Ab dem 12. April 2018 wird "Der Himmel über Berlin" in einer aufwendig restaurierten 4K-Fassung erneut in deutschen Kinos aufgeführt. Hier folgt unsere ursprüngliche "Gold"-Rezension des Films, die schon 2002 entstand.
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"Sometimes there is so much beauty in the world, I feel like I can't take it," sagte Wes Bentley als Ricky Fitts in "American Beauty". Bei Zeilen wie diesen fragt man sich manchmal, was den Autor wohl dazu inspiriert haben mag. Eine der naheliegenden Möglichkeiten: Er hat Wim Wenders' Zauberwerk "Der Himmel über Berlin" gesehen. Ein Film über eben diese Schönheit in der Welt, die an jeder Straßenecke auf einen wartet, und an der man meistens doch einfach vorbei geht.
Die knappe Handlung die da ist, ist schnell erzählt: Der Engel Damiel (Bruno Ganz) wandelt in Begleitung seines himmlischen Kollegen Cassiel (Otto Sander) durch Berlin und ergibt sich der unendlichen Faszination menschlichen Daseins. Er träumt von einer wahrhaftigen irdischen Existenz, um all die Erfahrungen machen zu können, die den Menschen vorbehalten sind. Als er sich schließlich in die Trapezkünstlerin Marion (Solveig Dommartin) verliebt, wagt er den Schritt in alles Menschliche und lässt den Himmel hinter sich.
Die Geschichte ist einem breiteren Publikum bekannt aus dem 1996er Hollywood-Remake "Stadt der Engel" mit Nicolas Cage und Meg Ryan, ein schöner Film, der im Vergleich mit dem Original jedoch unendlich profan erscheint. Was dort in einen relativ konventionellen Plot gepresst wird, ist hier mehr ein einziger Fluss der Bilder und Ideen.
Damiel und Cassiel spazieren durch die Köpfe der Menschen um sie herum, lauschen manchmal nur im Vorbeigehen kurz ihren Gedanken, verbleiben andernorts für Minuten bei einer Person und folgen dem Strom ihres Bewusstseins (auch dies mag vertraut wirken: Das fabelhafte REM-Video "Everybody hurts" ist deutlich von diesem Film inspiriert). Permanent in ihrer Begleitung sind ein alter Mann namens Homer (gespielt von Curt Bois, der seine 80 Jahre weilende Schauspielkarriere - Weltrekord - mit diesem Film abschloss), der im Niemandsland des damals geteilten Berlins nach dem Potsdamer Platz seiner Jugenderinnerungen sucht, und der amerikanische Schauspieler Peter Falk (bekannt als Inspektor Columbo, hier in persona), dessen Rolle sich später als enorm wichtig entpuppt. In Worte gefasst von Wenders' Co-Autor Peter Handke avanciert "Der Himmel über Berlin" so von Beginn an mehr zu einem einzigen verbildlichten Gedicht als zu einem "gewöhnlichen" Film. Wenn es jemals so etwas wie Kino-Poesie gegeben hat, dann findet sie hier ihre Essenz.
In einigen Momenten wird dies in negativer Weise deutlich, wenn sich die Kombination von Bildern und Worten zu sehr ins Pathetische verliert, oder die Dialoge zwischen den beiden Engeln eben zu sehr nach geschriebenem Wort klingen, um wie eine Unterhaltung denn wie ein rezitiertes Gedicht zu klingen. Doch das sind Marginalien, die sich schnell wieder in der Bewunderung für das Gesamtwerk verlieren.
"Der Himmel über Berlin" ist ein großes Gedichtepos mit zahllosen Facetten. Ebenso euphorisch wie tieftraurig, beizeiten endlos deprimierend, dann wieder unglaublich lebensbejahend. Es hat Strophen über die kleinen Wunder der Alltäglichkeit; über das Leben, und was wir nie daraus gemacht haben; über Hoffnung, Verzweiflung, Glück und Einsamkeit; über den unendlichen Schatz unserer Erinnerung und dessen Bereicherung durch neue Erfahrungen. Es hat viele Strophen über das Kindsein, jene Zeit, in der alles neu, alles anders, alles wundersam erschien, als wir in aller Unschuld mit großen Augen in die Welt staunten und kaum verarbeiten konnten, was auf uns einwirkte. Als alles genauso wundersam erschien, wie es für den von menschlichem Erleben abgeschnittenen Damiel ist. Nicht ohne Grund sind einzig die Kinder in der Lage, die Engel um sie herum zu sehen.
