Waltz with Bashir

Originaltitel
Waltz with Bashir
Land
Jahr
2008
Laufzeit
87 min
Regie
Release Date
Bewertung
9
9/10
von Patrick Wellinski / 31. Mai 2010

Um die zunehmende Erstarkung der palästinensischen Befreiungsorganisation PLO zu schwächen, beschloss Israel am 6.Juni 1982 einen Angriff auf den Libanon. Es begann der Libanonkrieg. Zu den wichtigsten Verbündeten der israelischen Armee unter der Führung des damaligen Verteidigungsministers Ariel Scharon gehörte die christliche Phalange-Miliz, die in der Bevölkerung Libanons einen immensen Rückhalt hatte. Durch die Wahl von Bashir Gemayel, einem Mitglied der Phalange, zum Präsidenten Libanons erhoffte sich Israel die palästinensischen Kräfte unter Kontrolle halten zu können. Doch kurze Zeit darauf fiel Bashir Gemayel in dem Hauptquartier seiner Partei einem Bombenanschlag zum Opfer. Der unkontrollierbare Hass, der daraufhin bei den Mitgliedern der Phalange-Miliz entstand, entlud sich in einem bestialischen Massaker an palästinensischen Gefangenen in den Flüchtlingslagern von Sabra und Schatila. Noch heute gelten Sabra und Schatila als großes Trauma im Nahen Osten.

Dieser zeithistorische Diskurs ist wichtig und essentiell, um den politischen Rahmen und Kontext von Ari Folmans furiosem Film "Waltz with Bashir" besser nachvollziehen zu können. Folman war selber als Soldat im Libanonkrieg im Einsatz. Viele Jahre später wird er von einem Freund besucht, der von einem ganz bestimmten Alptraum geplagt wird. Schnell stimmen beide überein, dass diese Träume in Verbindung mit dem Kriegsdienst im Libanonkrieg zusammenhängen. Des Weiteren erkennt Ari Folman, dass er selber keine Erinnerungen an den Krieg mehr hat. Er beschließt alte Kameraden und Freunde aufzusuchen und dem Geheimnis der Vergangenheit auf die Spur zu kommen, und so beginnt sein Dokumentarfilm "Waltz with Bashir". Das Besondere: Der Film ist ein animierter Dokumentarfilm und damit ein filmästhetisches Novum.
Es wird schnell ersichtlich, dass die Wahl des Genres perfekt mit dem Hauptmotiv des Films korrespondiert. Wie schafft man es nämlich, das verdrängte Grauen und den unterdrückten Schmerz eines fürchterlichen Erlebens zu verarbeiten? Ari Folmans Weg zu seinen Freunden und die Gespräche die er mit seinen ehemaligen Kameraden führt, werden immer wieder durch ausgiebige Rückblenden durchbrochen. Die gezeichneten Flashbacks und Traumsequenzen sind fast immer brüchig, düster und surreal. Sie sind nicht fassbar und mischen Wunschvorstellungen mit Fetzen von Realität. Ein Motiv, das sich im Film öfter wiederholt, sind die nackten Soldaten, die aus dem Meer auf eine zerbombte und brennende Häuserfassade zu laufen. Ein anderes zeigt einen Soldaten, der sich an einer riesigen nackten Frau festhält und so dem grausamen Kampfhandlungen davon schwimmt.
Auf diese Weise entsteht ein Bilderstrom, der eindringlich den Schmerz und die Qual der Erinnerung viel dichter und unmittelbarer reflektiert, als es herkömmliches Filmmaterial hätte tun können. Die Realität der Erinnerung ist in "Waltz with Bashir" immer eng an die Welt der Phantasie gekoppelt. Besonders hilfreich ist dabei auch die zu begrüßende Entscheidung, den Film nicht den Möglichkeiten einer hochtechnischen Computeranimation à la Pixar zu unterwerfen. Die Animation orientiert sich vielmehr an der Tradition der Ligne Claire-Schule, einer Comic-Stilrichtung, die maßgeblich durch den belgischen "Tim und Struppi"-Erfinder Hergé geprägt wurde. Im Film dominieren daher simple aber dennoch präzise Konturen. Durch diese brillant animierte Verfälschung schleicht sich auch eine gewisse Art der Universalität in die ganze Rahmenhandlung ein.
"Waltz with Bashir" meint daher nicht ausschließlich das Schicksal der Soldaten aus dem Libanonkrieg. Es geht um alle Soldaten, die nach dem Krieg zu Hause in Depressionen verfallen und sich nicht wieder in den Alltag integrieren können. Natürlich hat dieses Werk für die israelische Bevölkerung eine noch viel intensivere Bedeutung. Den meist sehr jungen israelischen Soldaten stehen selten professionelle Psychotherapeuten zur Verfügung. Und da in Israel jeder Jugendliche den Wehrdienst ableisten muss (Männer 36 Monate und Frauen 24 Monate) sind die Konflikte, die Ari Folmans Film verhandelt, nicht nur auf eine kleine Gruppe zu reduzieren. In manchen Fällen haben die Soldaten nicht einmal den Grundwehrdienst abgeleistet und müssen bereits in militärischen Einsätzen das Vaterland verteidigen.
Doch der wahre Horror beginnt für die meisten mit dem Ende des Wehrdienstes. In seinem auf der diesjährigen Berlinale gezeigten Film "Flipping Out" beobachtet der israelische Regisseur Yoav Shamir, wie entlassene israelische Soldaten mit ihrem Endsoll nach Indien reisen und in einem nahezu selbstzerstörerischen Trieb anfangen alle möglichen Drogen zu konsumieren. Ein Brauch, den fast 90 Prozent der Soldaten befolgen. Der Drogentrip als Befreiungsritual. Im Qualm des Joints soll der Rauch der Gewehre und die Angst des Krieges vergessen und verdrängt werden. Ari Folmans Generation kannte diese Art von Traumabewältigung noch nicht. Da der Regisseur in "Waltz with Bashir" nicht nur sich selber, sondern auch seine Freunde (die bis auf zwei Ausnahmen alle persönlich an dem Film mitgearbeitet haben) in den Mittelpunkt des Filmes rückt, wird erkennbar, dass in den meisten Fällen die Verdrängung zum probatesten Mittel der Bewältigung geworden ist. Doch je länger sich Folman mit den Menschen unterhält, umso klarer werden seine eigenen Erinnerungen. Die Bilder ergeben langsam einen Sinn. Der Film ist daher auch eine Art psychotherapeutischer Selbstversuch.

