Es gibt einen Moment in Bennett Millers Sportfilm „Die Kunst zu gewinnen - Moneyball“, der sich sichtlich vom Rest des Films unterscheidet. Es ist Weihnachten, der verletzte und aussortierte Baseballspieler Scott Hatteberg (Chris Pratt) sitzt vorm Fernseher, während seine Frau im Nebenzimmer mit sorgenvoller Mine auf einen Stapel von Rechnungen blickt. Es ist das einzige mal, dass der Film derart genau und hintergründig den heiklen Alltag von ausrangierten Spitzensportlern zeigt. Denn „Moneyball“ ist kein Sportfilm im herkömmlichen Sinn. Er erzählt nicht die altbekannte Geschichte des Aufstiegs, des Über-sich-Hinauswachsens eines Teams, das aller Widerstände zum Trotz die Meisterschaft gewinnt. Nein, „Moneyball“ ist ein Film, der hinter den Kulissen spielt, abseits des Spielfeldes (hier: Baseball), in den klinischen Managerzimmern, den Beratungskammern der Koordinatoren und Trainer - daher stehen auch nicht die Athleten, sondern ein ganz anderes Personal im Vordergrund.
Brad Pitt spielt Billy Beane, den Manager der Oakland A's, eines durchschnittlich erfolgreichen Baseballteams, das in der kommenden Saison die wichtigsten Spieler an die Konkurrenz verliert und mit ihrem geringen Budget wohl keine neue Gewinnermannschaft zusammenstellen wird. Beane hadert mit seinen Talentsuchern, die immer noch nach traditionellen Methoden potentielle Spieler aussuchen. Beane weiß, dass dieser Weg mit den vorhandenen, bescheidenen Finanzmitteln nie zum großen Erfolg führen wird, also sucht er eine andere Methode, ein anderes Auswahlsystem. Daher engagiert er den jungen und unerfahrenen Yale-Absolventen Peter Brand (Jonah Hill). Dessen Idee, allein auf der Basis statistischer Erhebungen ein Team aus zum Teil verletzten, alten und vergessenen Spielern zusammenzustellen, überzeugt Beane. Mit seinem Entschluss sportliche Entscheidungen allein anhand einer Datenanalyse zu treffen, verliert der Manager aber nicht nur das Vertrauen seiner Angestellten, inklusive des Trainers Art Howe (Philip Seymour Hoffman), sondern riskiert zudem seinen Job.
„Moneyball“ basiert auf einem in den USA zum Bestseller avancierten Sachbuch von Michael Lewis mit dem Titel "Moneyball: The Art of Winning an Unfair Game". Und es hat sicherlich eines Drehbuchautoren-Teams wie Steven Zaillian ("Schindlers Liste", „Verblendung“) und Aaron Sorkin („The Social Network“) bedurft, um ein Buch über die statistische Revolution des Baseballs (im Fachjargon nennt sich die Methode, die ursprünglich von einem Statistik-Nerd namens Bill James entwickelt und von Beane erstmals aktiv kultiviert wurde, „Sabermetrics“) in einen hoch interessantes und unterhaltsames Spielfilmskript zu verwandeln. Findet der Zweikampf in Sportfilmen üblicherweise auf dem Feld statt, so wird er hier in den Dialogen ausgefochten. Gerade zwischen Brad Pitt und Jonah Hill entwickelt sich immer wieder ein herrlicher – mal leichter, dann wieder wuchtiger – Schlagabtausch, ein sprichwörtlicher „pitch and catch“, der das Werfen und Fangen eines Baseballs sehr geschickt in die Handlung transformiert. Die Oscarnominierungen für Pitt und Hill sind daher mehr als verdient. Und gerade Brad Pitt, der nächstes Jahr immerhin 50 (!) Jahre alt wird, liefert hier definitiv seine beste Performance als Charakterdarsteller ab (ja, noch besser als in Terrence Malicks „Tree of life“). Seinem Spiel haftet eine gewisse Einfachheit und Leichtigkeit an. Dieser introvertierte Ton steht ihm besonders gut. Er vermittelt uns das Gefühl, es wäre sehr einfach eine so problematische Person zu sein, wie sie Beane im Verlauf des Films noch werden wird.
Sicherlich funktioniert der Film für Freunde des Baseballs (die in Deutschland nicht gerade zahlreich vorhanden sind) auf ein paar mehr Ebenen als für Zuschauer, denen die Dramatik der Wendung „die erste Base erobern“ entgeht, oder die die folgenschwere Entscheidung, einen Pitcher als Baseman umzufunktionieren, nicht auf Anhieb als solche begreifen. Das ist aber auch gar nicht so schlimm. Denn der Film besitzt trotz seiner kalten und sterilen Aufmachung einen tragischen und damit sehr emotionalen Kernkonflikt. In schön unauffällig eingewebten Rückblenden erzählt „Moneyball“ die Lebensgeschichte Beanes, einst ein vielversprechendes Baseballtalent, der auf eine gute Uni-Ausbildung verzichtete, um als junger Bursche direkt im Profizirkus durchzustarten, und dann doch keine Karriere machte, der sein ganzes berufliches Leben einem Ziel und einer Sportart widmete, die ihn dann aber immer wieder enttäuschte und ihn auf die Bank verwies. Daher ist ein unwiderstehlicher Egoismus in allen professionellen und privaten Entscheidungen Beanes, der diese Figur so ambivalent macht. Er will das „System Baseball“ ändern, um seinem eigenen Scheitern einen Sinn zu geben.
Diese Rache eines Verletzten inszeniert Bennett Miller („Capote“) mit einem untrüglichen Gespür für Bilder, die die Protagonisten in sterilen Räumen platziert. Sie wirken entrückt, allein und verlassen in ihrer Umgebung. Es scheint, als würden allein diese Bilder das Scheitern aller Pläne, Handlungen und Entwürfe bereits vorwegnehmen. Miller – darauf sollten man hinweisen – gehört mit seiner entschleunigten Art der Inszenierung zu den interessantesten Regisseuren Hollywoods, da er äußerst geschickt im Mainstream arbeitet, ohne sich dabei den bekannten Formeln und Methoden zu unterwerfen. Dass die Academy dieses Jahr seine Leistung nicht anerkannte und ihn nicht für den Regieoscar nominierte, wirkt da schon fast bezeichnend. Verdient hätte er es. Inklusive einem breiten Publikum, das diesem stillen und klugen Film jene Beachtung schenkt, die er verdient.
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