In magischen, schwerelosen Bildern von leicht bläulichem Schwarz/weiß, eingefangen von Kameramann Henri Alekan, nimmt uns der Film mit auf eine Reise durch die Straßen und Lüfte Berlins, zeigt ihre Gegenwart und ihre Vergangenheit aus der distanzierten Perspektive der Engel, die mit sich Erinnerungen an die gesamte Geschichte der Erde tragen, und doch jeden Tag aufs Neue Dinge finden, die sie faszinieren und begeistern. Unaufdringlich und langsam macht "Der Himmel über Berlin" uns klar: Wenn zwei unsterbliche Engel von unserer Gegenwart so sehr verzaubert werden, wieso gehen wir dann in unserer kurzen Lebensspanne mit so engen Scheuklappen durch die Welt? Wenn es so viel zu erleben gibt, dass manche himmlische Wächter die Ewigkeit der stillen Beobachtung freimütig eintauschen gegen ein Menschenleben in der materiellen Welt. Für Damiel ist es das unstillbare Bedürfnis nach den einfachsten Sinneserfahrungen, das Spielen mit einem Bleistift, der Geschmack einer Tasse Kaffee, die winterliche Kälte im Gesicht, die ihn zum Menschsein drängt. Aber vor allem der Wunsch nach der körperlichen Nähe der einsamen Marion lässt ihn den entscheidenden Schritt tun.
Es dauert sehr lange, bis wir das matte schwarz/weiß der Welt der Engel verlassen und die filmische Wahrnehmung in die farbenfrohe Menschenwelt wechselt, und irgendwie scheint zu diesem Zeitpunkt das meiste auch schon gesagt zu sein. Die letzten vierzig Minuten von "Der Himmel über Berlin" wirken wie ein seltsamer Antiklimax, der bedächtig auf den Schluss zuwandert, jedoch nicht in der Lage ist, das Wunder der Welt - jetzt, wo der Engel es wirklich spüren kann - so einzufangen, wie es dem Rest des Films gelungen ist. Zu wenig Raum wird dem unschuldigen Staunen von Damiel gelassen, als er mit kindlicher Neugier auf die Erlebnisreise seines irdischen Daseins geht. Ein Manko, dass Wenders damals mit dem Hinweis "Fortsetzung folgt" am Ende des Films entschuldigte. Die Fortsetzung kam schließlich sechs Jahre später mit "In weiter Ferne, so nah", den ich bisher noch nicht gesehen habe, und aufgrund der gespaltenen Kritik ist es wohl auch besser, dass so zu belassen. Eine unbefriedigende Fortsetzung kann viel vom Original kaputt machen. In diesem Falle ist die Gefahr einfach zu groß, dass etwas besonders Wertvolles dabei zerstört wird.
Poesie in Filmform, nichts anderes ist "Der Himmel über Berlin". Ob Wenders' Meisterwerk seine volle Wirkung entfalten kann, hängt dabei sehr von den individuellen Gemütern der Zuschauer ab, ob sie entlang ähnlicher Linien denken, oder Handkes Lyrik als übertrieben pathetisch empfinden. Der eingangs erwähnte "American Beauty" ist da eine gute Messlatte: Die, für die Sam Mendes' Film vor allem eine pessimistische, tragische und tief treffende Mittelstands-Satire war, werden vielleicht ihre Schwierigkeiten haben. Doch die, die zwischen der Verzweiflung die Momente der Erleuchtung gefunden und geschätzt haben, die wie Ricky Fitts die Schönheit der Welt suchen und manchmal auch finden, für die hält "Der Himmel über Berlin" zwei der wundervollsten Stunden bereit, die das Kino je hervor gebracht hat. Und wie bei "American Beauty" weiß man am Ende nicht, ob man traurig oder glücklich sein soll. Oder beides gleichzeitig.
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