Ist das die Zukunft? Eigentlich hätte “Auslöschung“, der neuste Film des für “Ex-Machina“ vielgepriesenen Regisseurs und Autors Alex Garland, parallel zum US-Start im Februar auch in den internationalen Kinos anlaufen sollen. Dann war der Auftraggeber Paramount aber nicht wirklich glücklich mit den ersten Testvorführungen des Films, die darauf hindeuteten, dass der Streifen wohl für das Publikum eine Spur zu "intellektuell" daherkommen könnte. Da sich Regisseur Garland Gerüchten zufolge dann auch noch mit Händen und Füßen gegen jegliche Art von Nachdrehs und einen Neuschnitt wehrte, entschloss man sich bei Paramount einfach dazu, sich dem ungeliebten Film zumindest international zu entledigen und verkaufte die weltweiten Verwertungsrechte. Das kein geringerer als Netflix dann zuschlug, ist mehr als bezeichnend dafür, dass intelligente Stoffe inzwischen bei den Streaming-Giganten eher ein wohlbehütetes Zuhause finden, da ein Nischenprodukt dort nicht gleich Bilanzgift bedeutet - denn in jeder Nische lauern schließlich neue, dankbare Abo-Kunden. Während viele der kreativsten Köpfe der Filmbranche in den letzten Jahren sich vor allem im Serienbereich bei den Streaming-Diensten austoben konnten, ist “Auslöschung“ nun der erste Fall, bei dem ein großes Studio ein eigentliches Kino-Prestigeobjekt zumindest teilweise einem Streaming-Anbieter überlässt – und man wird das Gefühl nicht los, dass dies wohl kein Einzelfall bleiben wird.
Ist “Auslöschung“ nun also zu intellektuell für die Mehrheit des Kinopublikums? Ehrlich gesagt, ein klein wenig kann man die Entscheidung von Paramount schon nachvollziehen, denn Garland hat (auf Basis der Buchvorlage von Jeff VanderMeer) einen wirklich ungewöhnlichen Film abgeliefert. Bei Paramount hoffte man wohl ursprünglich auf einen ähnlichen Erfolg wie bei “Arrival“, der dem Studio nicht nur Geld, sondern auch gleich acht Oscarnominierungen einbrachte. Und auch wenn es tatsächlich einige Parallelen zwischen den beiden Filmen gibt, hat Garland im selben Genre doch das deutlich sperrigere Werk abgeliefert.
Wie bei “Arrival“ ist auch hier eine vermutlich außerirdische Lebensform auf der Erde gelandet, mit der sich der erste Kontakt denkbar schwierig gestaltet. Anstatt von Raumschiffen handelt es sich dabei aber um einen sich stetig ausbreitenden rätselhaften Schimmer: eine Art Schild, das sich jeden Tag ein Stück weiter ausbreitetet und so die Existenz der Menschheit bedroht. Das Schild ist zwar durchlässig, doch noch keiner, der es durchschritten hat, ist je wieder lebendig zurückgekehrt. Das ändert sich, als der seit einem Jahr vermisste Ehemann Kane (Oscar Isaac, “Star Wars: Die letzen Jedi“, “Inside Llewyn Davis“) der Molekularbiologin Lena (Natalie Portman, “Black Swan“, “V wie Vendetta“) eines Tages zu ihrer Verblüffung wieder das Haus betritt. Kane, ein Elite-Soldat, ist von seiner Reise durch den Schimmer allerdings körperlich und psychisch schwer mitgenommen und bricht kurz darauf zusammen. Auf der Suche nach Antworten erklärt sich Lena bereit, unter der Leitung von Dr. Ventress (Jennifer Jason Leigh, “The Hateful Eight“), zusammen mit drei weiteren Forscherinnen in den Schimmer aufzubrechen.
Es ist kein Spoiler zu verraten, dass von unseren Forscherinnen nicht alle wieder von ihrer Mission zurückkehren werden. Das teilt uns nämlich auch schon der Film bereits sehr früh mit, in dem er seine Geschichte in Rückblenden aus der Sicht von Lena erzählt. Ob dieses oft ja etwas überstrapazierte Storymittel hier wirklich nötig war, ist allerdings durchaus fraglich, da es der Spannung nur bedingt gut tut und auch nur sehr spärlich eingesetzt wird. Deutlich gelungener sind dagegen die zahlreichen Zeitsprünge, welche die einstige Beziehung zwischen Kane und Lena weiter ausschmücken. Diese Szenen funktionieren nicht nur in Punkto Charakteraufbau deutlich besser, sondern auch noch auf einer zweiten Ebene, die sich aber erst gegen Ende offenbart.
