Enron - The Smartest Guys in the Room

Originaltitel
Enron - The Smartest Guys in the Room
Land
Jahr
2005
Laufzeit
109 min
Regie
Release Date
Bewertung
9
9/10
von Frank-Michael Helmke / 31. Mai 2010

"Enron - The Smartest Guys in the Room" steht in einer länger werdenden Reihe unabhängig produzierter Dokumentationen, die in den letzten Jahren immer mehr Beachtung und Aufsehen finden. Michael Moore war mit seinen agitatorischen "Bowling for Columbine" und "Fahrenheit 9/11" sicher ein wichtiger Federführer für die neue Popularität des Genres, doch Filme wie dieser sind in der Lage, mit einem weitaus nüchterneren Tonfall ein nicht minder großes Gefühl von Empörung und ohnmächtiger Wut zu erzeugen, indem sie einen Job machen, der eigentlich den großen Nachrichtenmedien obliegt - die Wahrheit zu berichten, und zwar die ganze.
"Enron" dokumentiert den spektakulären Aufstieg und noch spektakuläreren Niedergang des gleichnamigen amerikanischen Energie-Unternehmens, das sich Ende der 90er Jahre zu einem der erfolgreichsten Konzerne der Welt aufschwang, um im Herbst 2001 innerhalb weniger Wochen bankrott zu gehen. Über ein Jahrzehnt hatte die Firma mit ebenso unglaublichen wie dreisten Tricks aus der Abteilung "kreative Buchführung" ihre Geschäftszahlen so aufgehübscht, dass der Börsenkurs permanent kletterte, alle Banken bei ihnen investieren wollten und das Wirtschaftsmagazin "Fortune" den Konzern sechsmal in Folge zum "innovativsten Unternehmen Amerikas" kürte. Als der Schwindel schließlich aufflog, machte die größte Firmenpleite in der US-Geschichte zehntausende Menschen auf einen Schlag arbeitslos und zerstörte die Ersparnisse und Pensions-Rücklagen von zahllosen Mitarbeitern und Kleinanlegern.

Die Journalisten Peter Elkind und Bethany McLean (die im Februar 2001 mit dem ersten kritischen Artikel über das vermeintliche Muster-Unternehmen den Stein ins Rollen brachte) fassten die Ereignisse in ihrem Buch mit dem bitter-ironischen Titel "The Smartest Guys in the Room" zusammen, und Dokumentarfilmer Alex Gibney ist das kleine Wunder gelungen, den hochkomplexen Stoff auf 109 Filmminuten zu destillieren, die dem Zuschauer zumindest ein grundlegendes Verständnis für diesen verworrenen, hochspannenden Wirtschaftskrimi geben. "Enron" ist aber weit mehr als eine meisterhaft komponierte und strukturierte Chronik dieses Skandals, sondern bietet darüber hinaus eine wahrlich beängstigende Reflexion über die Ausmaße, die unkontrollierte Gewinnsucht in einem freien Markt annehmen und was sie aus einem Menschen machen kann.
Der Film konzentriert sich auf die Männer an der Spitze, die beiden Firmenchefs Kenneth Lay und Jeffrey Skilling sowie den Finanzvorstand Andy Fastow, den maßgeblichen Designern des systematischen Bilanzbetrugs, aber er lässt auch keinen Zweifel daran, dass es sich hier nicht um die allein Schuldigen handelt (höchstens die wichtigsten). Eine Unmenge von Banken, Investoren und Geschäftspartnern haben an Enron mitverdient, und sie alle müssen - und daran bleibt kein Zweifel - mehr oder weniger bewusst die Augen verschlossen haben vor den Methoden, mit denen hier gearbeitet wurde. Ganz abgesehen von den Leuten, deren alltäglicher Job es war, sich die Hände schmutzig zu machen, damit die Gewinne stimmen. Sie alle wurden angetrieben von purer Gier, der Aussicht auf schwindelerregende Summen in den eigenen Taschen, die jede Skrupel verschwinden ließ.
Der bizarrste und verstörendste Teil des Films behandelt die Energiekrise des Staates Kalifornien im Jahr 2000. Unter anderem durch den politischen Lobby-Einsatz von Enron waren die staatlichen Regulierungen für den Energiemarkt gelockert worden, und der Konzern nutzte seine Möglichkeiten schamlos aus, um den Strompreis hochzutreiben. Mit zahlreichen manipulierten Netzstörungen und Versorgungsengpässen bis hin zu kompletten Stromausfällen inszenierte Enron eine künstliche Preissteigerung, die den Staat Kalifornien fast ruinierte (und übrigens als direkte Konsequenz zur Abwahl des amtierenden Gouverneurs Gray Davis und seiner Ablösung durch Arnold Schwarzenegger führte). Gibney präsentiert dazu Mitschnitte von Telefonaten zwischen Enron-Händlern, die in diesen Tagen scheinbar nach Gutdünken ganz Kalifornien den Saft abdrehen und durch Preistreiberei aberwitzige Millionen umsetzen konnten. Wie diese Männer aufgegeilt durch ihre Macht und Kontrolle die Bodenhaftung verlieren und jenseits jeden Hauchs von Mitgefühl über die Millionen von Menschen Witze reißen, denen sie gerade aktiv das Geld aus der Tasche ziehen, ist erschütternd und beängstigend in der Direktheit, mit der es aufzeigt, wie Profitgier aus Menschen echte Monster machen kann.