Was "Waltz with Bashir" zu so einem außergewöhnlichen Film macht, ist neben seiner ungewöhnlichen Form und Erzählweise vor allem der Mut, den schmerzhaften Prozess des Erinnerns freizulegen und das Trauma der ehemaligen israelischen Soldaten direkt spürbar zu machen. Wenn der Film seine Bilder dann noch mit 80er Jahre-Popmusik unterlegt, dann erhält dieses Werk eine Wucht, die man nur noch mit Francis Ford Coppolas Meisterwerk "Apocalypse Now" vergleichen kann. Und das will schon was heißen.

Bilder: Copyright

hab ich auf jedenfall vor zu sehn, ich denke schon von dem was ich gesehn habe, wird es ein großes erlebnis

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10
10/10

Genial. In meinen Augen der bisher beste Film des Jahres. Wie beeindruckend er war hat man auch daran gemerkt, dass es beim Abspann totenstill im Kinosaal war und viele ihn sich bis zum Ende angeschaut haben (wieso danken die eigentlich David Bowie?).
Der Krieg und seine Auswirkungen, auch noch viele Jahre später, wird auf einer sehr persönlichen Ebene gezeigt - auf eine faszinierende, schöne aber nicht effektheischende Weise. Vielleicht ist effektheischend nicht das beste Wort, um zu beschreiben was ich meine, aber ich denke wer "Waltz with Bashir" gesehen hat wird verstehen was ich meine.
Besonders begrüßenswert finde ich den Film auch, da hierzulande Kritik am Staat Israel ein wenig verpönt ist, hier aber einer der Schandflecke dieses Landes behandelt wird.

Auf jeden Fall ein Film, den es sich lohnt anzusehen.

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10
10/10

"nämlich deshalb:..."

Also im Wesentlichen, weil der Regisseur ein Fan ist. Irgendwie drollig.

"dem aber mehr Inhalt gut zu Gesicht gestanden hätte."

Finde ich überhaupt nicht. Bzw. ich finde, dass er durchaus viel Inhalt hat, nur eben nicht über das Massaker selber und die Umstände, wie man es vielleicht erwartet hätte.

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9
9/10

Hab den Film auf der Viennale gesehen und war bzw. bin noch immer begeistert von der irrsinnigen Sogwirkung, die dieser Film erzeugt... Durch die Animationen wird man mitgenommen in die Flashbacks der Erzählenden, und der vermeintliche Verfremdungseffekt durch die Animation löst sich bald auf, wird am Ende aber noch einmal unterstrichen und wirft den Zuschauer somit praktisch noch mal um!
Auf jeden Fall einer der besten Filme, den ich dieses Jahr im Kino gesehen hab!

