
Der spanischen Regisseurin Isabel Coixet gelang bereits im Filmjahr
2003 mit "Mein Leben ohne mich" ein kleines Filmwunder.
Sarah Polley ("Don't come knocking",
"Dawn of the Dead") spielte
darin eine junge Mutter, die eine tödliche Krebs-Diagnose erhält,
diese niemandem anvertraut und für sich selbst eine Liste mit
letzten Dingen erstellt, die sie vor ihrem Tod noch erleben möchte.
Die Hauptrolle
in ihrem neuen Film "Das geheime Leben der Worte" schrieb
Coixet der kanadischen Schauspielerin auf den Leib, und schafft
mit ihrer Protagonistin und einem starken Drehbuch erneut ein kleines
Juwel, eine wunderbare Hommage an das Leben.
"Das geheime Leben der Worte" erzählt von verletzten
Menschen und den künstlichen Inseln, auf die sie sich zurückziehen,
und dass ausgerechnet an diesen einsamen, rauen Orten zarte Liebesgeschichten
entstehen können.
Hanna (Sarah Polley) arbeitet in einer Fabrik. Zum Schutz vor dem
Lärm ihrer Umwelt und der Nähe ihrer Kollegen lässt
die Schwerhörige ihr Hörgerät meist ausgeschaltet.
Hannas Gewohnheiten tragen autistische Züge: sie isst tagtäglich
ausschließlich Hühnchen mit Reis, wirft ihre Seife nach
nur einmaligem Benutzen weg und hält ihre Wohnung klinisch
sauber. Hanna hat sich in diesem Leben eingerichtet - zum Unverständnis
und Unwillen ihrer Umwelt. Und so bricht eines Tages das Unplanmäßige
über sie herein: Ihr Chef verhängt nach jahrelanger Betriebszugehörigkeit
ohne einen einzigen freien Tag und ohne Kontakt zu den Kollegen
einen sofortigen Zwangsurlaub. Für Hanna ist das eine fast
bedrohliche Situation, der sie an ihrem Ferienort, einem grauen
Küstenstädtchen, schnell entflieht: Sie heuert als Krankenschwester
für ein schwerverletztes Brandopfer auf einer Ölbohrinsel
mitten im Atlantik an.
Nach einem Brand, der das Leben eines Arbeiters forderte, sind nur
noch wenige Männer auf der Ölplattform geblieben: der
Koch Simon (Javier Cámara), ein Meeresbiologe, zwei Maschinisten,
der Vorarbeiter und Josef (Tim Robbins), der sich in dem Feuer schwere
Verletzungen zugezogen hat und vorübergehend
erblindet ist. Josef versucht, seiner Situation mit Ironie zu begegnen,
und redet verzweifelt gegen seinen Zustand an. Hanna ist sein einziger
Kontakt zur Außenwelt, doch ein Gespräch mit seiner schweigsamen
Pflegerin anzufangen, gelingt Josef nicht. Hanna versorgt ihn gewissenhaft,
fast mechanisch, zeigt jedoch keinerlei Interesse an einem zwischenmenschlichen
Kontakt. Bis sie in Josefs Kajüte sein Handy findet, auf dem
die von ihm nicht abgehörte Liebeserklärung einer Frau
eingegangen ist.
Hanna hört diese Nachricht wieder und wieder ab. Sie beginnt,
hinter Josefs teilweise derben Kommunikationsversuchen einen auch
innerlich verletzten Menschen zu erkennen. In der Abgeschlossenheit
der künstlichen Insel im Meer öffnen sich die Krankenschwester,
deren einzige Verteidigung gegen die Welt das Schweigen ist, und
ihr Patient, der seine Einsamkeit durch Worte zu überwinden
sucht, einander ganz langsam. Doch als Beide sich schließlich
ihre tiefsten Verletzungen offenbaren können, bricht das neu
gewonnene Vertrauen jäh auseinander.
Die Schatten der Vergangenheit, die Hanna Josef offenbart, sind
schockierend und geben dem Film eine radikale Wendung. Isabel Coixet
führt uns ganz nah an eine Figur heran, über deren Vorleben
wir nichts erfahren, von der wir nur eine stoisch beherrschte Routine
zu sehen bekommen. Sie macht uns zu Zeugen der Liebesgeschichte
zwischen den beiden Protagonisten, die sich ganz langsam in einem
von
der alltäglichen Welt völlig abgetrennten, aber gleichzeitig
sehr nahen Raum entwickelt. Für diese kammerspielartige Situation
hat Coixet mit Sarah Polley und Tim Robbins zwei großartige
Schauspieler besetzt, die in ihren physisch gehandicapten Figuren
sämtliche Facetten ihrer Tiefen - aber auch Oberflächen
- ausloten. Und obwohl sie uns in die schwärzesten Abgründe
dessen hinabführt, was Menschen aneinander antun können,
erzählt Coixet von der Hoffnung und der heilenden Kraft der
Liebe.
Kritik am Gegenstand ihres Films muss Coixet sich sicher gefallen
lassen. Um den Schluss nicht vorweg zu nehmen, soll dieser hier
nicht verraten werden. Die Regisseurin gibt für aufmerksame
Verfolger der Zeitgeschichte versteckte Hinweise, etwa mit dem Namen
der Ölbohrinsel. Dennoch kann zur Diskussion gestellt werden,
ob es legitim ist, ein derart verstörend-komplexes Thema quasi
aus dem Hut zu zaubern. Es sei aber darauf hingewiesen, dass uns
Hannas Schicksal als Zuschauer so trifft, wie es uns vermutlich
auch im "wahren" Leben außerhalb des Kinodunkels
getroffen hätte - nämlich völlig unvorbereitet, obwohl
wir doch eigentlich so nah dran waren.
Mit "Das geheime Leben der Worte" ist Coixet ein zugleich zutiefst verstörender wie beglückender Film mit hervorragenden Darstellern gelungen - neben Sarah Polley und Tim Robbins Javier Cámara als Koch Simon, der heimlich in Hanna verliebt ist und die Essenszubereitung in stoischer Ignoranz seiner banausischen Kollegen jeden Tag aufs Neue hingebungsvoll zelebriert, sowie Julie Christie als Hannas Therapeutin. "Das geheime Leben der Worte" stellt in seiner Intensität und mit seinen kleinen, skurrilen Szenen, die diese immer wieder sanft aufbrechen, noch eine Steigerung zu "Mein Leben ohne mich" dar - und lässt Coixets nächsten Projekten entgegenfiebern.
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