Wuppertal. Eine typisch deutsche Stadt. Eine von den Städten, über die man allerhöchstens eine Sache weiß („Da gibt’s doch diese Schwebebahn, oder?“), die ansonsten aber so langweilig und unbedeutend sind, daß sie einem nur weiter auffallen, wenn man an der Autobahn dran vorbei fährt. Wuppertal hat viele Autobahnausfahrten, denn die Stadt schmiegt sich längsseits in die namensgebende Fläche zwischen vielen Hügeln des Bergischen Landes, und sieht von oben betrachtet ein bißchen aus wie eine eigene kleine Welt, eine Stadt, die in sich selbst gefangen ist. Ja, Wuppertal hat in der Tat so etwas wie eine romantische Note. Allerdings bedurfte es eines Regie-Virtuosen wie Tom Tykwer, gebürtiger Wuppertaler, diese ans Tageslicht zu befördern.
Behilflich dabei ist ein weiterer Film aus der Sparte „Die ungewöhnliche Geschichte eines Mannes und einer Frau“. Dabei handelt es sich einerseits um die Krankenschwester Sissi („Kaiserin“, verstehste?), die in einer psychiatrischen Klinik arbeitet und lebt, andererseits um den Ex-Soldaten Bodo, der sich mit schlechten Jobs halbwegs über Wasser hält. Die schicksalhafte Begegnung findet statt, als Sissi von einem Lastwagen überfahren wird und Bodo ihr per Luftröhrenschnitt das Leben rettet. Nach der Entlassung aus dem Krankenhaus macht sich Sissi auf die Suche nach ihrem Retter, der jedoch, von einem traumatischen Erlebnis schwer gezeichnet, wenig Interesse an einer näheren Bekanntschaft zeigt.
Klingt vielleicht ein bißchen simpel, ist es aber beileibe nicht. Hinter beiden Hauptfiguren stehen Geschichten und Nebenfiguren, die den sämtlichen Handlungsverlauf weitaus komplexer gestalten, als zunächst vermutet, und schlußendlich eine Verstrickung der Ereignisse produzieren, die unweigerlich an „Magnolia“ erinnert. Allerdings soll hier nicht der Vorwurf laut werden, Tom Tykwer hätte bei Anderson geklaut. Mitnichten. Wenn überhaupt, dann hat Tykwer bei sich selbst geklaut. Gut zwei Jahre nach seinem Mega-Erfolg „Lola rennt“ kommt nun sein nächster Film, und es braucht nicht sehr lange, um zu erkennen, daß hier der selbe Mensch verantwortlich zeichnet: Das musikalische Hauptmotiv und die Kameraarbeit in der ersten halben Stunde erinnern teilweise unangenehm deutlich an die wilde Hetzerei, die 1998 deutsche Kinogeschichte schrieb. Unbestreitbar ist das immer noch toll anzusehen und –zuhören, es macht sich nur die Angst breit, daß sich hier jemand nicht von seiner kreativen Vergangenheit trennen kann.
Gott sei Dank erweist sich diese Angst als unbegründet: Mit zunehmender Spielzeit verliert der Film seinen Lola-Komplex, findet seine eigene Bilder- und Tonsprache und macht so für sich selbst den Weg frei. Und das ist gut so. „Lola rennt“ war ein Lehrstück über die manipulativen Möglichkeiten des Kinos, eine Allegorie über die große Frage, wie sehr eine einzelne Handlung dein Leben verändern kann (was auch im neuen Film von entscheidender Bedeutung ist). Was es eindeutig nicht war: Charakterkino. Und genau das ist „Der Krieger und die Kaiserin“: Tykwer entwickelt mit Bodo und Sissi zwei ungemein starke, dramatische und in ihrer Bedeutung fast schon übermenschliche Figuren. Die symbolischen Bezeichnungen Krieger und Kaiserin haben dabei absolute Berechtigung, versinnbildlichen sie doch nicht nur die Rollen der beiden, sondern auch ihre Konflikte: „Krieger“ Bodo ist ein ehemaliger Soldat, führt jedoch einen inneren Kampf, der härter und schmerzhafter ist als jede Schlacht. Und „Kaiserin“ Sissi ist so etwas wie die gütige Herrscherin in der geschlossenen Abteilung, bei Patienten und Kollegen gleichermaßen beliebt, die jedoch den Schritt hinaus aus ihrem „Reich“ wagen muß, hinein in die Welt „da draußen“. Denn: Irgendwo da draußen wartet die Liebe.
Das ist die ebenso einfache wie wirksame Werbezeile für diesen Film, und diese fasst in der Tat einfach und wirksam den Kern zusammen: Trotz Gewalt, Verbrechen, Mord, Verzweiflung, Selbstzerstörung und vielen anderen häßlichen Dingen, die in diesem Film passieren, geht es doch vor allem um eins: Die Liebe. Die vielleicht nur über steinige, gewundene und gefährliche Pfade zu finden ist, aber einzig und allein die Kraft besitzt, dich und dein Leben zu verändern. Wenn Sissi den sich sträubenden Bodo konfrontiert, und sie all dies spürt, aber nicht weiß, wie sie es ausdrücken soll; wenn die Kommunikation in Sätze verfällt, die sich gerade deshalb auf der Leinwand so komisch anhören, weil sie nur in der Realität, aber nie im Film vorkommen; dann triumphiert Tykwer in der Inszenierung der packendsten, intensivsten aber auch schwierigsten Liebesgeschichte, die es seit langem im deutschen Kino gab, und wird dabei phänomenal unterstützt von zwei Hauptdarstellern, die in ihrer gesamten Karriere noch nie so gut waren. Franka Potente und Benno Führmann können nach diesem Film endgültig nicht mehr als deutsche Jungstars belächelt werden. Sie gehören eindeutig zu den ganz Großen des hiesigen Schauspieltums.
„Der Krieger und die Kaiserin“ gehört nicht zu jenen Filmen, die einen sprachlos aus dem Kino entlassen und die erstmal mehrere Stunden Aufarbeitungszeit verlangen (wie z.B. „Lola rennt“). Er ist aber auch wesentlich mehr als eine simple Love Story mit Hindernissen. Dafür sind die Figuren zu kraftvoll, die Konflikte zu schmerzhaft und der Weg zum Ziel zu steinig, denn Krieger und Kaiserin kommen nirgendwo hin, ohne etwas aufzugeben oder zu verlieren. Wenn am Ende die Kamera langsam davonfliegt und ruhige Musik das Lola-mäßige Hauptmotiv vergessen läßt, kann man sich in der Gewissheit zufrieden zurücklehnen, daß Tom Tykwer noch etwas zu sagen hat. Eine Faustregel in der Glitzerwelt des Showbiz lautet: Die erste Arbeit nach dem großen Durchbruch ist immer die schwerste. Tykwer hat dies eindrucksvoll hinter sich gebracht.
Originaltitel
Der Krieger und die Kaiserin
Land
Jahr
2000
Laufzeit
129 min
Genre
Regie
Release Date
Bewertung
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