Man kann sagen was man möchte, aber das Kinojahr
2008 war unterm Strich ein gutes, bisweilen sogar ein sehr
gutes.
Die Enttäuschungen waren rar gesät und man könnte
sich eigentlich ohne große Sorgen über die wenigen noch
ausstehenden kleinen Kinoüberraschungen freuen, wenn da
nicht
ausgerechnet ein deutscher Filmregisseur die ganze gute
Laune mit
einem gigantischen Paukenschlag zunichte machen würde. Bei
diesem Übeltäter handelt es sich - und das verstärkt
den Schock zusätzlich - um niemand geringeres als um Wim
Wenders.
Mit "Palermo Shooting" präsentiert uns einer der
wohl bekanntesten deutschen Regisseure, den wohl
schlechtesten Film
des Jahres.
Die
Enttäuschung kündigte sich schon im Mai dieses Jahres
an, als "Palermo Shooting" im Wettbewerb der
Internationalen
Filmfestspiele von Cannes seine Weltpremiere feierte. Dort
wurde
der Film von der wütenden internationalen Kritikerschar
mit
einem Pfeifkonzert (garniert mit ein paar Buh-Rufen)
bedacht. Wenders
reagierte auf die massive Kritik der Journalisten und auch
des Publikums
und kürzte die ursprüngliche Fassung seines Films um ganze
20 Minuten. Doch auch dieser notgedrungene chirurgische
Eingriff
kann "Palermo Shooting" nicht retten. Dieser Film bleibt
ein komplettes Desaster.
Wie fast immer in seinen Filmen steht auch dieses Mal
bei Wenders
ein Mann im Mittelpunkt der Geschichte, der über kurz oder
lang eine Reise antritt, um sich selbst zu finden. Diesen
Mann spielt
der Sänger der Toten Hosen, Campino, der sich nach seinem
glücklosen
Versuch als Theaterdarsteller (" Die Dreigroschenoper"
unter der Regie von Klaus Maria Brandauer) nun wieder auf
der großen
Leinwand beweisen möchte. Er spielt einen Düsseldorfer
Fotografen mit dem sehr deutsch klingenden Namen Professor
(!) Finn
Gilbert. Finn ist völlig ausgelaugt. Sein Job, der
meistens
daraus besteht sehr ernst in großen Fabrikhallen zu stehen
und eine Ausstellung in Brasilien zu planen und ab und zu
einen
großen Hollywoodstar (Milla Jovovich spielt sich selber)
abzulichten,
macht ihn nicht mehr glücklich. Jedenfalls lässt uns Finn
seinen aktuellen Seelenzustand in ausgedehnten, völlig
überladenen
und dabei ständig redundanten Off-Kommentaren immer wieder
zu Ohren kommen. Ein Beispiel: "Träume; sind das nur
elektrische
Gewitter in unserem Gehirn? Oder steckt vielleicht mehr
dahinter?"
Und noch eins: "Die Zeit schert sich einen Dreck um uns."
Noch irgendwelche Fragen?
Finn
begibt sich samt existenzieller Sinnkrise nach Palermo -
klar, ein
Tapetenwechsel tut der geschundenen Seele immer gut -
trifft dort
auf die Liebe seines Lebens, eine bildhübsche
Kunstrestauratorin
namens Flavia (Giovanna Mezzogiorno) und auf den
personifizierten
Tod (Dennis Hopper). Der Weg zum finalen Treffen mit dem
Sensenmann
wird durch eine schier endlos erscheinende Kaskade von
Worthülsen
und angeberischen Dialogen, die einen tieferen
philosophischen Sinn
nur vortäuschen, geebnet. Wer aber hinter die ekelhaft
artifizielle
Sprache schaut, wird nichts weiter als gähnende Leere
vorfinden
und damit einen Regisseur, der sich in jeder einzelnen
Szene bis
auf die Knochen zu blamieren droht.
Das geht schon los bei dem Retro-Stil des Films, der
seine ganzen
Bilder in einen leicht entsättigten Sepiaton taucht und
damit
eine Atmosphäre der Erinnerung vortäuschen möchte,
aber in Wirklichkeit nur den verstaubten Charakter von
Opas Kino
wiederbelebt. In Palermo wechselt Wenders dann zu den
klischeebeladenen
sonnendurchfluteten Ansichtskartenmotiven Süditaliens. Die
anfänglich surrealen Einschübe, die ihren Ursprung aus
dem Computer nie verbergen können, wirken mit der
zunehmenden
dramatischen Untermalung durch die verschwörerisch
anmutende
Musik bisweilen lächerlich, fügen sich so aber ohne große
Schwierigkeiten in den Gesamteindruck des Films ein.
