
Kinderbuchverfilmungen sind im Trend - warum auch Neues erfinden, wenn in verstaubten Regalen doch noch so viel Gutes schlummert? "Die rote Zora und ihre Bande", geschrieben 1941 von Kurt Held und bereits als Fernsehserie verfilmt, gehört sicher zu den wichtigsten Klassikern der Jugendliteratur und verdient somit auch eine anspruchsvolle Verfilmung. Diesen hohen Erwartungen wird Regisseur Peter Kahane leider nicht vollständig gerecht.
Der junge Branko (Jakob Knoblauch) lebt in ärmlichen Verhältnissen an der kroatischen Küste. Mit zwölf Jahren verliert er seine schwer arbeitende Mutter und muss sich, als Waisenkind aus dem Dorf verstoßen, alleine auf die Suche nach seinem Vater machen. Bald wird der hungernde Junge wegen eines angeblichen Fischdiebstahls ins Gefängnis gesteckt - und kurze Zeit später von der rothaarigen Zora (Linn Reusse) wieder befreit. Sie ist die Anführerin einer Bande Waisenkinder, die gemeinsam versuchen, nicht zu verhungern. Die selbsternannten Uskoken hausen in einer Burgruine und leben vom Diebstahl, immer auf der Flucht vor Bürgermeister Ivekovic (Dominique Horwitz) und dem reichen Fischhändler Karaman (Ben Becker), dem faktischen Herrscher der Gemeinde. Letzterer macht nicht nur den jungen Wilden, sondern auch den einheimischen Fischhändlern das Leben zur Hölle, er will das Handelsmonopol für Fischfang. Besonders der alte Gorian leidet unter den Repressionen und setzt sich ihnen verzweifelt zur Wehr. Dann bitten ihn die gejagten Uskoken um Hilfe und er verbündet sich mit ihnen…
Der Film ist ganz den Wünschen und Gewohnheiten heutiger Kinder angepasst und präsentiert die Hauptpersonen zeitnah und leicht zugänglich - was im klaren Gegensatz zu den ursprünglichen Romanfiguren steht, denn diese sind schwierig, schwer zu durchschauen und gelegentlich sogar unsympathisch. Das gilt in modernen Kinder- und Jugendfilmen leider als erfolgshemmend, junge Zuschauer werden stattdessen konsequent unterfordert mit eindimensionalen Helden.
Auf den ersten Blick gibt es nicht so viel zu meckern: Die Küste von Montenegro ist ein wunderschöner und romantisch anmutender Drehort und eine erstklassige Kulisse für die Geschichte. Mit Ben Becker, Dominique Horwitz und Mario Adorf bietet der Film renommierte und erfahrene Schauspieler, von denen besonders Adorf ein perfektes Zusammenspiel mit den Kinder-Darstellern bietet. Auch an deren Leistung gibt es nicht viel auszusetzen. Die Kritik an der Hauptperson Zora gilt weniger der Darstellerin Linn Reusse als ihren Regieanweisungen. Denn die rothaarige Bandenchefin erinnert mehr an die fröhliche und abenteuerlustige Pipi Langstrumpf, Romanheldin mit selber Haarfarbe aus Schweden, nicht aber an ihre eigene literarische Vorlage.
Trotz Werktreue in Personen und Handlungssequenzen hat der Stoff auf dem Weg vom Buch zum Film viel verloren. Kurt Kläber veröffentlichte den Roman unter dem Pseudonym Kurt Held, weil er sich im Zweiten Weltkrieg auf der Flucht vor den Nationalsozialisten befand. In dem Roman fanden all seine Erfahrungen von Armut, Verwahrlosung, menschlicher Grausamkeit und Unrecht Eingang, die ihm im Europa der 30er und 40er Jahre begegnet waren. Als Kinderbuch ist "Die rote Zora und ihre Bande" leicht zu lesen und schwer zu begreifen, Kurt Held schonte seine jungen Leser nicht. Die Faszination und die Tiefe dieses Romans liegen gerade darin, dass in dieser Abenteuergeschichte viel Wahrheit und harter Realismus stecken. Eindringlich werden Hunger, Schmerz und Leid der Protagonisten geschildert. Sie sind verlorene, aus der menschlichen Gemeinschaft ausgeschlossene Gestalten. Was im Film an ein amüsantes Versteckspiel erinnert, ist im Buch der einzige Weg, in einer menschenverachtenden Gesellschaft das eigene Überleben zu sichern.
Peter Kahane und Ronald Kruschak jedoch bewahren ihre kleinen Zuschauer vor dieser Realität und nehmen der Geschichte damit ihre Lebenskraft. Sie inszenieren eine spannende und oft auch komische Abenteuergeschichte mit einer Prise moderner Kapitalismuskritik. Damit verkennen sie aber die Intention von Kurt Helds Roman. Indem sie den Film nur besser verdaulich machen wollen, tappen sie in die übliche Literaturverfilmungsfalle des Verwischens und Verblassens. Was von der Kürzung übrig bleibt, ist nur noch seicht.
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