Wenn Regisseur Jason Reitman und Autorin Diablo Cody zum zweiten Mal zusammenarbeiten, horcht man als Filmfan automatisch auf, fabrizierten die beiden zusammen doch vor ein paar Jahren den bezaubernden Überraschungshit "Juno" und lieferten auch im Anschluss - Reitman mit dem grandiosen "Up in the Air", Cody mit der TV-Serie "United States of Tara" - mehr als beachtliche Arbeit ab. Nun also schmücken ihre Namen wieder gemeinsam die Leinwand, gepaart auch noch mit Charlize Theron als Hauptdarstellerin - wie soll daraus kein großartiger Film werden? Die gute Nachricht: Es ist ein großartiger Film geworden. Die schlechte: Es ist ein Film geworden, der sich nur schlecht bis unmöglich verkaufen lässt. Trotz der damit verbundenen Namen.
Die Vermarktung von "Young Adult" gibt sich alle Mühe, den Film als Komödie zu verkaufen, doch schon wenn man sich den Trailer ansieht, kann man nur irritiert reagieren, denn zwischen all dem durchaus vorhandenen, scharfzüngigen Witz wandelt hier vor allem eine Hauptfigur, die ganz grundsätzlich auf dem falschen Dampfer unterwegs ist. Diese Hauptperson heißt Mavis Gary, verdient sich ihren Lebensunterhalt mit dem Verfassen von Serienromanen für ein Zielpublikum weiblicher Highschool-Teenager (oder, wie es in Literaturgenre-Sprech heißt, "Young Adult") und fristet ansonsten ein ziemlich frustriertes Dasein in der nördlichen US-Metropole Minneapolis. Dieses Dasein illustriert "Young Adult" gleich zu Beginn in einer von Dialogen weitgehend befreiten Exposition, die getragen wird von beachtlich starken, sehr markanten Bildern - wie die kaum 30 Sekunden, die wir von Mavis' Date mit einem x-beliebigen Typen sehen. Ganz schnell ist klar: Das wird ein fürchterliches Date. Schnitt auf den nächsten Morgen, als Mavis trotzdem neben diesem Kerl im Bett aufwacht, und seufzend die Augen verdreht, über sich selbst den Kopf schüttelnd. Aufgerüttelt wird dieser Alltag als Mavis eine E-Mail aus ihrer alten Provinzheimat bekommt, dass ihre ehemalige Highschool-Liebe Buddy (Patrick Wilson) und seine Frau Beth (Elizabeth Reaser) soeben ihr erstes Kind bekommen haben. Darüber brütet Mavis, bis sie auf einmal in ihr Heimatkaff aufbricht mit einer festen Mission in ihrem Kopf: Sie wird Buddy für sich zurückerobern, auf dass er für sie Frau und Kind verlasse.
Bitte was? Jawohl, das ist die Mission der Hauptfigur dieses Films, charakterlich noch verwerflicher als das, was Julia Roberts in "Die Hochzeit meines besten Freundes" vor hatte, und entsprechend ist auch von vornherein klar, dass Mavis auf dem Holzweg und ihre Unterfangen komplett sinnlos und bar jeder Chance auf Erfolg ist. Was ein weiteres sehr starkes Bild zeigt: Als Mavis das erste Mal bei Buddy anruft, spricht sie mit leuchtenden Augen mit ihm, gibt sich cool und gelassen und ist doch voll und ganz nervös-verknallter Teenager. Im Wechselschnitt sieht man zwar Buddy, aber nicht einmal sein Gesicht: Das Bild ist stattdessen die ganze Zeit fokussiert auf das Milchfläschchen, das Buddy mit routinierten Handgriffen mit der frisch abgepumpten Muttermilch seiner Frau füllt. Eine grandiose inszenatorische Idee um klar zu machen, wo die unerschütterlichen Prioritäten dieses Mannes liegen.