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9
9/10

Sehr guter Film, auch wenn so gewisse Anspielungen/Vergleich auf die Nazizeit gerade in Deutschland etwas problematisch sind. Gerade wegen Chaosdada und den meisten Deutschen, die immer glauben Kritik am Staat Israel sei verpönt, dabei wird kein Staat auf der Welt mehr kritisiert als Israel.
Der Film zeigt sehr gut auf, wie Leute unter einem Trauma leben und es z.T. gar nicht bemerken und kämpfen müssen um Schritt für Schritt an die eigene Wahrheit ranzukommen. Das Massaker im Flüchtlingscamp steht dafür exemplarisch, könnte aber auch überall anders auf der Welt spielen.

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"Sehr guter Film, auch wenn so gewisse Anspielungen/Vergleich auf die Nazizeit gerade in Deutschland etwas problematisch sind. Gerade wegen Chaosdada und den meisten Deutschen, die immer glauben Kritik am Staat Israel sei verpönt, dabei wird kein Staat auf der Welt mehr kritisiert als Israel."

Ich sagte hierzulande, und das ist es auch definitiv. In anderen Ländern wird Israel weitaus stärker (und wie ich finde zu recht) kritisiert - und damit meine ich keine arabischen.
Ich habe in letzter Zeit zig mal Kritik am Iran gehört, aber fast nie welche an Israel, da kannst du mir nicht erzählen, dass Israel mehr kritisiert wird als alle anderen.

Die Nazi-Vergleiche hielt der Regisseur selber, wie er in einem Interview sagte, übrigens auch nicht für angebracht - aber offenbar für einen wichtigen Interviewteil.

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10
10/10

Ein wirklich toller Film.
Es fällt mir allerdings schwer viel/konkret darüber zu schreiben, warum er mir derart gut gefallen hat. Sicher, man kann viele Historische Hintergründe zum Verständnis des Films aufführen und ebenso endlos darüber diskutieren, warum die gewählte abstrakte Form derart gelungen und nicht nur ästhetischer Selbstzweck ist; Die Tiefe die der Film beim sehen bekommt lässt sich dadurch aber schwer vermitteln. Der herausragendste Punkt für mich ist die Tatsache, dass man hier nicht versucht die Realität anhand von "Zeugenaussagen" zu rekonstruieren, sondern dass ganz bewusst immer wieder die subjektiven und möglicherweise falschen Erinnerungen der interviewten Personen visualisiert werden. Genau das und der Zusammenhang, das hier trotz der abstrakten Form reale Personen für einen Dokumentarfilm von ihren tatsächlichen Erinnerungen berichtet haben, schafft ein Gefühl von Authentizität, das keine historische Aufnahme so leicht vermitteln kann. Im Endeffekt würde ich sagen, dass vor allem die "Ehrlichkeit" mit der Walz with Bashir das schwierige Thema des Kriegstrauma behandelt den Film zu einem intensiven Erlebnis werden lässt. Das Wort "Dokumentation" ist es, (sofern man keine manipulative Absicht unterstellt) das einem am Ende des Films eine Gänsehaut über den Rücken jagen kann.

Wenn ich einen Kritikpunkt anführen sollte wäre es für mich wohl der schwere Zugang zum Film. Die ersten 10 bis 15 Minuten brauchte ich, um mich auf die Art des Films einzulassen. Ich weigere mich dennoch eine Punkt dafür abzuziehen, da diese ersten Minuten nichts anders machen als der Rest des Films und allein die ungewohnte Form ausschlaggebend für meine Schwierigkeiten war.

Das Fazit muss also lauten: Einer der wenigen Filme die man dieses wirklich gesehen haben sollte. Umso trauriger ist es, dass ihn bereits jetzt nur noch so wenige Kinos im Programm haben.

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10
10/10

1. Auf jeden Fall nicht auf deutsch sehen, die Synchronisation ist fürchterlich.

2. Gewaltiger Bilderrausch in Waking Life-Machart, mit Psychonaut-Inhalt und verdammt guter Musik (manchmal möchte man im Kino tanzen).

3. Darstellung eines abartigen Faschismus', der unwirklich und absurd scheint.

4. Sehr, sehr viele visuelle Einfälle, so daß jede Szene ihre Eigenart hat.

5. Nach "99 Franc" der beste Film des Jahres.

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9
9/10

Guter Film, bescheuerte Rezension.

Was soll denn diese affige Mitleid mit Massenmördern?
Geht's noch?
Hallo?

"In manchen Fällen haben die Soldaten nicht einmal den Grundwehrdienst abgeleistet und müssen bereits in militärischen Einsätzen das Vaterland verteidigen."