Die meiste Zeit ist “Auslöschung“ aber, zumindest auf den ersten Blick, ein klassischer Survivalthriller. Die von den fünf Frauen betretene Welt des Schimmers hält nämlich einige tödliche Überraschungen parat und so ist das Team rund um Dr. Ventress schon bald damit beschäftigt das eigene Überleben zu sichern. Der Gegner ist dabei die Natur beziehungsweise das, was der Schimmer aus ihr gemacht hat. Ein überdimensionaler Riesenalligator ist dabei nur eine von vielen unliebsamen Überraschungen. Der Schimmer entpuppt sich dabei als eine genauso faszinierende wie bedrohliche Abwandlung der heimischen Flora und Fauna. Eine fremdartige Welt, die gleichermaßen so vertraut wie unwirklich wirkt.
Und genau hier hätte “Auslöschung“ sich nun für den einfachen Weg entscheiden und sich ganz alleine auf das Katz-und-Maus-Spiel der Protagonistinnen stürzen können, die mit ein paar wie aus einem B-Movie wirkenden Fabelwesen ums Überleben kämpfen. Aber auch wenn es hin und wieder etwas blutig zugeht - Alex Garland geht es um etwas anderes. Denn hinter all dem steckt, ohne nun zu viel zu verraten, knallharter Science-Fiction-Stoff. Immer wieder gönnt Garland seinen Figuren nämlich eine Atempause in ihrem Überlebenskampf und gibt ihnen Zeit um die Welt zu erkunden und den rätselhaften Phänomenen auf wissenschaftliche Art und Weise ein Stück näher zu kommen.
Die Welt des Schimmers, die der Film entwirft, steckt dabei voller faszinierender Ideen und strahlt, auch wenn die Computereffekte nicht immer überzeugen können, eine unglaubliche Faszination und Atmosphäre aus. Nicht jede Idee wird konsequent weiterverfolgt, wie zum Beispiel die leider nur kurz angerissene Wahrnehmung von Zeit innerhalb des Schimmers. Aber vor allem im späteren Verlauf gibt es einige wirklich sehr poetische Momente in einer Geschichte, die den Zuschauer immer wieder mit wundervollen kreativen Einfällen überrascht. Und auch wenn nicht jede Nebenfigur die nötige Zeit bekommt um Tiefe aufzubauen, funktioniert der Film dann in Person von Lena doch auch erstaunlich gut als Charakterdrama. Das liegt nicht nur an der überzeugenden Natalie Portman, sondern auch an der Tatsache, dass der Film sich die Mühe macht ihre Persönlichkeit Schicht für Schicht freizulegen.
Was “Auslöschung“ nun so sperrig macht, ist eben genau diese Mischung aus B-Movie-Charme (abgedrehte Monster und manchmal etwas billig wirkende Computereffekte), blutigem Gemetzel, ruhigem Charakterdrama und kopflastigem Science-Fiction-Szenario. Für diesen abgedrehten Mix muss man schon offen sein, ansonsten verliert man als Zuschauer schnell die emotionale Bindung zu der Story und seinen Figuren. Das wäre aber ein Jammer, denn im Schlussteil spielt “Auslöschung“ seine große Trumpfkarte aus, in dem er (ähnlich wie “Arrival“) eine existenzielle Frage der Menschheit auf wundervolle Weise direkt mit dem persönlichen Schicksal seiner Hauptfigur verknüpft. Das Finale ist intensiv, poetisch, nachdenklich und einfach ganz großer Science-Fiction.
Mag der Verkauf des Films für Paramount auch aus finanzieller Sicht die richtige Entscheidung gewesen sein, es ist schon verdammt schade, dass es “Auslöschung“ nicht auf die große Leinwand geschafft hat. So viel Mut und Kreativität, wie Garland und sein Team hier an den Tag gelegt haben, muss einfach belohnt werden, und so rühren wir hier mal wieder die Werbetrommel für Netflix. Vor allem für Fans von intelligentem Science-Fiction ist “Auslöschung“ schlicht und ergreifend Pflichtprogramm – auch wenn es nur auf der “kleinen Leinwand“ bewundert werden kann.
“Auslöschung“ ist in Deutschland exklusiv beim Streaming-Anbieter Netflix erschienen und dort seit dem 12. März verfügbar.
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