Der folgende Text entstand anlässlich der 2003 veröffentlichten DVD-Special Edition von "Der König der Löwen". Am 10.11.2011 wurde der Film im Kino wiederaufgeführt, in einer neuen und überarbeiteten 3D-Fassung.
Tut mir leid, aber an dieser Stelle muss ich einfach eine persönliche Anekdote einbringen. Denn das erste Mal, dass ich "Der König der Löwen" sah, gehört zu den ersten unvergesslichen Erlebnissen meiner Filmfreak-Karriere. Es war in einem kleinen Kino in der tiefen rheinischen Provinz der Eifel, ein Saal von Wohnzimmerausmaßen, mit kaum mehr als 40 Sitzen, wo die besten Plätze tatsächlich in der ersten Reihe waren, weil sich die nicht mal drei Meter breite Leinwand dort am besten ans Sichtfeld anpasste. Als das Licht ausging, dauerte es genau vier Minuten, und mein Verständnis von dem, was mit der Symbiose von Bild und Ton gemacht werden kann, hatte eine neue Dimension erreicht. Auch wenn ich so gesehen vielleicht ein bisschen subjektiv vorbelastet bin, mein Urteil steht: "Der König der Löwen" ist der beste Film, der je aus den Disney-Studios gekommen ist.
So eine Aussage will natürlich sofort relativiert werden: Nicht mitgezählt werden hier all jene Filme, auf denen zwar Disney draufsteht, die treibende kreative Kraft aber woanders her kommt (also z.B. alle von den Pixar-Studios für Disney produzierten Computeranimationsfilme). Gemeint ist hier der Disney-Film wahrlich klassischer Prägung - was angesichts der überragenden Dominanz des Mäuse-Konzerns im Animationsgenre im Prinzip gleichbedeutend ist mit klassisch für die ganze Gattung. Wir sprechen hier von einer oftmals mythischen, stets zeitlosen Geschichte, deren Auseinandersetzung mit allgemeingültigen Motiven (die Überwindung eigener Schwächen, dem Heranwachsen zu einem besseren Menschen, die große Liebe) aufgelockert wird von einigen Musiknummern, die diese Filme seit jeher zu kleinen Semi-Musicals machten - und in den meisten Fällen das Element sind, an das sich das Publikum Jahre später am besten erinnert, man denke z.B. an das unsterbliche "Probier's mal mit Gemütlichkeit" aus dem "Dschungelbuch" - dessen Status sich das allgegenwärtige "Hakuna Matata" aus diesem Film ebenfalls anzueignen versucht.
"Der König der Löwen" ist ein Paradebeispiel dieser klassischen Disney-Form, und die angesprochenen ersten vier Minuten sind fast schon allein Beweis dafür, wie hier die Kunst großartigen Filmemachens zelebriert wird: Kongenial unterlegt mit den afrikanischen Gesängen von Lebo M. feiern die ersten Bilder des Films die Vielfalt, Weite und Schönheit Afrikas, der einsetzende Eröffnungssong "Circle of Life" führt das Oberthema der Geschichte ein, und ohne ein einziges Wort wird der Zuschauer mit der Ausgangssituation des Films - die Geburt eines neuen Thronerben im Tier-Königreich - vertraut gemacht. All dies zusammengeführt in einer derart perfekten Harmonie aus Musik und Bildern, dass man sich das eine ohne das andere kaum noch vorstellen kann, und auch beim fünfzigsten Ansehen die wohlige Gänsehaut die ungebrochene Wirkung des Ganzen bestätigt. Zumindest bei mir.
