"Es gibt mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, als sich deine Schulweisheit träumen lässt" sagt Shakespeares Hamlet in einem berühmten Zitat zu seinem Freund Horatio, und es ist bezeichnend für die Ignoranz, die wir Menschen für gewöhnlich der Wunderwelt der Meere entgegenbringen, dass auch Master William seinerzeit nicht an die Dinge unter der Oberfläche gedacht hat. Siebzig Prozent der Erdoberfläche sind mit Wasser bedeckt, und darin findet sich der reichhaltigste und wundersamste Lebensraum unseres Planeten - nur eben dort, wo wir selten hinsehen. Um die unglaublichen Wesen und Szenerien in Erinnerung zu rufen, die sich dort erfolgreich vor dem menschlichen Auge verstecken, gibt es wohl kaum eine bessere Gelegenheit als den in fast fünfjähriger Detailarbeit entstandenen Dokumentarfilm der beiden Briten Alastair Fothergill und Andy Byatt.
Wer sich vor ein paar Monaten von den erstaunlichen und bunten Wasserwelten in "Findet Nemo" hat verzaubern lassen, der wird hier viel Bekanntes wiederfinden - einzig mit dem Unterschied, dass hier nichts gezeichnet, sondern alles echt ist. Fothergill und Byatt drangen mit ihren Kameras teilweise in Tiefen vor, die noch nie ein Menschenauge gesehen hat, und ließen ihre Objektive vermeintlich schwerelos mit und durch Fischschwärme und Korallenriffs tauchen, so dass man in einem Rausch wahrlich unglaublicher Bilder nur kurz einen Gedanken daran verlieren kann, wie sie das nur alles hinbekommen haben.
Aber solcherlei Überlegungen sollte man sich für später aufheben, und für 90 Minuten einfach nur die einmalig schönen und bezaubernden Aufnahmen von "Deep Blue" genießen, der mit einem spärlich eingesetzten Erzähler nur ein Minimum an Informationen vermittelt und ansonsten mit einer hervorragenden musikalischen Unterlegung durch die Berliner Philharmoniker die visuelle Symphonie auf der Leinwand auch noch um eine akustische bereichert.
Die gesamte Bandbreite an Erlebnis- und Sinneseindrücken, die der tiefe Ozean bereithält, fängt "Deep Blue" ein: Von dem erstaunlichen Schauspiel einer halben Million Albatrosse zusammengepfercht auf einer kleinen Insel mitten im maritimen Nirgendwo, über das immer leicht belustigende Schauspiel von Pinguinen auf Wanderschaft, zu gigantischen Fischschwärmen, deren unfassbar schnelle und präzise Formationswechsel unwillkürlich an die Maschinenmassen aus der "Matrix" erinnern, und letztlich sogar eine Begegnung mit einem der bizarren Anglerfische, die sich dort aufhalten, wo kein Lichtstrahl mehr hindringt.
So steigert sich "Deep Blue" zu einer faszinierenden, beizeiten wirklich atemberaubenden Schau des Außergewöhnlichen und Fantastischen, an deren Ende man sich fast schon in einem Science-Fiction-Film wähnt - und sich dann selbst daran erinnern muss, dass diese unglaublichen Kreaturen auf unserem Planeten leben, dass so etwas irgendwo jeden Tag geschieht. Und dass es auch weiterhin geschehen sollte. Ohne auch nur einmal merklich mit dem moralischen Zeigefinger zu wackeln, transportiert "Deep Blue" so seine unterschwellige Kernaussage: Dies ist eine Welt, die es wert ist erkundet, und nicht zerstört zu werden.
Filme wie "Deep Blue" sind unschätzbare Erlebnisse, eben weil sie einen an jene Teile unserer Welt erinnern, die man im Alltag ausblendet und vergisst, und so letztlich in der Lage sind, unseren Sinn für das Wundersame, fürs Staunen am Leben zu erhalten. Makellos und fabelhaft gelungen kann sich "Deep Blue" gleich neben "Nomaden der Lüfte" einreihen in der Ruhmeshalle der besten Tierdokumentationen aller Zeiten.
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