Antwone Fisher

Originaltitel
Antwone Fisher Story
Land
Jahr
2003
Laufzeit
120 min
Genre
Release Date
Bewertung
7
7/10
von Bernd Fleischer / 6. Januar 2011

Es beginnt wie im Märchen: schier unendlich weite Kornfelder, Ähren, die sich geräuschlos im Wind wiegen und große gedeckte Tafeln, mit allem, was das Herz begehrt. Mitten in diesem Schlaraffenland steht ein kleiner schwarzer Junge mit staunenden Augen. Während er langsam an den voll beladenen Tischen entlang geht, lächeln ihn erwachsene Frauen und Männer an. Es sieht so aus, als stünde seine gesamte Großfamilie Spalier - und das nur ihm zu Ehren.

Doch dann wacht Antwone Fisher (Derek Luke) auf. Er ist erwachsen und findet sich in der ungemütlichen Enge seiner Kajüte auf einem Kriegsschiff der US Navy wieder. Fisher ist ein tüchtiger Marinesoldat, schweigsam und ein wenig schüchtern. Er betrachtet die Navy als große Chance und gleichzeitig als den einzigen Ausweg aus einer perspektivlosen Jugend. Vielleicht ist gerade deshalb sein auffällig hohes Aggressionspotential ungewöhnlich. Schon bei der kleinsten Provokation verliert Antwone die Kontrolle und prügelt sich mit seinen Kameraden. Kein Wunder, dass er seinen Vorgesetzten schon länger ein Dorn im Auge ist. Als er wegen einer Hänselei erneut eine Schlägerei vom Zaun bricht wird er bestraft und zu dem Navy-Psychologen Dr. Jerome Davenport (Denzel Washington) in die Therapie geschickt. Dieser soll die Ursachen für das jähzornige Verhalten seines Patienten finden. Doch Antwone traut dem Seelenklempner nicht und lässt ihn auf eine Mauer des Schweigens und der Ablehnung prallen. Seine einzige Offenbarung ist die, er habe keine Eltern und sei "unter dem Stein" gefunden worden.

In der Folgezeit erlebt der Zuschauer wie Dr. Davenport es mühselig schafft, die harte Schale des verschlossenen Marinesoldaten zu knacken. Das sind die amüsantesten Szenen des Films, denn der Psychiater benötigt neben einer Engelsgeduld allerlei Tricks, um Antwones Vertrauen zu gewinnen. Was er dann aber erfährt ist schockierend: Antwone wurde als vaterloses Kind in einem Gefängnis geboren. Er wuchs zunächst in einem Waisenhaus und dann bei seiner Pflegemutter Mrs. Tate auf, die ihn geprügelt und schwer misshandelt hat. Angst und Demütigungen begleiteten ihn während seiner gesamten Kinder- und Jugendzeit. Und dann musste Antwone auch noch erleben, wie sein bester Freund erschossen wurde.

Immer häufiger vertraut sich Antwone seinem Psychologen an. Dabei geht es schon bald nicht mehr nur um die Bewältigung der Vergangenheit, sondern auch um Probleme der Gegenwart und der Zukunft. Antwone ist in diehübsche Cheryl verliebt. Weil er jedoch noch keinerlei Erfahrungen mit Frauen hat, bittet er den Doc um Ratschläge. So entsteht eine Art Vater-Sohn-Beziehung, die Antwone gelegentlich erlaubt, einen Einblick in Davenports nicht gerade glückliches Privatleben zu bekommen. Damit wird eine völlig überflüssige zweite Ebene eröffnet, die wie ein Fremdkörper in der ansonsten tadellosen Inszenierung wirkt. Die Eheprobleme des erfolgreichen Psychiaters lenken nicht nur von vom eigentlichen, ohnehin sehr komplexen Thema ab, sondern sorgen auch dafür, dass am Ende der Kitschfaktor unnötig in die Höhe getrieben wird.

Dabei hat es Denzel Washington gar nicht nötig, sich ins Rampenlicht zu setzen. Seine schauspielerische Leistung ist wie immer grundsolide. Wie so häufig spielt er einen charismatischen, integren Charakter, der seine moralischen Prinzipien und Werte an andere weitergeben will. Bei seinen zahlreichen Rollen hat sich der zweifache Oscarpreisträger (Bester Hauptdarsteller in "Training Day" 2001 und Bester Nebendarsteller in "Glory" 1989) stets an eine simple Philosophie gehalten: "Weniger ist mehr". Wieso er seinem Leitspruch diesmal nicht ganz gefolgt ist, bleibt ein Rätsel und bringt dem Film Abzüge. Schade, denn bei seiner ersten Regiearbeit macht Washington fast alles richtig. Er besorgte sich eine emotional starke Story, die auf der wahren Lebensgeschichte von Antwone Fisher basiert und fand mit Derek Luke einen jungen Darsteller, dem man überhaupt nicht ansieht, dass er gerade sein Spielfilm-Debüt absolviert.

Überhaupt scheint die Vorgeschichte der "Antwone Fisher Story" genau so märchenhaft zu sein wie die Anfangssequenz. Nach einer elfjährigen Dienstzeit bei der Navy und drei Jahren als staatlich angestellter Strafvollzugsbeamter trat der echte Antwone Fisher einen Job als Parkwächter bei Sony Pictures in L.A. an. Dort hörte Produzent Todd Black von seiner unglaublichen Geschichte und schlug ihm vor, seine schon zu Papier gebrachten Memoiren in einem Drehbuch zu verdichten - was dieser dann auch tat. 
Auch Derek Luke hat ähnliches Glück. Er arbeitete in einem Geschenkladen, ebenfalls auf dem Sony-Studiogelände. Dort lernte er Fisher kennen und las sein Drehbuch. Beeindruckt, doch ohne große Hoffnung meldete er sich zum Casting - und begeisterte alle. 
Das dies mit Sicherheit auch im Kino passieren wird, verdankt der Newcomer nicht nur seinem besonderen Talent, sondern auch der überaus sensiblen Inszenierung. Letztendlich bleibt ihm - trotz angemerkter Kritik - immer noch genug Freiraum, um seiner Rolle die nötige Substanz und Glaubwürdigkeit zu verleihen. Das düstere Kapitel der Vergangenheit kann Antwone Fisher nämlich erst dann abschließen, wenn er das tut, wogegen er sich jahrelang gewehrt hat: Er muss seine richtige Familie finden. Das bedeutet für ihn eine dramatische und emotionsgeladene Reise zu den Wurzeln seiner Probleme. Nur wenn er diesen Trip übersteht, kann sich sein Traum vom Beginn erfüllen: Der Traum von einem wahrhaft glücklichen Thanksgiving.

 

Bilder: Copyright

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