Mit so einer unglaublichen Eröffnung hat man seine Zuschauer sofort gewonnen, und braucht von da an eigentlich nur nichts mehr falsch machen. Dem "König der Löwen" gelingt genau das, allerdings mit dem kleinen Bonus, dass er nicht nur nichts falsch macht, sondern auch noch alles richtig. Die effiziente, schnörkellose Storyführung, die genug Raum für die extensiven Musiknummern lässt und den Film trotzdem unter 90 Minuten hält; die - gerade für einen Disneyfilm - recht bemerkenswert funktionierende Charakterzeichnung, die selbst den comic relief-Charakteren Zazu, Timon und Pumbaa genug Persönlichkeit einhaucht, um aus ihnen ein bisschen mehr als Witzfiguren zu machen (eine Sache, die in darauf folgenden Disney-Filmen fast gar nicht mehr gelang); und die erstaunlich ausgereifte Inszenierung, die mit der einfühlsamen Behandlung sehr ernsthafter Thematiken wie dem Tod oder dem Finden des eigenen Lebensweges auch ein erwachsenes Publikum bei der Stange halten konnte und so das Erfolgsgeheimnis eines wirklich großartigen Animationsfilms erfüllte: dass man sowohl für Kinder als auch für Erwachsene ein perfektes Stück Kino-Unterhaltung abliefern muss, was selbstredend auch große Emotionen bedeutet. In der Tat ist der Tod des Löwenkönigs Mufasa nicht selten verglichen worden mit dem größten Tränenschocker in der Disney-Geschichte, der Sterbeszene von Bambis Mutter.
Dies kann als weiteres Indiz dafür genommen worden, wie traditionsbewusst "Der König der Löwen" erzählt ist, gleichzeitig markierte der Film jedoch in mehrfacher Hinsicht einen bedeutenden Scheidepunkt für den Disney-Konzern und das gesamte Animationsgenre an sich. Denn es war hier, dass erstmals in größerem Umfang Computeranimationen eingesetzt wurden, um die Handarbeit der Zeichner zu unterstützen und Szenen umzusetzen, die ohne technische Hilfe schlichtweg nicht zu koordinieren waren. Das perfekte Beispiel: Die Stampede-Szene, an deren Ende der Tod Mufasas steht, nach der Eröffnungssequenz der wohl beeindruckendste Teil des Films. Die Bewegungen und Laufwege der gesamten Gnu-Herde wurden vom Computer kontrolliert, eine Tatsache, die man dem Endergebnis so gut wie nicht ansieht (diese gelungene Verschmelzung von manueller und Computer-Animation ist es, an der eigentlich alle darauf folgenden Werke scheiterten und darum stets eine sehr störende Künstlichkeit ausstrahlten). Angesichts dieser Präsentation neuer Möglichkeiten ist es nicht weiter verwunderlich, dass die Computeranimation schon ein Jahr später mit "Toy Story" ihren Siegeszug antrat und klassische Techniken inzwischen so gut wie vom Markt verdrängt hat.
Doch nicht nur die Computeranimation war neu, es gab auch bei der Personal-Besetzung ein paar Änderungen, die das Gesicht und Erscheinen kommender Animationsfilme entscheidend beeinflussen sollten. So wurden bei "Der König der Löwen" erstmals massiv bekannte Synchronsprecher eingesetzt, um diese Darsteller - obwohl gar nicht zu sehen - als Werbeträger für den Film nutzen zu können. Ein Effekt, der dadurch erhöht wurde, dass die entsprechenden Charaktere in ihren Gesichtszügen ganz bewusst ihren Synchronsprechern nachempfunden wurden. Heraus stechendes Beispiel ist dabei Jeremy Irons' diabolischer Scar, der charismatischste und beste Disney-Bösewicht seit dem legendären Shere Khan. "Der König der Löwen" war nicht der erste Film, in dem dies versucht wurde, diese Ehre gebührt Robin Williams' kongenialer Vorstellung als Flaschengeist in "Aladdin", aber hier wurde das Prinzip erstmals auf die halbe Besetzung ausgedehnt. Andere tatsächlich wieder erkennbare Gesichter gehören z.B. dem unnachahmlichen James Earl Jones als Mufasa, "Mr. Bean" Rowan Atkinson als Zazu, Whoopi Goldberg und Cheech Marin als Hyänen, Komiker Nathan Lane als Timon sowie Matthew Broderick als erwachsener und Jonathan Taylor Thomas - einer der Söhne aus "Hör mal wer da hämmert" - als junger Simba.
