Roy McBride (Brad Pitt) ist ein Astronaut mit stahlharten Nerven, den wirklich nichts aus der Ruhe bringen kann. Selbst, als es am Weltraum-Lift, auf dem er arbeitet, zu einer Katastrophe kommt, die ihn beinahe das Leben kostet, steigt sein Puls niemals über 80. Der Mann ist wie eine perfekte Maschine, immer fokussiert, immer ruhig, immer einhundertprozentig auf seine Aufgabe fixiert. Man könnte auch sagen: Er ist emotional völlig abgestumpft und innerlich so gut wie tot. Woran das liegen könnte, deutet sich an, als McBride nach der Eröffnungs-Katastrophe in eine streng geheime Mission eingeweiht wird: Seine Vorgesetzten vermuten, dass die kosmische Energiewelle, die McBride beinahe das Leben gekostet hat, nur die erste von vielen war, und dass ihr Auslöser menschlicher Natur ist. Vor 30 Jahren wurde nämlich ein Raumschiff im Rahmen des "Lima Project" an den äußeren Rand des Sonnensystems geschickt, um von dort aus ins All hinaus zu lauschen nach Anzeichen anderen intelligenten Lebens. Das Raumschiff ging damals verschollen, und mit ihm sein Kommandeur - McBrides Vater Clifford (Tommy Lee Jones). Der Antimaterie-Generator des verschollenen Raumschiffs verursacht nun offenbar Energiewellen, die potenziell die gesamte Menschheit auf Erden auslöschen könnten. Die Befürchtung: Clifford McBride lebt noch, und macht das womöglich mit Absicht. Roy McBride soll nun zum Mars fliegen und von dort aus eine Botschaft an seinen Vater absetzen, um ihn hoffentlich zur Räson zu bringen.
Man ahnt es schon: Was hier vermeintlich im Gewand eines epischen Weltraum-Abenteuers daherkommt, ist im Kern eigentlich ein ziemlich intimes Drama um einen Mann mit ganz enormen "daddy issues". Auf jeden Fall hat wohl noch nie eine Filmfigur soviel Mühen und vor allem solche Entfernungen hinter sich gebracht, um den eigenen Vaterkomplex zu überwinden, wie es Roy McBride hier tut. Dass es sich bei "Ad Astra" nur oberflächlich um einen aufwändigen SciFi-Film handelt und es hier eigentlich um viel menschlichere Dinge geht, lässt auch schon ein Blick auf den Namen von Regisseur und Drehbuchautor erahnen. Denn James Gray war bisher ganz sicher nicht für spektakuläres Effekte-Kino bekannt. Der Mann hinter Werken wie "Die versunkene Stadt Z" oder "Helden der Nacht - We own the night" ist ein Freund des Charakter-Kinos, der sich auch bei ganz großen Geschichten immer noch am meisten dafür interessiert, was die zentralen Figuren antreibt, die diese Geschichte durchleben. Und so ist auch "Ad Astra" in Wahrheit vor allem eine ziemlich tiefgehende Charakterstudie über diesen Roy McBride. Wenn auch eine Charakter-Studie, die sich in einer ziemlich faszinierenden nahen Zukunft abspielt und ein immer wieder aufregendes Bild über die Auswüchse der interplanetaren Raumfahrt zeichnet.
McBrides Reise (und damit der ganze Film) sind in mehrere Etappen strukturiert. Die erste Reise geht zum Mond, den mittlerweile ein Jedermann als Kunde kommerzieller Raumfluglinien besuchen kann. Der vom irdischen Kapitalismus vereinnahmte Mond ist das erste faszinierende Zwischenziel von McBride, und auch die eigenwillige kleine Welt, die sich auf der permantenen menschlichen Station auf dem Mars entwickelt hat, ist ein Erlebnis für sich. Tatsächlich würde man sowohl vom Mond als auch vom Mars liebend gern noch mehr sehen, und es ist mehr als bedauerlich, dass beides hier nur relativ kurze Etappenziele sind - zumal das, was danach noch kommt, leider mit diesen beiden Mikrokosmen nicht wirklich mithalten kann, was Faszination und Originalität betrifft. Die letzte Etappe von McBrides Reise ist da im Vergleich fast schon konventionell und etwas erwartbar, weshalb der Film seine stärksten Momente eindeutig im Mittelteil hat.
Es bleibt aber nichtsdestotrotz ziemlich großes Kino, wie James Gray seine erzählerische Linie hier durchzieht und sein Science-Fiction-Setting als grandiose Analogie für den inneren Entwicklungsbogen seiner Hauptfigur benutzt. Das immer tiefere Vordringen in den Weltraum wird für McBride gleichbedeutend zu einem immer näheren Kontakt mit seinem wahren Selbst und seinen lange unterdrückten und verdrängten Emotionen.
Das ist natürlich eine sehr intime Geschichte, die maximal auf ihre Hauptfigur fokussiert ist, und so etwas steht und fällt mit den Fähigkeiten des Hauptdarstellers, das auch zu transportieren. Und in dieser Hinsicht ist "Ad Astra" eine kleine Offenbarung. Denn wer bis heute immer noch nicht glauben will, dass Brad Pitt ein verdammt starker Schauspieler ist, wird spätestens hier eines Besseren belehrt. Gerade zu Beginn mit der enorm schwierigen Aufgabe konfrontiert, in einem emotional scheinbar völlig abgestorbenen Menschen trotzdem so etwas wie emotionale Reaktionen anzudeuten, leistet Pitt hier Außergewöhnliches. Man achte auf den Moment, wenn er das erste Mal hört, dass sein Vater vielleicht noch lebt. Es ist nur ein winziges Zucken unter einem seiner Augen, mit dem Pitt andeutet, dass diese Offenbarung seine Figur nicht unberührt lässt. Dieses minimale Zucken um die Augen ist über weite Strecken das einzige Anzeichen dafür, dass in diesem scheinbar vollkommen kontrollierten Menschen doch noch ein Gefühlsvulkan brodelt, und es ist packend dabei zuzusehen, wie Pitt und Gray diesen Vulkan ganz langsam und gemächlich freilegen.
Passend zu den endlosen Weiten des Weltraums und der vollkommenen Stille des Alls ist auch "Ad Astra" über weite Strecken von einer fast meditativen Ruhe geprägt, die sicher viele Zuschauer etwas irritieren wird, die nach dem Trailer ein deutlich Action-reicheres Space-Spektakel erwartet haben. Doch auch die werden nicht völlig enttäuscht sein, denn immer wieder streut Gray unerwartete und gerade deswegen sehr effektvolle Ausbrüche von Action und Spannung in seinen Film ein, die die Totenstille des Weltraums enorm wirkungsvoll durchbrechen. Das ist sehr gekonnt umgesetzt und hervorragend inszeniert. Doch ebenso wie die anderen reinrassigen Science-Fiction-Elemente des Films ist auch dies alles letztlich ein schöner Schein, unter dem "Ad Astra" ein sehr bodenständiges Drama bleibt, das sich viel mehr für sehr menschliche und irdische Dinge interessiert als für die unendlichen Weiten, in denen er spielt.
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