„Perfect Blue“ ist ein Film, der einem auf den ersten Blick viel über die Hintergründe der japanischen Popkultur verrät, allerdings wird der geneigte Zuschauer sehr schnell feststellen, daß die hier erzählte Geschichte ebensogut in einer der westlichen Industrienationen spielen könnte. Im Zentrum des Plots steht die junge Sängerin Mima Kirigoe, die versucht, als Teil der dreiköpfigen Girlband „Cham“ Karriere zu machen. Über Auftritte in Einkaufszentren ist man bislang zwar noch nicht hinausgekommen, trotzdem existiert bereits eine kleine aber umso fanatischere Gruppe von Anhängern. Mimas auch im eigenen Management nicht unumstrittener Entschluß, das Mikro an den Nagel zu hängen und ihr Glück als Seriendarstellerin zu versuchen, scheint mindestens einen Fan doch arg erzürnt zu haben, wie unfreundliche Faxe und noch unfreundlichere Briefbomben beweisen. Zusätzlich entdeckt Mima im Internet eine Fanseite, die wesentlich mehr über ihr Privatleben enthüllt als ein Außenstehender wissen könnte und zudem auch noch in Form ihres eigenen Tagebuchs geschrieben ist. Es scheint so, als gäbe es eine Doppelgängerin Mimas, die ihre frühere Identität als Pop-Idol weiterlebt und auch nicht davor zurückschreckt, Menschen, die an ihrer neuen Schauspielkarriere beteiligt sind, zu ermorden...
Filme, die auf dem Spiel mit Illusion und Realität basieren, gibt es ja nun wirklich zuhauf, aber selten war ein Filmschaffender derart begeistert bei der Sache, wenn es darum ging, dem Publikum den Boden unter den Füßen wegzuziehen, wie Satoshi Kon in seinem Regiedebüt. Die gezielte Verunsicherung des Zuschauers beginnt noch recht harmlos und beschränkt sich zunächst auf die Verknüpfung der eigentlichen Filmhandlung mit der Story der Krimiserie, in die Mima eingestiegen ist. Bevor man sich’s versieht wird man jedoch zusätzlich in einen wahren Strudel von Träumen, Visionen und Déjà-vu-Erlebnissen gerissen, die oftmals nahtlos ineinander übergehen und dazu beitragen, daß der Film mit einem Begriff wie ‚doppelbödig‘ nur noch höchst unzureichend beschrieben werden kann. ‚Vierfachbödig‘ trifft’s schon eher. Allerdings wäre hier stellenweise vielleicht doch etwas Mäßigung angebracht gewesen, denn gelegentlich kann man sich nur schwer des Eindrucks erwehren, daß der Fluß der Story geopfert wird, um den angestrebten Überraschungseffekt zu erreichen, wenn sich eine weitere Szene auch nur als weitere Illusion entpuppt. Andererseits ist es Kon hoch anzurechnen, daß er dem Zuschauer konsequent die Perspektive seiner verstörten Hauptfigur aufzwingt und auf diese Weise eine beunruhigende Intensität erreicht, die auch durch die Auflösung der Geschichte nicht wesentlich abgeschwächt wird.
„Perfect Blue“ ist ein Zeichentrickfilm. Das sollte so langsam vielleicht doch mal erwähnt werden, denn ein derartiger Stoff ist schließlich nicht unbedingt für eine Umsetzung in Animationsform prädestiniert. Daß gerade die japanischen Animes den leider immer noch bestehenden Niedlichkeitsdogmen der westlichen Zeichentrickfilme schon so einige drastische Gegenentwürfe liefern konnten, dürfte sich auch unter Nicht-Otakus inzwischen herumgesprochen haben. Trotzdem will sich „Perfect Blue“ auch in diese Schublade nicht so bequem einordnen lassen, da der Identitäts-Thriller doch recht weit von den schnell herbei-assoziierten Cyberpunk-Abenteuern und Tentakel-Penetrationen entfernt ist. Die Qualität der Animation reicht zwar nicht an das Referenzniveau der üblichen Vorzeige-Animes wie „Akira“, „Ghost in the Shell“ oder „Prinzessin Mononoke“ heran, ist aber dennoch sehr ansehnlich, gerade auch wenn man bedenkt, daß der Film ursprünglich nur für den Videomarkt konzipiert war. Beeindrucken kann auch Satoshi Kons Inszenierung, von deren Einfallsreichtum sich so mancher Realfilm-Regisseur gerne mal inspirieren lassen dürfte.
Ein weiterer Trumpf des Films ist seine Aktualität. Wie eingangs bereits erwähnt, sind gecastete Popstars, die auch in anderen Medien Fuß fassen wollen, heutzutage genauso wenig ein rein japanisches Phänomen wie verwirrte Fans, die ihr ganzes Leben und wild wuchernde Websites einer Person widmen, die sie genau genommen gar nicht kennen. „Perfect Blue“ gönnt sich hier auch einige schmerzhafte Schienbeintritte gegen das zu erwartende eigene Publikum, die über die momentan häufig zu findende - modisch-schicke aber zumeist doch eher unkritische - Selbstreferentialität weit hinausgehen. Alles in allem ist hier ein außergewöhnlicher Thriller zu bewundern, der die Stärken alter Meister wie Brian DePalma und Dario Argento mit einem topmodernen Inhalt verbinden kann und zudem noch in ungewohnter aber angemessener Form zu präsentieren weiß.
Originaltitel
Perfect Blue
Land
Jahr
1997
Laufzeit
81 min
Regie
Cast
Release Date
Bewertung
Neuen Kommentar hinzufügen