Die berühmten Gesichter tauchten indes nicht nur hinterm Synchro-Mikrophon auf: Nachdem Komponist Alan Menken ein halbes Dutzend Oscars in Folge für den Disney-Konzern einsammeln konnte, musste er hier Platz machen für einen etwas bekannteren Klavierspieler: Elton John höchst selbst übernahm die Komposition der Filmsongs, während der deutsche Hans Zimmer den restlichen Score beisteuerte. Hier begann die neue Disney-Tradition, mit den großen Namen altverdienter Rockstars den Soundtrack-Verkauf aufzupeppeln und den Komponisten als Dank noch schnell einen Oscar zuzuschustern. Was zwar fast jedes Mal klappt, dennoch kann das seichte Gedudel, das Phil Collins dieser Tage für Disney konzipiert, nicht annähernd mit den Songs von Elton John mithalten, die in der Tat durch die Bank großartig ausfielen.
So ist es denn auch - wieder einmal - die Musik, die auch oder vor allem diesen Disney-Film so unvergesslich macht. Elton John und besonders Zimmer übertrafen sich hier selbst und kreierten gemeinsam den wohl besten Soundtrack, den es je für einen Animationsfilm gab. Die Art und Weise, wie sich ihre Kompositionen an die Bilder anschmiegen und untrennbar mit ihnen zu verschmelzen beginnen, das ist schiere Großartigkeit. Die Dauervergabe der beiden Musik-Oscars an Disney war in den Neunzigern ein stetes Ärgernis, doch in diesem Falle war die Entscheidung jenseits jeder Diskussion.
Regie-Legende Howard Hawks antwortete einmal auf die Frage, was man braucht um einen großartigen Film zu machen: Drei gute Szenen, keine schlechten Szenen. Auch wenn Hawks wohl nicht damit rechnete, dass jemand seine Theorie einmal auf einen Zeichentrickfilm anwenden würde: Schlechte Szenen gibt es hier keine, und mit der Eröffnung, der Stampede-Szene, sowie dem hochdramatischen Showdown zwischen Scar und Simba auf dem Pride Rock, während dem bei nahendem Unwetter passenderweise der Blitz einschlägt, um ein atmosphärisch nützliches Feuer zu entzünden, wären auch die drei guten mehr als ausreichend abgedeckt.
Dass "Der König der Löwen" in der Tat in so ziemlich jeder Hinsicht der Höhepunkt im Schaffen des Disney-Konzerns war, beweisen auch die nackten Zahlen. Trotz aller inflationären Preissteigerungen blieb er bis zu diesem Jahr der finanziell erfolgreichste Film im kommerziell äußerst ergiebigen Animationsgenre, und ist nach wie vor einer der zehn erfolgreichsten Filme aller Zeiten - auch in Deutschland, wo den Film mehr als 11 Millionen Menschen im Kino sahen.
Ein Film also, den man kaum genug würdigen kann, und dies geschieht nun endlich auch digital: Lange Zeit musste man auf die Special Edition DVD warten, doch nun ist sie endlich da, und ist wahrlich ein Paradebeispiel dafür, wie man mit einem solchen Film umzugehen hat.
Für die Restauration und Überarbeitung von Bild und Ton war die vor zwei Jahren vorgenommene Adaption des Films ins IMAX-Format sicher von Nutzen, so dass das Ergebnis auf der DVD ähnlich beeindruckend ausfällt: Hervorragend ausgewogene, brillante Farben und eine beeindruckende Akustik geben einen sehr guten Eindruck davon, was "Heimkino" tatsächlich bedeuten kann.
Was indes immer noch nicht bei der Auflösung der vielleicht hartnäckigsten Anekdoten-Legende zum Film hilft: In der Szene, als Simba mit Timon und Pumbaa über die Bedeutung der Sterne am Himmel redet und anschließend deprimiert von dannen zieht, lässt sich der Löwe entmutigt ins Gras fallen. Der dabei aufgewirbelte Blütenstaub soll für einen Sekundenbruchteil das Wort "SEX" formen. Das kann man so sehen, muss man aber nicht: Selbst in digitaler Bildqualität bleibt es immer noch Interpretationssache, ob die geschwungenen Formen bloßer Zufall sind, oder von den Zeichnern wirklich so gelesen werden wollten.
Eine klitzekleine Neuerung hat der Film auf DVD auch noch zu bieten: Animationsfilme produzieren naturgemäß keinen großen Mengen an "Deleted Scenes", da für gewöhnlich nur das gezeichnet wird, was man auch wirklich braucht, doch hier gibt es eine Ausnahme, natürlich musikalisch: Zazus "Morning Report" an den König war ursprünglich in Liedform und ist es in dieser Special Edition auch wieder. Ein netter und sprachlich sehr lustiger Song, allerdings ist gut nachzuvollziehen, warum man sich damals zur Kürzung entschloss: Derart ausgedehnt so früh im Film fungiert diese relativ belanglose Szene eher als Showstopper denn als unterhaltendes Element und funktioniert in gestutzter Form weitaus besser.