Besser hätt's der Führer auch nicht plärren können.

Wer im Jahre 2008 noch so einen Schwachsinn wie "das Vaterland verteidigen" in den Mund nimmt, und dann auch noch für einen Angriffskrieg, der gehört in die Gummizelle!

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@ Sta2think:

Dein Kommentar disqualifiziert dich automatisch von jeglicher ernsthafter Diskussion über das Thema. Absolut unangebracht.

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@ Sylar:

Dein Kommentar disqualifiziert dich automatisch von jeglicher ernsthafter Diskussion über das Thema. Absolut unangebracht.

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@ Sta2think

Na dann sind wir uns ja wenigstens einig. Wir beide diskutieren nicht miteinander!
Ich verkneife es mir dich zu kritisieren und du vermeidest dümmlich-polemisches Geschwätz über historische Ereignisse, die du ganz offensichtlich nie ausreichend behandelt oder reflektiert hast.

Gruß Sylar

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@ Sylar

Hör' endlich auf, wertvollen comment space durch sinnfreie, absurde, selbstgefällige, bornierte, nichtssagende, abstrakte, besserwisserische, unbestimmte, arrogante, inhaltsfreie Schwatzriten zu vergeuden!!!

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Um den folgenden Beitrag nicht komplett sinnlos werden zu lassen möchte ich jedem Leser der obigen Rezension noch ans Herz legen den Film spätestens auf DVD zu sehen, wenn es im Kino nicht mehr möglich war/sein sollte, denn obwohl das Kino natürlich das idealere Medium darstellt, sollte er auch im kleineren Format seine Wirkung entfalten können. Zudem hat der Film jeden Cent verdient, der bei seiner Vermarktung abfällt.

@ Sta2think

Eine schöne Sammlung an Adjektiven (insbesondere abstrakt hat es mir in diesem Zusammenhang angetan), dennoch fehlt mir noch "zutreffend" in deiner Auflistung. Um aber einem möglicherweise noch kommenden ernsthaften und qualitativ hochwertigen comment nicht den wertvollen comment-space zu verbrauchen halte ich mich ab jetzt zurück.

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10
10/10

Habe den Film erst jetzt auf DVD gesehen und bin schwer beeindruckt. Sehr stimmig, vor allem der Soundtrack passt sehr gut dazu. Aber eine Frage habe ich schon noch zu einem der Kommentare weiter oben, von wegen, besser nicht die deutsche Synchro angucken: was ist dann die Alternative????
Leider ist mein Hebräisch sehr schlecht, nämlich gar nicht vorhanden und außerdem (zugegeben, hier fehlt mir der Vergleich) fand ich die deutsche Version nicht soooooooo schlecht.

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10
10/10

ein sehr intensiver film. es ist bewunderswert wie man mit so wenigen mitteln (zeichentrick) ein solchen meisterstück machen kann. auffallend ist vor allem die musikalische untermalung.

dies ist ein film, der im gedächtnis bleibt.

@hollywood: schaut BITTE mal über den tellerrand und nehmt euch ein beispiel! ich kann diese einfallslosen, primitven streifen und 25sten fortsetzungen einfach nicht mehr sehen.

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10
10/10

der film hat mich einfach nur begeistert.
nach 10 minuten sah ich ihn wie ein film mit echten schauspielern.
bei krieg gibt es keine gewinner, nur verlierer.
das zeigt dieser film sehr deutlich.
ich hoffe das dieser film auch andere zum nachdenken angeregt hat.
10* für das meisterweg, was ich nicht so schnell vergesse.

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9
9/10

Hab ihn leieder jetzt erst auf Arte gesehen. Eine Dokumentation der etwas anderen Art, sehr stimmig, zynisch und atmosphärisch. Vor allem die Metaphern der Ängste und auch Sehnsüchte der Soldaten zeigen das der Film etwas "weiter" gehen möchte.

An Sta2Think: Ein "affiges Mitleid" ist nicht herauszulesen. Eine Aussage des Films ist das jeder Soldat von einem Moment zum anderen zum (Massen)mörder werden kann und sich dessen wahrscheinlich vorerst nicht bewusst oder sogar nie bewusst wird. Ob man sich an solchen Ereignissen aktiv oder passiv beteiligt, ob man selbst den Abzug drückt oder nur Leuchtraketen verschießt um die Sicht zu gewährleisten.

Die Tatsache ob die Aussage "Vaterland verteidigen" noch berechtigt ist, ist eine andere Frage, bei welcher die Zeit, die Situation und auch die Lage eine wesentliche Rolle spielen.

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