Allein

Jahr
2005
Laufzeit
88 min
Genre
Release Date
Bewertung
8
8/10
von Kai Kollenberg / 5. Januar 2011

Maria (Lavinia Wilson) kann nicht allein sein. Um die Leere in ihr abzutöten, schläft sie mit jeder x-beliebigen Discobekanntschaft, schüttet Unmengen Alkohol in sich hinein oder verletzt sich schlussendlich selbst. Maria leidet am Borderline-Syndrom, bei dem Menschen über ein mangelndes Selbstwertgefühl verfügen und kaum einem anderen Menschen trauen können. Als sie schließlich Jan (Maximillian Brückner) trifft, scheint sie endlich einen Ausweg zu sehen - aber auch diese Beziehung gerät durch Marias Verhalten aus den Fugen.

Thomas Durchschlag geht mit seinem Spielfilmdebüt dahin, wo es weh tut. Die Kamera ist immer möglichst dicht an Maria, rückt ihr in jeder Szene sehr nahe und lässt so kaum Raum zwischen Maria und dem Zuschauer. Durchschlag lässt sich Zeit dabei, Marias Leiden zu verdeutlichen: Gespürte Ewigkeiten lang weilt die Kamera mit ihr reglos im Raum, bis sie ohne Grund aufspringt und ihr Inventar zerstört. Der Zuschauer ist ebenso wie Jan den Stimmungsschwankungen Marias ausgeliefert, die sich ohne Grund vollziehen: Wo die Frage nach dem Schlüssel zur Wohnungstür schon ausreicht, um Maria an Jans Liebe und an sich selbst zweifeln zu lassen, wo scheinbar Triviales Maria in starke psychische Bedrängnis bringt. 
Nie weicht das Geschehen von ihrer Seite, immer ist sie Dreh- und Angelpunkt des Geschehens. Voll und ganz widmet sich "Allein" dem langsamen Zerfall von Marias Psyche. Der Zuschauer ist Marias Eskapaden vollkommen ausgeliefert, hat keinen Fluchtpunkt im Film. Denn selbst über den vordergründig entspannten Szenen mit Jan liegt etwas Zwanghaftes, eine Stille, die unnatürlich wirkt. Das Gefühl, Maria würde zur Ruhe kommen, vollkommen entspannen, stellt sich nicht ein.
Und dennoch wertet Durchschlag das Handeln seiner Protagonistin nicht. Immer ist er nur der stille Beobachter, der Teil - aber nie Anteil - an Marias Handeln nimmt. So nennt der Film auch keinen Grund für Marias Borderline-Syndrom, spart vollkommen mit Erklärungen. Hier geht es eben nicht um das "Warum". Durchschlag legt das Hauptaugenmerk mehr darauf, wie sich die Krankheit äußert und wo Auswege liegen könnten. Dass er Maria hierbei ebenso wie dem Zuschauer keinen Schutz gewährt, ist da nur die schlüssige Konsequenz.

Lavinia Wilson schafft es, Maria dabei nicht bloßzustellen, die Figur für den Zuschauer nicht unsympathisch wirken zu lassen. Das Publikum soll nicht zu dem Gedanken verführt werden, das Geschehen nach dem Motto "Jetzt reiß' dich mal zusammen, Mädchen!" zu quittieren. Scheinbar mühelos wechselt Lavinia Wilson von heller Freude in Selbstzweifel innerhalb dem Bruchteil einer Sekunde. Sie schafft es, die radikalen Emotionen und Zweifel, die Maria plagen, einzufangen. Solch eine schauspielerische Leistung hat man von einer jungen deutschen Darstellerin in den letzten Jahren nicht sehr häufig gesehen. Wilson hebt sich dabei gerade zu wohltuend vom gefälligen Spiel manch ihrer deutschen Kolleginnen wie Katja Riemann ab. Nicht ohne Grund wurde sie für diese Leistung mit dem Max-Ophüls-Preis ausgezeichnet.

Und dennoch ist die große Stärke des Films, die vollkommene Fixierung auf Maria, auch seine größte Schwäche: Einen wirklichen Plot gibt es kaum, vielmehr dient die Beziehung zu Max nur dazu, alle Facetten des Borderline-Syndroms zu zeigen, als dass sie zu einer eigenen Dynamik findet. Auch die Nebenhandlung um Marias Liebhaber Wolfgang (Richy Müller) fällt ziemlich knapp aus und fügt sich nur wenig stimmig in den Hauptplot ein. Zu sehr ist Durchschlag an Marias Psyche interessiert, als das er eigenständigere Figuren neben ihr dulden könnte.

Nichtsdestotrotz ist "Allein" eine erstklassige Charakterstudie über das Borderline-Syndrom, die dem Zuschauer ebenso viel wie der Hauptfigur abverlangt. Und selten hat man eine Hauptdarstellerin so lebensecht mit ihrer Figur leiden und fühlen gesehen.

Bilder: Copyright

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