2046

Originaltitel
2046
Land
Jahr
2004
Laufzeit
127 min
Regie
Release Date
Bewertung
9
9/10
von Frank-Michael Helmke / 29. Mai 2010

Als die ehemalige britische Kronkolonie Hongkong zum Neujahr 1997 in einem feierlichen Akt an China "zurückgegeben" wurde, verkündete die Führung in Peking, das westlich orientierte Wirtschaftswunderland für 50 Jahre unverändert zu lassen. 2046 ist also das Jahr, bis zu dem sich in Hongkong zumindest offiziell nichts ändern wird. Für Wong Kar Wai, den herausragenden Ästhetiker unter Hongkongs zahlreichen Ausnahmeregisseuren, war dies der Anstoß sich darüber Gedanken zu machen, was sich im Leben tatsächlich 50 Jahre lang nicht ändert, und die Antwort führte ihn zu dem Thema zurück, das seine Filme ohnehin seit jeher dominiert: die Liebe. Und so ist "2046" auch keinesfalls ein politisches Pamphlet, sondern eine gedankliche Fortführung von Wong Kar Wais letztem Film "In the Mood for Love".

Nachdem dieser vor vier Jahren mit internationalen Begeisterungsstürmen empfangen wurde, war sein Regisseur eigentlich schon ein gemachter Mann. Dass sich die unendliche Entstehungsgeschichte von "2046" (man hörte von zeitaufwändigen Nachdrehs und einem endlosen Schneideprozess bis zur letzten Minute, der sogar noch die Premiere auf dem letztjährigen Filmfestival in Cannes gefährdete) dann doch vier Jahre lang hinzog, ist dem Endergebnis überdeutlich anzusehen: Selten hat man einen derart verschachtelten, komplexen und bis zur kleinsten Einstellung perfektionistisch durchkonstruierten Film gesehen. Entsprechend ist "2046" zu allererst ein außergewöhnlicher ästhetischer Bilderrausch, und darunter eine schwer zu entschlüsselnde Abhandlung über das ewige Leid der Liebe.

Hongkong-Superstar Tony Leung erneuert hier als Journalist Chow Mo Wan seine Rolle aus "In the Mood for Love" als tragischer Held, der leise seiner verlorenen Liebe nachtrauert, sie weder überwinden noch ersetzen kann. Er mietet sich in ein Hotel im Zimmer 2047 ein und hat eine Reihe verschieden gelagerter Affären mit den wechselnden Bewohnerinnen des Nachbarzimmers. Unterdessen schreibt er einen Science-Fiction-Roman mit dem Titel "2046", in dem man nach 2046 reist, um seine verlorenen Erinnerungen wieder zu entdecken - an einem Ort, an dem sich angeblich nie etwas ändert (2046 ist hier tatsächlich weniger als eine Zeit, denn als ein Ort zu verstehen - im gesamten Film wird nicht einmal vom "Jahr 2046" gesprochen, mit Zeitreisen hat das alles also nichts zu tun). Chows reale Erlebnisse und Begegnungen reflektiert er in seinem Roman, dessen Held in einer endlos erscheinenden Zugfahrt versucht, 2046 wieder zu verlassen.

Wenn das nicht so recht nach einer befriedigenden Inhaltsangabe klingt, dann liegt das daran, dass man in "2046" ohnehin vergeblich auf konventionelle Handlungsstrukturen wartet. Chows verschiedene Beziehungen zu einer Nachtclubtänzerin, einem Callgirl (gespielt von Zhang Ziyi aus "House of Flying Daggers"), der Tochter seines Vermieters und einer mysteriösen Glücksspielerin sind Episoden, deren Chronologie sich immer wieder überschneidet, die aber keinen dramaturgischen Bogen bilden. Nicht ohne Grund versucht Chows Romanheld vergeblich, einen Ort zu verlassen, an dem sich nie etwas ändert: Auch der Autor selbst ist in einem Zustand gefangen, aus dem es keinen Ausweg zu geben scheint. Wer eine geradeaus verlaufende Handlung und einen sauberen Schluss erwartet, ist hier ergo falsch aufgehoben.

Die negative Kritik zu "2046" stößt sich entsprechend auch weniger an der beinahen Undurchschaubarkeit des hochkomplexen, enorm metaphorischen und sich ständig selbst reflektierenden Films, sondern an seiner vermeintlichen repetitiven Monotonie, der ständigen Wiederholung derselben Motive, Bildkompositionen und Sinneseindrücke. Wenn es zum dritten Male Weihnachten wird und zum dritten Male ein schmuckloses Hotelzimmer von den Klängen eines idyllischen Weihnachtsliedes von Nat King Cole erfüllt wird, dann mag das oberflächlich langweilen - tatsächlich ist aber gerade diese Wiederholung, dieser Bruch zwischen Wunschideal und Wirklichkeit, der eigentliche Kern von "2046": Die schmerzhafte Unausweichlichkeit der immerwährenden Einsamkeit.

Wong Kar Wais Figuren sind auf der Suche nach Liebe, nach Zweisamkeit, doch diese scheinbar simplen Bedürfnisse sind so unerreichbar, dass die Charaktere oftmals sogar allein bleiben, wenn sie zusammen sind: Fast konsequent verhindert es der Regisseur, zwei Figuren gleichwertig und gleichzeitig ins Bild zu nehmen, baut mit seiner Bildsprache Distanz und Barrieren zwischen den Menschen (und auch zwischen Figuren und Publikum) auf, und schafft es sogar, die Dialoge so zu inszenieren, als würden die Charaktere aneinander vorbei sprechen.

"2046" erzählt so vielschichtig und traurig von Liebe vergangen, Liebe verzweifelt, Liebe verloren, Liebe unerwidert und Liebe unmöglich, dass er eigentlich unerträglich sein müsste - doch beim Ansehen bemerkt man fast nichts außer den atemberaubend komponierten Farben und Bildern, der absolut außergewöhnlichen Ästhetik von Wong Kar Wais Arbeit, der mit seiner handwerklichen Kunst hier zu einem neuen harmonischen Höhepunkt gelangt. Erst nach dem Film, wenn man die anfängliche Ratlosigkeit überwunden hat und ausführlich über das Gesehene und Gehörte nachdenkt, erschließt sich die ganze Tiefe von "2046". Dann entschlüsselt sich langsam seine verschachtelte Struktur, ergibt die Selbstreflexion auf der Meta-Ebene von Chows Science-Fiction-Roman ihren Sinn, und entfaltet sich der Tenor des Films in seiner tieftraurigen, emotionalen Wucht. Wenn das Filmposter "2046" als den "ultimativen Liebesfilm" bezeichnet, so ist das retrospektiv betrachtet nicht einmal übertrieben.

Bilder: Copyright

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