Und so sitzt man in "Young Adult" und fragt sich lange Zeit, wohin sich diese Geschichte eigentlich entwickeln wird, denn wie schon in ihrem Oscar-prämierten Skript zu "Juno" versteht es Diablo Cody ausgezeichnet, die naheliegenden Konfliktfelder zu umschiffen und die ausgetretenen Figurenkonstellationen beiseite zu legen. So trifft Mavis in ihrer alten Heimat als erstes bekanntes Gesicht Matt (Patton Oswalt) wieder, der mit ihr zur Schule ging und damals von Mavis - der von allen bewunderten, wunderschönen Prom-Queen mit dem perfekten Highschool-Leben - komplett ignoriert wurde. Matt wird zu Mavis' Gewissen auf ihrer zum Scheitern verurteilten Mission, und in jedem anderen Film würde man erwarten, dass diese Geschichte getreu den Standards einer RomCom darum geht, wie Mavis erkennt, dass eigentlich Matt der Richtige für sie ist. Nicht so hier, und zwar nicht nur deshalb, weil Matt ohne einen Hauch von physischer Attraktivität gezeichnet wird und noch dazu aufgrund eines tragischen Ereignisses aus der Schulzeit verkrüppelt ist.
Je länger der Film läuft, desto irritierter ist man von Mavis und desto weniger kann man diese Frau mögen, die in derart drastischer Weise egoistisch und narzisstisch ist, dass sie die Realität darüber komplett ausblendet und gar nicht zu merken scheint, wie unmöglich sie sich benimmt. Und umso mehr Mavis ihre Umgebung und die Zuschauer mit ihrem Benehmen brüskiert, desto mehr merkt man, dass dies hier eben ganz und gar keine Komödie ist, sondern viel mehr die ziemlich tragische und sehr bittere Geschichte über eine Frau, die es verpasst hat, wirklich erwachsen zu werden. Die hängengeblieben ist in ihrer Sicht der Welt als sie auf der Highschool war, von allen vergöttert wurde und ihr alles zuflog, was sie nur haben wollte. Darauf fußt auch die besondere Dynamik der Beziehung zwischen Mavis und Matt, beide für ihr gesamtes Leben geprägt und gezeichnet (um nicht zu sagen: zerstört) von dem, was während ihrer Schulzeit passiert ist: Matt körperlich, Mavis geistig.
Und wenn gegen Ende dann die letzten Fassaden und Selbsttäuschungen von Mavis' Charakter fallen und offenbart werden und man endlich vollends versteht, warum die am Anfang des Films erhaltene Nachricht über Buddys Baby diese höchst merkwürdige Reaktion in ihr hervorgerufen hat, dann begreift man "Young Adult" endlich als ein wahrlich grandios aufgebautes Stück Charakterkino, eine Erzählung mit der Genauigkeit und Wahrhaftigkeit eines großen Romans. Was aber eben leider etwas ist, dass sich einem Kinopublikum sehr schwer verkaufen lässt. Denn Mavis ist zu lange eine Figur von der man vermutet, dass sie auf Komik angelegt ist, mit ihrem schlabberigen Hello Kitty-Shirt und ihrer Fußhupe von Hund. Dass es hier aber tatsächlich um eine tief tragische Figur geht, ist schwer zu schlucken und beim Zusehen auch gar nicht so schnell zu begreifen. Was aber eben, wie gesagt, nichts daran ändert, dass dieser Film wahnsinnig gut gemacht ist. Cody und Reitman arbeiten mit einer sehr starken Reduzierung von Dialogen und Musik, sehr viele Momente zeigen einfach nur Mavis, still und unkommentiert, quasi dokumentarisch. Doch gerade diesen - oft erst im Nachhinein zu entschlüsselnden - einfachen Bildern liegt eine Kraft und Bedeutsamkeit inne, die einem höchsten Respekt abbringen für die Kunstfertigkeit filmischen Erzählens, die hier stattfindet.
Bis man bei dieser Erkenntnis angekommen ist, wird sich ein Großteil des Publikums allerdings schon mental oder gänzlich von diesem Film verabschiedet haben, der am Anfang so viel langweiliger, handlungsärmer und befremdlicher scheint, als er tatsächlich ist. In den USA spielte "Young Adult" nicht einmal 20 Millionen Dollar ein. Bei Juno waren es am Ende über 140 Millionen. Trotz diesem entmutigenden Ergebnis kann man nur darauf hoffen, dass Jason Reitman und Diablo Cody bald wieder einen Film zusammen machen.
Neuen Kommentar hinzufügen