Auch die psychologischen Untiefen, die sich in den Machenschaften der Enron-Bosse und ihrer Art der Firmenführung andeuten, beleuchtet Gibneys Film, ohne seine Subjekte jedoch zu verraten. Es wäre ein Leichtes gewesen, Lay und Skilling als die großen Bösewichte darzustellen, die gnadenlos absahnten und sich auf Abenteuerreisen mit ihrer Führungscrew gerne ihre eigene Männlichkeit bewiesen, als wäre auch die zur Perversion mutierte Welt der Großfinanzen angetrieben durch einen immerwährenden Schwanzvergleich. Doch Gibney schürft tiefer nach Motivationen und Antrieben, will die Schuldigen verstehen, soweit das möglich ist, und zeichnet somit unweigerlich ein Bild von außer Kontrolle geratenen Philosophien und menschlicher Verführbarkeit, das die Grenzen dieses konkreten Falls verlässt und einem ganz generell Angst macht.
Und das liegt nicht nur an der Identifikation, die man als Zuschauer ehemaligen Enron-Mitarbeitern entgegen bringt, die offen zugeben, lieber weg gesehen und nicht genauer nachgefragt zu haben, sondern auch an der Gewissheit, dass dies kein bloßes amerikanisches Problem ist. Jede namhafte in den USA operierende Bank taucht in der Liste der Geldinstitute auf, die sich bereitwillig an den fragwürdigen Investmentplänen von Enron beteiligten, auch die Dresdner und die Deutsche Bank. Gerade letztere hat ja kürzlich schon eindrucksvoll bewiesen, dass Gewinnmaximierung bei ihr vor das Wohl der Mitarbeiter geht.

So bleibt einem am Ende von "Enron - The Smartest Guys in the Room" ähnlich wie bei Michael Moore nur diese ohnmächtige Wut im Bauch, dass es am Schlimmsten immer die Unschuldigen trifft: Über hunderttausend Menschen verloren durch die Nachwirkungen der Enron-Pleite ihren Job, die meisten bei dem weltweit operierenden Wirtschaftsprüfungs-Unternehmen Arthur Anderson, das als eine der fünf größten Firmen ihrer Art die Enron-Machenschaften deckte und nach Aufdeckung des Skandals komplett kollabierte.
An diesem düsteren Fazit kann auch das nötige Postskriptum nichts ändern, dass der in den USA bereits Ende 2005 veröffentlichte (und 2006 für den Doku-Oscar nominierte) Film nicht mehr liefern konnte: Der Betrugs-Prozess gegen Kenneth Lay und Jeffrey Skilling wurde nach jahrelangen Recherchen im Januar 2006 eröffnet. Gegen Skilling wurde schließlich eine Haftstrafe von 24 Jahren und vier Monaten und eine Geldstrafe von 26 Millionen Dollar verhängt. Der ebenfalls verurteilte Lay starb am 5. Juli 2006 im Alter von 64 Jahren, bevor sein Strafmaß festgelegt wurde.

Bilder: Copyright

9
9/10

Der Film hat mir sehr gefallen und ich halte ihn für ein Pflichtprogramm für jeden Wirtschaftswissenschaftler (vom Buch ganz zu schweigen).
Der Untergang von Enron und Arthur Anderson - die Ursachen, die (Haupt-)Verantwortlichen und der Weg dahin werden spannend und investigativ dargestellt, aber niemals billig und stets mit einem gewissen Menschlichen Touch versehen.

Wie spielen die Großen, gibt es ethisches Handeln in unserer Corporate Culture, was haben AGs für eine Verantwortung den Shareholders und Mitarbeitern gegenüber und wie wird von den COs mit ihr umgegangen? Wie leicht lassen sich Menschen von Geld, Enthusiasmus und Wissen korrumpieren? Warum haben sich so viele blenden lassen und weshalb ist es ziemlich sicher, dass so etwas wieder geschehen wird?
All diese Fragen kann der Film zwar nicht beantworten, doch reißt er jedes dieser Probleme unserer freien Wirtschaftswelt an und zeigt was passiert, wenn Leute glauben, das System überlisten zu können und mit der Gier anderer spielen.

Die einzigen Mankos sind, dass der Film manchmal für Laien etwas unverständlich ist, und dann auch hin und wieder nicht detailliert genug. Ich hätte mir mehr Einzeleispiele gewünscht und ein paar mehr Infos über das Schicksal der Ex-Mitarbeiter, aber dafür kam der Film wohl auch zu schnell ins Kino.

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