Vampire erfreuen sich nun schon seit Jahren anhaltender Popularität, daher war es eigentlich nur eine Frage der Zeit, bis auch der Urahn aller Blutsauger wieder in einer neuen Interpretation die Kinos beehrt. Doch was soll man nach all den mehr oder weniger werkgetreuen Adaptionen des klassischen „Dracula“-Romans von Bram Stoker noch erzählen, was nicht jeder sowieso schon in irgendeiner Form konsumiert hat? Eine Variante gab es da tatsächlich noch, und so erzählt „Dracula Untold“ seinem Titel entsprechend also nicht ein weiteres Mal die Mär des finsteren Schlossherren, der das viktorianische London heimsucht, und auch nicht die seiner Gefährten oder Widersacher namens Harker und van Helsing. Dass Stokers Romanfigur von einer historisch verbürgten Person namens „Vlad, der Pfähler“ inspiriert wurde, haben die Meisten zwar wohl auch schon mal gehört, doch hier erfahren wir nun (endlich?) dessen Geschichte.
Er herrscht nur über ein relativ kleines Reich in Transsilvanien, doch die umsichtige Politik von Vlad Tepes III. (Luke Evans) hat dem Land eine Zeit des Friedens und der Gerechtigkeit beschert. Früher selbst am mächtigen türkischen Hofe ausgebildet, nehmen dessen Repräsentanten jedoch keine Rücksicht auf die Bedürfnisse ihres „Verbündeten“ und fordern von ihm neben finanziellen Abgaben schließlich auch noch die stolze Zahl von 1.000 einheimischen Jünglingen, die ihre Heimat aufgeben und verlassen sollen, um sich fortan im Dienst der in diverse Kriege verwickelten türkischen Armee zu verdingen. Zu allem Überfluss provoziert Sultan Mehmed (Dominic Cooper) seinen einstigen Freund auch noch damit, sogar dessen leiblichen Sohn einzufordern. Als Vlads Frau Mirena (Sarah Gadin) ihn anfleht sich diesem Wunsch nicht zu fügen, entschließt der sich zu einer verzweifelten Aktion: Er kehrt zurück an den Ort, an dem ihm einst eine unheimliche, dunkle Macht begegnete. Deren Hüter wäre in der Lage Vlad eine gewaltige Macht zu verleihen, doch fordert er dafür von ihm einen nicht minder hohen Preis – den seiner Menschlichkeit.
Es ist in der Tat ein völlig neuer „Dracula“, der uns hier begegnet, einer der weniger an die bekannte düstere Horrorgestalt erinnert als an eine Art frühen Superhelden, der eher widerwillig zu seinen übermenschlichen Kräften kommt und der dann sehr schnell lernen muss, dass mit einer großen Macht eben auch große Verantwortung einhergeht. Dass er sich dieser stellt macht deutlich, dass es sich bei „Vlad, dem Pfähler“ trotz aller auch von ihm begangenen Grausamkeiten um eine hier positiv dargestellte Figur handelt, die letztlich nur aus Schutz und Sorge um die Menschen seiner bedrohten Heimat zum Vampir und damit zum Wesen der Nacht wird.
Welche Figur der Geschichte ihm als sein „Vorgänger“ diese Macht verleiht (gespielt wird sie von Charles „Tywin Lannister“ Dance) ist einer der nicht unbedingt realistischen, aber netten Einfälle dieses Films, der sich in Sachen historischer Genauigkeit dann auch auf die grundsätzliche politische Situation des 15. Jahrhunderts beschränkt und darauf, dass der echte Vlad Tepes tatsächlich seine Jugend bei den Türken verbrachte. Der Rest ist jedoch ein buntes neu zusammengesetztes Fantasy-Abenteuer, welches immerhin eine Kulisse und einen Hintergrund präsentiert, den man zumindest nicht schon unzählige Male gesehen hat.
Auch bei der Besetzung der Titelfigur hat man einen guten Griff getan und gibt dem Waliser Luke Evans nach seinen erste Aufmerksamkeit erzielenden Darstellungen als Gegenspieler im letzten „Fast & Furious"-Film sowie als Fährmann Bart in der „Hobbit“-Reihe, nun zum ersten Mal die Gelegenheit eine größere Kinoproduktion selbst zu tragen. Evans löst die Aufgabe, indem er überzeugend den innerlich zerrissenen Anführer und Familienmenschen gibt und weniger den strahlenden Helden. Das wäre bei einer Figur mit Namen „Dracula“ auch nicht ganz angemessen, trotzdem erweist sich sein Vlad Tepes als absoluter Sympathieträger. Etwas mehr Raum zur Entfaltung hätte man sowohl ihm als auch der Beziehung zu seiner Gemahlin Mirena allerdings gerne gewünscht, doch offenbar ging man im Schneideraum recht rigoros vor und ließ alles, was die Handlung nicht direkt voranbringt, als vermeintlich überflüssige Schnipsel auf dem Boden zurück.
So ergibt es sich, dass es „Dracula Untold“ auf die für einen „Event-Film“ heutzutage ungewöhnlich knappe Laufzeit von 92 Minuten (inklusive Abspann) bringt. Diese Entscheidung bringt sowohl Vor- als auch Nachteile mit sich, denn einerseits kommt der Film so in der Tat ohne ein Gramm Fett daher und irgendwelche Längen lassen sich nicht ausmachen. Andererseits wirkt die im Grunde schon als großes Epos angelegte Geschichte in dieser Form fast eine Nummer zu klein und es bleibt abzuwarten, ob das Publikum es akzeptiert, für sein Eintrittsgeld mal nicht mit ausufernden Schlachten und einem endlos in die Länge gezogenen Showdown beglückt zu werden - sondern stattdessen mit eher kurzen und knackigen Actionmomenten, in denen der mutierte Prinz ganz allein eindrucksvoll das gegnerische Heer aufmischt. Das Kinoleben dieses etwas anderen Dracula könnte dann durchaus noch weitergehen, denn der Raum für eine Fortsetzung wird am Ende bereits bereitet, und die könnte dann sogar noch interessanter werden.
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