"Tumor ist, wenn man trotzdem lacht" sagt Martin zu seinem Bruder Roman, während die beiden auf einer Parkbank sitzen und den Schock von Martins gerade diagnostiziertem Hodenkrebs mit einem hübschen Joint und viel Galgenhumor zu bekämpfen versuchen. Dass Lachen manchmal die beste Medizin ist, diese alte Weisheit ist auch Robert Schwentke, Regisseur und Autor von "Eierdiebe", bekannt, der seine eigenen Erfahrungen im Kampf mit Hodenkrebs zu einer kleinen, feinen schwarzen Komödie verarbeitete - einem der gelungensten deutschen Filme der letzten Zeit.
Nachdem Martin (Wotan Wilke Möhring) eines seiner kostbaren Eier bereits operativ entfernt wurde, und sich der Krebs weiter auszubreiten droht, entscheidet er sich gegen eine rettende Operation - die ihn potentiell zeugungsunfähig und impotent zurücklassen würde - und für eine Chemo-Therapie. Auf der Krebsstation des Krankenhauses wird er ins Zimmer von Nickel (Janek Rieke) und Harry (Antoine Monot jr.) gelegt, ein gewöhnungsbedürftiges Duo, das in grenzenlosem Sarkasmus den ganzen Tag Splatterfilme guckt. Mitgefühl gibt es weder vom pragmatischen Klinikpersonal noch von den von der Situation völlig überforderten Familienangehörigen, den einzigen Halt findet Martin in seiner Freundschaft zu Susanne (Julia Hummer) - ein hoffnungslos erkranktes Waisenkind.
Das klingt soweit alles schrecklich deprimierend, und wäre es vermutlich auch geblieben in der Hand eines Regisseurs ohne entsprechende persönliche Erfahrung. Doch Robert Schwentke war da, hat das alles mitgemacht, und zertrümmert mit beeindruckender Konsequenz jeden Hauch von tränenrührigem Sterbedrama ebenso wie jedes Klischee aus der Krankenhaus-Serienkiste: kein junger, ambitionierter Arzt, der wahre Wunder vollbringt, keine treue Seele von einfühlsamer Krankenschwester, die sich eventuell auch noch für einen Liebesplot anbieten würde. Wer weiß, wie die klinische Realität wirklich aussieht, wird an "Eierdiebe" seine Freude haben: Mediziner und Pflegepersonal - die wahrscheinlich abgehärtetste Berufsgruppe überhaupt - glänzen hier mit lakonischer Gleichgültigkeit und haben nicht den kleinsten Funken Mitgefühl übrig. Trocken und pragmatisch verschwindet der Urologen-Finger für die Prostata-Untersuchung im Allerwertesten, werden bei der Chemo-Therapie die benötigten Kotz-Schalen verteilt, und der Patient vor versammelter Visitencrew dazu angehalten, das Zurechtrücken seiner Hodenprothese zu üben.
Der Vorteil eines derart offensiv gefühlskalten Systems: Die Patienten lernen, sich aneinander festzuhalten - denn einen anderen Halt kriegen sie nicht - und bekommen gleichzeitig auch noch einen hervorragenden Gegner serviert: So wird die Rebellion gegen die klinische Bürokratie für Martin und seine neue Clique mit fahrbarem Tropf zur Frage des persönlichen Stolzes, und gibt den dringend benötigten Lebensgeist. "Ich will mein Ei zurück", das ist die simple und trotzdem gar nicht so einfache Mission Martins, der zusammen mit Nickel, Harry und Susanne Pläne schmiedet, um seinen verlorenen Hoden aus der korrekten Archivierungs- und Aufbewahrungsmaschinerie für entfernte Organe zu befreien.
Davor und dazu gibt es jede Menge trockenen Witz, mit dem Schwentke in bester britischer Tradition erfolgreich den Schrecken des alltäglichen Elends zu brechen versteht. Selbst wenn Mann oft nur noch leicht gequält mitlachen kann bei soviel offen vorgetragener Kastrations- und Potenzangst: Schwentkes Taktik geht optimal auf und hält dabei trotzdem die perfekte Balance zwischen Komik und Tragik, denn bei allem Humor kann man das omnipräsente Sterben dann doch nicht verstecken. So nimmt auch Harrys und Nickels endloser Konsum von Splatter-Videos eine besondere Note an, eignet sich die dortige Überinszenierung von Schmerz und Tod doch hervorragend zur Relativierung und Verdrängung des eigenen Leidens.
Ein weiterer Glücksfall für "Eierdiebe" ist die Besetzung mit brillanten Darstellern aus der zweiten Reihe des deutschen Kinos: Wotan Wilke Möhring ist dem breiten Publikum höchstens bekannt als chronisch fluchender Dauerkiffer Frank aus "Lammbock" und im Kontrast dazu hier kaum wieder zuerkennen, präsentiert allerdings eine schauspielerische Glanzleistung, die subtil und mit minimalen Gesten das gesamte Gefühlsspektrum seiner Situation wiederzugeben weiß. In ähnlicher Brillanz wieder an Möhrings Seite ist (wie in "Lammbock") Antoine Monot jr., der - diesmal als quasi wortlos bleibender Harry - mal wieder kurz davor steht, allen anderen die Show zu stehlen, und sich inzwischen als deutsche Idealbesetzung für Nebenrollen jeder Art etabliert hat. Mit dem ebenfalls hervorragenden Janek Rieke ist das Kahlkopf-Trio perfekt, und wird vom Fräuleinwunder Julia Hummer als Susanne natürlich fabulös ergänzt.
Und so stimmt bei "Eierdiebe" dann eigentlich alles: Ein Klasse-Ensemble in einer erfrischend gegen den Strich und mit schmutzigem, köstlichem Galgenhumor erzählten Geschichte, die ihr anfängliches Tempo nie einbüßt und dazu auch noch visuell elegant inszeniert ist. Wenn es überhaupt einen Grund zur Klage gibt, dann höchstens den: Mit 87 Minuten ist "Eierdiebe" viel zu kurz und kommt auch dadurch zu einem überschnellen Ende, das ein bisschen Entzerrung durchaus verdient gehabt hätte. Wie eigentlich der ganze Film, denn so stimmig und harmonisch kommt hierzulande nur selten eine Produktion daher.
Neuen Kommentar hinzufügen