Die meisten Punkte sammelt das DVD-Set mit der wirklich sehr reichhaltigen Extra-Disc ein, die ohne Untertreibung so ziemlich jeden erdenklichen Aspekt des Films abdeckt, bis hin zu einer extensiven Vorstellung über die Umsetzung des Films in ein weltweit erfolgreiches Bühnen-Musical. Der Großteil dieser Extras ist zwar eindeutig aus der PR-Abteilung von Disney entwachsen, und das ständige Loben der großen Leistungen der Firma können etwas nerven, ändern aber nichts daran, dass das unglaublich vielfältige und umfangreiche Bonus-Material kaum einen Wunsch offen lässt und wirklich auf alles eingeht, nicht nur, was die Produktion dieses Films allein betrifft. So gibt es z.B. sogar eine Dokumentation über die Tradition des Disney-Konzerns, Animationsfilme mit Tieren als Helden zu produzieren.
Die Specials sind zu zahlreich, um auf alles einzeln einzugehen, besonders erwähnt sei hier nur noch ein Zusammenschnitt aus internationalen Synchronisations-Fassungen des Films, mit zugehöriger Doku darüber, wie viel Mühe sich Disney mit den Übersetzungen seiner Projekte gibt, damit das Filmerlebnis für das Publikum weltweit möglichst dasselbe bleibt. Auch wenn das natürlich auch eine Marketing-motivierte Überlegung ist: Es wird hier schon deutlich, dass Disney hinsichtlich des Begreifens der gesamten Welt als Filmmarkt und des Eingehens auf die besonderen Bedürfnisse nationaler Segmente desselben Pionierarbeit geleistet hat, hinter der andere Studios immer noch hinterher hinken.
Einzig merkwürdig ist die Menü-Führung der Bonus-Disc: Benannt nach den sechs Kontinenten der Erde (die Antarktis wurde ignoriert), gibt es hier mehrere Untermenüs, in denen sich verschiedene Extras befinden. Allerdings finden sich manche Extras in mehreren Menüs, so dass nicht ganz klar wird, nach welchen Kriterien hier überhaupt sortiert wurde (so findet man z.B. im Menü "Europa" sämtliche Materialien, die auch bei "Südamerika" verfügbar sind). Was diese Menüs sollen, ist ohnehin schleierhaft, weil im Hauptmenü ein weiterer Satz Untermenüs aufgerufen werden kann, die ganz klar benannt sind (z.B. Bühnenfassung, Geschichte und Legenden, Musik etc.), und in denen die gesamten Extras nochmals - korrekt thematisch geordnet - abgerufen werden können. Was diese Menü-Doppelung soll bleibt das Geheimnis des verantwortlichen DVD-Designers.
Abgesehen von dieser unglücklichen Struktur gibt es aber nichts an der Ausstattung auszusetzen: Man hat nicht nur altes Making of-Material recycelt, sondern auch neue Dokumentationen angefertigt, so dass auch ein Beitrag namens "Ein Blick zurück" vorhanden ist, indem die kreativen Kräfte des damaligen Teams nochmals auf das Phänomen des Films zurückblicken.
Typisch Disney gibt es auch einige besonders kinderfreundliche Extras, wie eine Mitsing-Option, so dass während des Films alle Lieder dank eingeblendeter Untertitel fröhlich mitgeträllert werden können. Nett gemachte Tier-Dokumentationen informieren über die verschiedenen Arten aus dem Film und ein paar "Spiele" mit Timon und Pumbaa werden zumindest für die Kleinen sicherlich unterhaltsam sein.
Nicht nur ein Familienfilm also, sondern auch eine Familien-DVD. Eines muss man den Leuten von Disney lassen: Wenn sie etwas richtig machen, dann machen sie es auch wirklich richtig. Das gilt - im Falle von "Der König der Löwen" - sowohl für den makellosen Film, als auch für die ähnlich makellose DVD.
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