
Im Alter von 15 Jahren bekam der gerade erblindete Amerikaner Erik Weihenmayer das Angebot, an einem Kletterkurs teilzunehmen. Er erinnert sich, wie er dachte "Was für ein Idiot kommt nur auf die Idee, mit blinden Kindern klettern zu gehen?". 18 Jahre später bestieg er als erster Blinder den höchsten Berg der Welt, den Mount Everest.
Sabriye Tenberken aus Deutschland erblindete im Alter von 12 Jahren, studierte Tibetologie und zog nach Tibet, um dort die erste Schule für Blinde zu eröffnen. Blinde gelten dort als Sünder oder als von Dämonen besessen und leben oftmals als Ausgestoßene am Rande der Gesellschaft. Unter Sabriyes Anleitung lernen die Kinder deshalb nicht nur mehrere Sprachen, sondern bekommen vor allem ein gesundes Selbstwertgefühl, Zitat: "Wir sind zwar blind, aber wir können alles!"
Als Sabriye Erik bittet, ihre Schule zu besuchen, wird daraus ein abenteuerliches Unterfangen: Er will mit sechs ihrer Schüler den Lhakpa Ri, einen 7000 Meter hohen Nebengipfel des Mount Everest besteigen. Jedem der Jugendlichen wird ein sehender Bergsteiger zur Seite gestellt, trotzdem ist die Expedition nicht nur eine waghalsige seelische und körperliche Herausforderung, sondern artet zuletzt auch in einen Konflikt zwischen westlicher und östlicher Philosophie aus.
Lucy Walkers Film ist in absolut jeder Hinsicht bemerkenswert. Erstens technisch - der Zuschauer vergisst schnell, dass hinter all den atemberaubenden Bergsteigeraufnahmen ein unter der Last des Equipments schwitzender Kameramann steht, der ebenso wie der Rest des Teams unter Sauerstoffmangel und Höhenkrankheit leidet. Zweitens logistisch - wer in Tibet und vor allem China dreht, bekommt einen Aufpasser zur Seite, der jederzeit Material konfiszieren und alle Beteiligten unter Arrest stellen kann. Drittens ethisch - der Film zeigt, wie die Bergsteiger umkehren müssen, bevor sie ihr ursprüngliches Ziel erreicht haben, obwohl Medien und Sponsoren sich nach einem Bild der Gruppe auf dem Gipfel des Berges die Finger leckten. Anstatt gefährliche Handlungen um der Bilder willen zu ermutigen, machte das Filmteam die Sicherheit und Solidarität mit den Mitwirkenden zur obersten Priorität und veränderte den Fokus des Films.
Darüber hinaus ist der Film von der ersten Sekunde an spannend und mitreißend. Lucy Walker lässt ihre Protagonisten und vor allem die Bilder sprechen, anstatt alles lückenlos zu kommentieren. Dem Publikum bleibt gar nichts anderes übrig, als mit den Protagonisten mitzufiebern, und das Schönste ist: Sabriye, Erik und die sechs Jugendlichen sind echte Menschen, keine Figuren. Am Ende bleibt nur Bewunderung für diese mutigen Helden des Alltags, die im gewöhnlichen Leben mehr Prüfungen auszustehen haben als jeder Actionfilm-Held. Das erklärt wohl auch, warum der Film sowohl auf der Berlinale, dem Palm Springs Film Festival als auch auf dem AFI Filmfestival in Los Angeles mit dem Publikumspreis ausgezeichnet wurde.
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