine Beine?", fragt Dorit voller Erwartungen. "Was willst du eigentlich von mir?", ist Alex' Fluchtantwort aus dem Bett. Er muss jetzt erst mal Sport machen....
Spiel beendet. Willkommen in der Realität; in der einsamen Zweisamkeit. Hier haben sich Alex und Dorit ihre eigenen, viel grausameren, Spielregeln aufgestellt. Man hat geheiratet. Vielleicht weil man verliebt war. Möglicherweise war man einfach scharf aufeinander. Oder schlicht aus Langeweile. Auf der Hochzeitsfeier waren alle zu besoffen, um zu erkennen, dass die Heirat ein Fehler sein könnte.
Jetzt ist der Alltag da; die erste Ehe von Dorit und Alex. Und das Spiel muss weiter gehen. Zumal das Paar zu einer Hochzeitsparty in seine Berliner Wohnung lädt, die schnell zur Bühne eines verzweifelten Ehekrieges wird.
Hinter schnellen Küssen und antrainierter Fröhlichkeit für die eintrudelnden Gäste bröckelt die Fassade. Alex will sich umbringen - zumindest inszeniert er den Selbstmord im Badezimmer sehr dramatisch, damit ihm seine Frau mehr Aufmerksamkeit schenkt. Noch geht Dorit auf Alex ein. Mit theatralischen Dialogen, gestelzten Worten beruhigen und reizen sie einander abwechselnd: "Du wolltest dich doch zusammenreißen und das Wort nicht mehr sagen…" - "Du Fotze!". Noch duldet sie seine Respektlosigkeiten und holt sich (falsche) Liebeshinweise aus seinen Eifersuchtsattacken, wenn sie mit fremden Männern flirtet.
Immer mehr Freunde kommen. Dorits Freundin Sybille (Silvina Buchbauer); mit der sie reden kann. Denn Sybille ist eine moderne, verständnisvolle Frau: Sie hat Karriere gemacht und lebt seit Jahren in einer vollkommen unbefriedigenden Beziehung ("Schau mich an! Ich hab keinen Sex und dazu hab ich noch die Krätze."). Heiner (Sybilles unbefriedigende Beziehung; Marc Richter) wird seinem Kumpel Alex mit all seiner angetäuschten Männlichkeit, seinen kernigen Sprüchen und jeder Menge Koks zur Seite stehen.
Auch eine lukrative Geldgeberin wird erwartet. Frau von der Burg ist Zahnärztin und soll mit ihrem Geld Alex' Filmprojekt finanzieren; denn Alex ist Regisseur. Zumindest hält er sich dafür.

Illusionen gibt es viele in "Erster Ehe", und sie werden alle in erschreckender Rigorosität abgeschossen. In den Kampfpausen, wenn die Gegner ihre Waffen nachladen, bemühen sich die Partygäste um Smalltalk und Schadensbegrenzung. Markus Fritsch und Martin Dean versuchen derweil mit ihrer Musik Trost zu spenden. Scheinbar alte, melancholische Songs, bei denen sich das ‚Traumpaar' vorübergehend die Wunden lecken kann. Bis sie wieder, wie zwei verzweifelte, böse Kinder, alles zerstören, dass sie doch eigentlich zu lieben versuchen; dem sie vertrauen möchten. Beide projiziert ihre Unsicherheiten, Ängste und ihre Psychosen auf ihr Gegenüber, dass sie in selbstzerstörerischer Wut attackieren. Um ihrem eigenen Ich zu beweisen, dass sie am Leben sind (vielleicht sogar liebenswert -und fähig), gibt es keine Pausen und keinen Kompromiss zwischen Dorit und Alex: Ohne Unterlass, von Szene zu Szene steigernd, hinterfragen sie einander; testen sich und stellen sich Fallen. Öffnen und verschließen sich; quälen sich und den Anderen. Zerfleischen sich vor ihren Gästen als wären sie ihr Publikum. Menschen, die später bezeugen könnten, dass dies nicht nur eine schlechte Vorstellung von "Who's afraid of Virginia Wolf?" war.

Wahrhaft zerstörerisch diese "Erste Ehe"; in all ihrem verzweifeltem Sehnen, ihren ausgelebten Süchten und Aggressionen. Das die weitverbreitete Illusionslosigkeit unserer Generation ein großes Thema ist, und sich Maria Simon darin, mit ihrem kraftvoll-verzeifelten Spiel, wahrhaftig die Seele aus dem Körper reißt, steht außer Frage (Max-Ophüls-Preis als beste Nachwuchsdarstellerin). Hinterfragt werden sollte aber, ob Isabelle Stevers erstes Kinowerk zu recht den Nachwuchspreis First Steps Award 2002 bekommen hat. Ist die Jury hier vielleicht dem bekannten Award-Trend verfallen: Wo ‚authentisch' geliebt, gehasst, gekokst, geschlagen und vielleicht noch gesungen wird, dass ist auch (in Deutschland) einen Preis wert?
Ein sehr mutiger aber desillusionierender Film. Wie die Regisseurin Isabelle Stever über ihr Werk sagt: "Es scheint so, als könnten Dorit und Alex sich nur für wenige, sehr wertvolle Sekunden in Frieden lieben, wenn einer von beiden ohnmächtig oder beinahe tot ist."


9
9/10

Ein Wahnsinn, die lassen diesen Film irgendwo verschimmeln

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