
Eigentlich ist es doch ganz normal: Die Love Parade als Festival der Extrovertierten rollt bereits seit über einem Jahrzehnt durch Berlin, in der Kölner U-Bahn schaut niemand angewidert weg, wenn sich zwei Männer küssen, der Christopher Street Day wird in jeder Großstadt gefeiert und Gleichgeschlechtliche dürfen seit neuestem auch heiraten. Also wirklich Normalität. Oder doch nicht? Seitdem der Schwule zum ersten Mal auf der Kinoleinwand auftauchte, ist sein Part selten über den "besten Freund" der Protagonistin einer Romantikkomödie hinaus gekommen und dümpelte unendlich lange Jahre in einer putzigen und witzigen Nebenrolle als Kontrast zu all dem Schmalz vor sich hin. Auch im Fernsehen bleibt das Thema Homosexualität nach wie vor auf die Sparten Comedy und Klamauk reduziert.
Letztes Jahr war auf einmal alles anders: In "Brokeback Mountain" wurde eine homosexuelle Liebesgeschichte nicht nur in der Kategorie Drama verfilmt, der Film setzte sich außerdem mit der Verteufelung von Homosexuellen durch eine verklemmte Gesellschaft auseinander. Ob diese Produktion eine Trendwende einläutete, oder erstmal ein Einzelstück bleibt, ist noch nicht abzusehen. Aber mit den "Töchtern des chinesischen Gärtners" nähert sich ein weiterer Film auf behutsame Weise der schwierigen Thematik. Anderes Geschlecht, andere Kultur, dieselben Probleme.
China in den 80er Jahren. Das junge Waisenkind Li Ming (Mylène Jampanoï) darf ein Praktikum bei dem berühmten Botaniker Professor Chen (Dongfu Lin) machen. Er wohnt zusammen mit seiner Tochter An (Li Xiaoran) auf einer kleinen Insel voller exotischer Pflanzen, die Li Ming nun pflegen muss. Professor Chen ist nicht nur ein strenger Lehrer, sondern auch ein autoritärer Vater. Seine Tochter An ist einsam und freut sich sehr über die neue Gesellschaft, sie freundet sich schnell mit Li Ming an. Zusammen können sie lachen und entspannen, auch wenn beide unter dem schwierigen und cholerischen Charakter des Vaters leiden. Aus der intimen Freundschaft wird bald Liebe und die Frauen kommen sich im Badezimmer näher. Problematisch wird ihre Verbindung, als Ans Bruder Dan (Wang Weidong) aus Tibet zurückkommt. Der junge Soldat verliebt sich sofort in die schüchterne Li Ming und sein Vater unterstützt diese Verbindung. Aus seinen Augen wäre eine Hochzeit ideal: Li Ming ist mit seiner Tochter befreundet, lernt in seinem Garten und Dan braucht mit seinen 26 Jahren endlich eine Ehefrau. Dan drängt Li Ming, seinen Antrag anzunehmen.
Wer bei diesem Film die "Zärtlichen Cousinen Teil 4" erwartet (diese Hoffnung wurde in der Pressevorführung von einem männlichen Kollegen geäußert), wird enttäuscht werden. Die Liebesszenen zwischen den Frauen sind diskret, ernsthaft und keinesfalls peinlich. Es geht um Liebe, Vertrauen und natürlich um das Geheimnis. Zentraler als ihre verbotene sexuelle Neigung aber steht der Konflikt zwischen Vater und Tochter im Mittelpunkt.
Die Beziehung ist ein Dienstleistungsverhältnis, An bringt ihrem Vater das Essen, kauft ein und schneidet ihm die Fußnägel. Aber es sind vor allem die Blicke, die Gesten und der Tonfall der Stimme, worin sich die Unterwürfigkeit der Tochter und die Autorität des Vaters ausdrücken. Professor Chen ist nicht gewalttätig oder gemein. Seine Strenge erfasst seinen ganzen Körper und die Kälte seines Wesens steht im Kontrast zu der Wärme zwischen An und Li Ming.
Deren Liebe spiegelt Daï Sijie in imposanten Landschaftsaufnahmen und in der Fülle der Pflanzenpracht im Botanischen Garten. Die alte Naturverbundenheit der Chinesen passt aber nicht zu der kommunistischen Gesellschaftsordnung, und daher wirken auch die in der modernen Kleidung der 80er angezogenen Mädchen in der Umgebung alter Klöster fehl am Platz. Sie passen nicht in dieses China.
"Die Töchter des chinesischen Gärtners" will ein Gesellschaftsdrama sein, ist es aber nicht. Da die Mädchen außer zu dem Vater und Ans Bruder keinen Kontakt mit der Außenwelt pflegen, ist ihre lesbische Liebe ein familiäres Problem. Die gesellschaftliche Verachtung ist kaum zu spüren, nur entfernt zu ahnen. Die Bedrohung innerhalb der Familie ist dafür umso schlimmer. Wie sein Vater hat auch Dan die hierarchische Männergesellschaft verinnerlicht und sieht Li Ming weniger als Mensch, denn als Besitz an. Die sich zuspitzende Dramatik schwillt aber schnell wieder ab, da der Film diesen viel versprechenden Handlungsstrang kaum ausbaut. Er will partout in der Dreierfamilie bleiben. Und ist damit ein chinesisches Drama um Tochter und Sohn.
Spannung und vor allem Betroffenheit weckt der Film dennoch, vor allem durch die Filmmusik, die einem durch ihre Tiefe und Eindringlichkeit noch Tage später durch den Kopf geht. An manchen Stellen wäre aber etwas weniger davon besser gewesen. Ein zusätzliches Manko in unseren Landen ist die wirklich schlechte deutsche Synchronisation. Leidenschaftslos, steif und völlig unpassend, vor allem am Anfang fühlt man sich dadurch ziemlich gestört. An den schauspielerischen Leistungen ist dagegen nichts auszusetzen. Dank dieser wird der Film trotz minimaler Figurenvielfalt nie langweilig.
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