Wo die wilden Kerle wohnen

Originaltitel
Where the wild things are
Land
Jahr
2009
Laufzeit
101 min
Genre
Regie
Release Date
Bewertung
9
9/10
von Patrick Wellinski / 2. Juni 2010

"Die meisten Kinderbücher sind schrecklich. Es ist erniedrigend für ein Kind wenn man schreibt wie für einen Idioten. Ich glaube, man kann alles für Kinder schreiben, viel freier als für Erwachsene, denen man zu viele Lügen erzählen muss."
- Maurice Sendak

Kinderliteratur und auch Kinderfilme haben es oft nicht leicht. Schließlich haben beide Gattungen eine Bürde zu tragen, die sie so schnell nicht abschütteln können: Sie werden in den meisten Fällen von Erwachsenen für Kinder gemacht. Allzu oft erkennt man dies im Stoff, aus dem die Bücher und Filme sind. Nur die wenigsten sprechen wirklich die Lebenswelt eines Kindes an. Maurice Sendaks 1963 erschienenes Buch "Wo die wilden Kerle wohnen" ist da eine der wenigen rühmlichen Ausnahmen. Nun wurde der Klassiker für die große Leinwand adaptiert. Und es ist der beste Kinderfilm des Jahres geworden.

"Wo die wilden Kerle wohnen" ist die Geschichte des kleinen Jungen Max (wunderbar: Max Records), der von seiner Mutter (bezaubernd wie immer: Catherine Keener) eines Abends ohne Essen ins Bett geschickt wird, weil er sich wie ein "wilder Kerl" aufgeführt hat. Max, der sich völlig missverstanden fühlt, flüchtet sich in seinem Zimmer in eine Fantasiewelt, in der er auf einer Insel landet, die von furchterregenden Riesen, den "wilden Kerlen" bewohnt wird. Diese Riesen stellen sich auf den zweiten Blick als gar nicht so furchterregend heraus und sie küren Max zu ihrem König.

Es sind nur 385 Wörter, in der deutschen Übersetzung sogar nur 333, aus denen das ganze Originalbuch besteht. Es war also keine leichte Aufgabe, ein tragfähiges Drehbuch für einen langen Spielfilm zu erarbeiten. An diesem Problem scheiterte bereits ein Versuch, den Klassiker in den frühen 90er Jahren zu verfilmen. Doch Spike Jonze ("Being John Malkovich", "Adaption") macht hier aus der Not eine Tugend und zeigt kongenial, dass im Fall von "Wo die wilden Kerle wohnen" nicht der Text, sondern die Bilder die Geschichte tragen. Und so ist seine Verfilmung getragen von einer atemberaubenden visuellen Vielfalt, ohne jemals das technische Know-how der Inszenierung in den Vordergrund zu stellen (und ohne - ganz bewusst - auch nur ein einziges Bild aus dem Buch haargenau nachzuinszenieren).
Das gelingt hier, weil Jonze und sein Team zum einen mit ausgeklügelten Computereffekten arbeiten, zum anderen aber auch mit alten und klassischen Puppenkostümen. Das ist in erster Linie bei den wilden Kerlen der Fall. Die Schauspieler mussten mehrere Stunden in den schweren und stickigen Kostümen verbringen, die speziell für den Film von den berühmten Jim Henson-Studios ("Muppets", "Fraggles") hergestellt wurden. Diese Mischung aus Puppenkostüm und CGI-Effekt, aus Tradition und Moderne, macht einen der vielen Reize des Films aus.