"Palermo Shooting" ist der künstlerische Tiefpunkt
von Wim Wenders. Dieser Eindruck ist aber keine
Überraschung,
wenn man sich seine letzten Werke vors Auge führt. Seit
seinem
weltweiten Erfolg mit "Paris,
Texas" präsentiert Wenders ständig nur leicht
abgewandelte Variationen seines Leitmotivs. Immer wieder
zitiert
er seine großen Vorbilder wie Nicolas Ray oder John Ford,
ohne dabei je deren Intensität oder gar deren
hintergründige
Figurenentwicklungen zu erreichen. Am deutlichsten zeigte
sich das
zuletzt in "Don't Come Knocking",
einem Film,
der unter seinen Pathosschleifen litt und in letzter
Konsequenz
dadurch misslang. "Palermo Shooting" sollte Wenders'
erster
deutscher Film seit langem werden. Mit der Rückkehr in
sein
Heimatland, wo seine Karriere so glanzvoll ihren Anfang
nahm, wollte
er mit einem sehr persönlichen Film über die
Vergänglichkeit
des Seins und die Möglichkeiten der Kunst auftrumpfen.
Pustekuchen.
Leider. Doch woran kann das liegen?
Ein Grund: Bei Wenders sind Gefühle reine Theorie. Das
waren
sie schon immer. Oder wo findet man in seinen Filmen
erotische Momente,
leidenschaftlichen Sex oder wenigstens liebevolle Küsse?
Dass
Finn sich in Flavia verliebt, können wir daher nur
erahnen.
An diese Beobachtung schließt natürlich auch der
verärgerte
Hinweis auf das Frauenbild bei Wim Wenders an. Flavia
kommt rehäugig,
volllippig und zart besaitet daher. Sie ist eine reine
Altherrenphantasie.
Ihr Aktionsradius beschränkt sich aufs schön lächeln
und erstaunt gucken. Damit das aber nicht ganz so
auffällt,
hat ihr das Drehbuch den Job einer Kunstrestauratorin
zugeordnet
und somit darf Flavia einige völlig belanglose Phrasen zu
einem
mittelalterlichen Fresko mit dem natürlich völlig
programmatischen
Titel "Il Trionfo della Morte" abfeuern, die man wohl
aus einem Reiseführer abgeschrieben hat.
Das alles ist schon sehr schwer erträglich und man muss
sich
wirklich zwingen nicht vorzeitig den Kinosaal zu
verlassen. Doch
als der Film zu seinem großen Finale anhebt und Dennis
Hopper
als Tod (der hier übrigens Frank heißt) einen völlig
absurden Monolog über den gefährlichen Einfluss der Kunst
(die ja oft das Leben abbildet) auf den Alltag der
Menschen halten
lässt, gibt es wirklich nichts mehr, was dieses
Machwerk noch retten könnte. "Du hast den Sinn und die
Essenz des Lebens verloren, Finn. Die neue digitale
Technik ist
offen für alle Arten der Manipulation. Du hast Angst vor
der
realen Welt", leiert Hopper dem erstaunten Campino
entgegen
und präsentiert damit ein längst überkommenes und
extrem konservatives Kunstverständnis, das im
Umkehrschluss
die Haltung des Regisseurs gegenüber seinen Werk erkennen
lässt.
So etwas braucht es nun wirklich nicht mehr.
Alles in allem ist "Palermo Shooting" ein Film den es nicht geben dürfte, da man von allen Beteiligten viel besseres, reflektierteres und mutigeres gewohnt war. Den finalen Sargnagel füg sich der Film dann auch noch selber zu, als er im Abspann erwähnt: Gewidmet Michelangelo Antonioni und Ingmar Bergman. Spätestens hier müsste man in hoffnungsloses Lachen ausbrechen. Das geht dann aber doch nicht, denn der ganze Film will ernst genommen werden und glaubt tatsächlich an seine unsinnigen, leeren Botschaften. Und nur weil man den leibhaftigen Tod auftreten lässt, hat man noch lange nicht die meisterhafte Kraft von "Das siebte Siegel" erreicht, und diese lächerlich harmlose "Liebesbeziehung" mit dem magischen Stilwillen von "L'eclisse", "L'avventura" oder "La notte" nur ansatzweise zu vergleichen ist schlicht und einfach lächerlich. "Palermo Shooting" ist erbarmungsloser Schrott, der im Schafspelz eines künstlerisch anspruchsvollen Autorenfilms daherkommt, und den man meiden sollte wie der Teufel das Weihwasser.
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