Wenn am Anfang eines Films in großen Lettern "Inspired by a true story" steht, kann man sich meistens drauf verlassen, dass die folgende Geschichte mit dem wahren Leben soviel zu tun hat wie der deutsche Titel des Films mit dem Original. Fakt ist, dass Pierre Dulaine ein in New York lebender Tanzlehrer ist, der mit seinem Konzept des Tanz- und Benimm-Unterrichts an New Yorker (Grund-)Schulen eine wahre Revolution losgetreten hat. Der Rest ist Hollywood und dazu erfunden, um "die Dramaturgie zu verdichten", oder so. Wer sich für das "Dancing Classrooms"-Projekt interessiert, dem sei an dieser Stelle "Mad Hot Ballroom" empfohlen, ein Dokumentarfilm über Dulaines Schul-Unterricht. Trotzdem ist "Dance!" ein grandioser Film, der auch noch den tanzmuffeligsten Zuschauer zum Mitwippen bringen wird.
Als der Tanzlehrer Pierre Dulaine (Antonio Banderas) eines Abends den Jugendlichen "Rock" (Rob Brown, "Finding Forrester") dabei erwischt, wie er das Auto seiner Schulleiterin demoliert, entschließt Pierre sich, den Jungen nicht anzuzeigen, sondern stattdessen der Schulleiterin ein Angebot zu machen, das sie nicht ablehnen kann: Er will den Schülern ihrer "Ghetto"-Schule Tanz und damit Respekt und Benimm beibringen, und zwar umsonst. Dabei hätten schon im Wartezimmer bei Dulaine die Alarmglocken losgehen sollen: dort mockiert sich ein Schüler darüber, dass Dulaine darauf besteht, allen Frauen höflich die Tür aufzuhalten. "Damit kommt man nicht weit" - "Damit kommt man überall hin!" ist Dulaines Antwort, und er soll Recht behalten. Die Schulleiterin lacht ihn zwar zunächst für seine "Naivität" aus, lässt sich aber auf Dulaines Angebot ein.
Die nachfolgende Geschichte ist ein bisschen "Dangerous Minds" mit einer Prise "Sister Act 2": Ein Außenseiter bändigt die als hoffnungslose Fälle abgestempelten Jugendlichen einer Ghetto-Highschool mit ungewöhnlichen Unterrichtsmethoden. Natürlich will zunächst keiner auch nur mit Dulaine sprechen oder sich seine Vorschläge anhören. Schließlich erzwingt er sich ein wenig Aufmerksamkeit, indem er die auf Hip Hop eingestellten Ohren mit Gershwin-Liedern "foltert" und eine heiße Tango-Demonstration aufs Parkett legt. 5000 Dollar Preisgeld bei einem Tanzwettbewerb überzeugen dann auch noch den Rest der Gruppe, sich auf die Unterrichtsstunden einzulassen.
Die Verlegung von Dulaines eigentlicher Zielgruppe von circa 10jährigen ins höhere Highschool-Alter bot den Drehbuchschreibern viele Ausbaumöglichkeiten der eigentlichen Geschichte: Konflikte mit Drogen, Kriminalität, Rassismus, Sex und der Klassengesellschaft rücken bei "Dance" in den Vordergrund, und es gibt kaum Klischees, die nicht bedient werden.
Merkwürdigerweise verzeiht man dem Film diese Klischees jedoch sofort, denn Regisseurin Friedlander hat einige Asse im Ärmel: erstens Banderas, der den Film mit Herz, Humor und Drama füllt und dem hiermit verziehen sei, dass er keinen Akzent außer "Spanglish" kann und deshalb der in England geborene Dulaine mit libanesischen Vorfahren gleich zum halben Spanier gemacht werden musste. Zweitens jede Menge fantastische Jungschauspieler und Tänzer, die ungefähr so rocken wie damals Lauryn Hill bei "Sister Act 2", allen voran Neuentdeckung Yaya DaCosta und Dante Basco, der nun doch "erwachsen gewordene" Anführer der Lost Boys aus "Hook". Drittens und am wichtigsten die Tatsache, das sowohl Friedlander als auch ihr Cutter Robert Ivison bisher hauptsächlich an Musik-Videos gearbeitet haben. Das merkt man vor allem dem temporeichen und pointierten Schnitt an. Dem ist es auch zu verdanken, dass die Bilder nie langweilig werden.
"Dance" ist ein Muss für alle Tanzfilm-Fans, wird aber auch eventuell mitgeschleppten Begleitpersonen gefallen. Aber ein kleiner Rüffel fürs moralisch oberkorrekte Hollywood muss dann doch noch sein: Wenn jetzt schon Cowboys schwul sein dürfen, warum erfindet man dann eine "verstorbene Ehefrau" für Pierre Dulaine?
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