Das dünne Grundgerüst der Geschichte entfaltet also erst durch die visuelle Ausgestaltung seine eigentliche Sogkraft. Wenn Max fasziniert beobachtet, wie die wilden Kerle sich raufen und ihre eigenen Häuser zerstören, dann fliegen sie durch die Luft, dann bebt die Erde und es fallen ganze Bäume um. Es kracht, rumst, knallt und explodiert gewaltig in diesem wilden Film mit seinen wilden Kerlen und seinem wilden Max, der mit der Zeit langsam erkennen muss, dass man auch als junger König viel Verantwortung tragen muss und das vielleicht ein Kind nicht der beste Herrscher über diese Wesen ist.
Inszenatorisch wirkt hier alles so verspielt und doch ist es gleichzeitig streng choreographiert. Zusammen mit der musikalischen Untermalung der ehemaligen Yeah-Yeah-Yeahs-Sängerin Karen Oh ist "Wo die wilden Kerle wohnen" ein hoch inspirierender Film geworden, der in seinem Kern das demonstriert, woran die meisten Kinderfilme kranken. Denn Jonzes Verfilmung und Sendaks Vorlage zeigen keine heile Kinderwelt. In dieser Geschichte ist die Welt hässlich und schön, bedrohlich und friedlich, gefährlich und harmlos zugleich. Das eine ist der Kinderseele ebenso bekannt wie das andere.

Die Illusion einer heilen Kinderwelt können nur Erwachsene haben - doch was wissen die schon über die gewaltigen Gefühlspanoramen aber auch über die Widersprüchlichkeiten eines Kindes. Wir können es wohl kaum sagen, doch wir können es erahnen und zum Teil sogar erfahren, wenn wir uns Spike Jonzes Film ansehen und damit in diese wahnsinnig feinfühlige Fantasiewelt eines Kindes eintauchen. Und vielleicht ist ja das Kino der idealere Ort für diese Geschichte, weil sich die Magie des Kinos schon seit jeher aus der Fantasie seiner Macher speist, die irgendwie alle noch innerlich Kind geblieben sind. Film ist Bewegung zwischen Fantasie und Wirklichkeit, und wie beim kleinen Max wird im Kinosaal manchmal die Welt zur Fantasie und die Fantasie zur Welt. Nur wenige Filme schaffen das. "Wo die wilden Kerle wohnen" ist so einer.


Karen O. ist noch immer Sängerin der Yeah Yeah Yeahs...

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9
9/10

Ganz ungewöhnlicher und sehenswerter Film, der oberflächlich durch seine skurrilen und fantastischen Bilder wirkt, unterschwellig sich jedoch mit verschiedenen Emotionen wie Wut, Freude, Angst, Enttäuschung und Zuversicht beschäftigt. Ein sehr beeindruckendes Erlebnis.

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9
9/10

klasse film,
hab noch nie einen film gesehen, der mich so sehr daran erinnert hat wie schrecklich es teilweise war kind zu sein. wie einsam und unverstanden man manchmal war, aber auch wie frei und "wild" man war.
nach dem film sind mir dinge aus meiner kindheit eingefallen die ich schon lange vergessen hatte und eine derart emotionale reaktion hervorzurufen muss ein film erst einmal schaffen. meist ist es ja leider so das filme es schaffen einen für den moment zu berühren und danach ist dann meißt wieder alles vergessen.

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9
9/10

Was Herr Wellinski hier etwas ausführlicher beschreibt ist neben der absolut fantastischen Optik das was mich am Film so begeistert hat, es zeigt, zumindest für mein Erwachsenen-Verständnis, nicht die Kinderwelt aus der Sicht eines Erwachenen, sondern die eines Kindes, soweit ich das beurteilen kann.

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1
1/10

Total enttäuschend! Die Story ist dünn, der Eltern-Kind-Konflikt nicht glaubwürdig. Der Hauptdarsteller nervt durch sein permanentes Schreien und der Film steht irgendwie auf der Stelle. Die Regie war auch mies, ganz besonders bei der Bootsüberfahrt zu sehen. Diesen Film hätte man sich sparen können.

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10
10/10

Ein kleines Meisterwerk hat Spike Jonze hier abgeliefert. Überwältigend! Der kleine Max Records beweist hier das er ein ganz großer ist, absolut sensibel gespielt. Danke für solche Filme und bitte mehr davon!

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