Brooklyn - Eine Liebe zwischen zwei Welten

Originaltitel
Brooklyn
Land
Jahr
2015
Laufzeit
111 min
Genre
Regie
Release Date
Bewertung
8
8/10
von Frank-Michael Helmke / 15. Januar 2016

Brooklyn

"Brooklyn" ist einer dieser Filme, die einen daran erinnern, dass es einen guten Film nicht so sehr ausmacht, was er erzählt, sondern wie er es tut. Die Story von "Brooklyn" ist an sich weder etwas Besonderes noch originell. Er erzählt eine klassische Einwanderergeschichte anhand seiner Hauptfigur Eilis (Saoirse Ronan), eine schüchterne und unsichere junge Frau, die auf Drängen ihrer Schwester Anfang der 1950er Jahre das tut, was schon Millionen ihrer irischen Landsleute vor ihr getan haben: In der Hoffnung auf ein besseres Leben nach Amerika auswandern. Es folgt ein herzzereißender Abschied von Schwester und Mutter und nach der Ankunft im titelgebenden New Yorker Stadtteil fast lähmendes Heimweh, nur ein wenig gelindert durch die herzensgute Gemeinschaft früherer Einwanderer, die sich um ihresgleichen kümmert. Nach und nach formt sich für Eilis tatsächlich ein neues, besseres Leben in Amerika, doch als sich alles zu einem bescheidenen Märchen des Immigrantenglücks zu wandeln scheint, zwingt eine unerwartete Familientragödie Eilis zurück nach Hause, und auch dort breitet sich auf einmal die Chance auf eine glückliche Zukunft aus, die vor ihrer Immigration so unmöglich erschien.

BrooklynDass sich der Heldin Eilis hier gleich die Aussicht auf Lebensglück in zweifacher Ausführung anbietet, verdeutlicht, dass "Brooklyn" trotz kleinerer Momente von Tragik eine ziemliche Wohlfühl-Veranstaltung ist. Bis auf eine markante Ausnahme laufen hier eigentlich auch nur positiv gezeichnete Figuren herum, beizeiten vielleicht etwas exzentrisch oder überkandidelt, aber im Kern wohlmeinend. Dies ist keine Geschichte, die von ihren Konflikten lebt, abgesehen natürlich von dem Kernkonflikt im Herzen jeder Immigranten-Geschichte: Die Hoffnung auf ein neues, selbstbestimmtes Leben gegen die Sehnsucht nach und die Bindung an die alte Heimat. Alles recht harmlos und liebenswürdig und herzerwärmend also, und so etwas steht dann auch leicht unter dem Verdacht, dann doch eher oberflächlich und langweilig zu sein. Das ist das aber überhaupt nicht ist, liegt eben am Wie dieses Films.

Da ist die ungemein gekonnte und sichere Inszenierung von James Crowley, der mit soviel Feingefühl für das richtige Zeitkolorit ans Werk geht, dass er seine Handlungsära perfekt zum Leben erweckt und eines der gelungensten period pieces der letzten Jahre auf die Leinwand zaubert, seinem Film dabei aber zugleich einen sanften Hauch nostalgischer Patina verleiht. Da ist das grandiose Drehbuch von Nick Hornby, der hier die gar nicht leichte Aufgabe hatte, eine populäre Romanvorlage für eine Kinoadaption zurecht zu stutzen und dabei formidable Arbeit leistete, indem er selbst kleinen Nebenfiguren, die nur für wenige Szenen im Film auftauchen und von denen wir nicht einmal den Namen erfahren, so markante Auftritte beschert, dass sie dem Zuschauer lebendig im Gedächtnis bleiben. BrooklynResultat ist ein Sammelsurium denkwürdiger Kurzauftritte und entzückender szenischer Details, die einem ein permanentes Lächeln aufs Gesicht zaubern. Und da ist natürlich das hervorragend gecastete und agierende Ensemble, das all diesen Figuren das richtige Leben einhaucht. "Brooklyn" ist gespickt mit tollen Charakterdarstellern, die sich allesamt ganz in den Dienst der Geschichte stellen und durch die Bank so perfekt auf ihre Rollen passen, dass man beinahe geneigt ist, die Casting-Abteilung zum eigentlichen Star dieses Films zu erklären.

Wäre da nicht Saoirse Ronan. Ihr Vorname mag unaussprechlich sein, doch er wird uns Filmliebhabern noch sehr häufig begegnen. Es ist fast ein wenig beängstigend, was für eine komplette, ausdrucksstarke und höchst versierte Schauspielerin diese junge Dame mit gerade einmal 21 Jahren schon ist. Seit sie mit ihrem Auftritt in "Abbitte" der Filmweltöffentlichkeit erstmals nachhaltig auffiel, hat Ronan mit Hauptrollen wie in "In meinem Himmel" oder "Wer ist Hanna?" immer wieder deutlich auf sich aufmerksam gemacht. Für "Brooklyn" erhielt sie nun ihre erste Oscar-Nominierung als beste Hauptdarstellerin, und man kann mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sagen, dass es nicht die letzte bleiben wird. BrooklynEher die erste von einem Dutzend. Oder so. Hochverdient ist diese Nominierung auf jeden Fall, denn mit welcher Präzision und ergreifender Subtilität Ronan hier zu jedem Zeitpunkt das Publikum am emotionalen Innenleben ihrer Figur teilhaben lässt, erhebt "Brooklyn" nahezu im Alleingang von einer schönen, aber etwas betulich-harmlosen "Eine junge Frau geht ihren Weg"-Mär hin zu einem zutiefst glaubwürdigen und berührenden Porträt einer authentischen Immigranten-Biografie.

Ronans Vorstellung ist der zentrale Schmuckstein im Mosaik nahezu perfekt ausgeführter filmischer Handwerkskunst, die "Brooklyn" ausmacht. Hier fügt sich die Arbeit aller Beteiligten zusammen zu einem herausragenden Gesamtergebnis, einem romantischen Drama alter Schule, in dem man in kleinen Details wie der Farbdramaturgie von Eilis' Kleidern, die im Laufe des Films ihren Persönlichkeits- als auch ihren Stimmungswandel untermalen, eine Verehrung für klassische Kino-Erzählung erlebt, wie sie in Hollywood immer mehr verloren geht. Ja, es ist vielleicht alles etwas harmlos und positiv in diesem Film. Aber es fühlt sich trotzdem menschlich und aufrichtig an. Und es ist vor allem eins: Einfach schön anzusehen.

Bilder: Copyright

Schöne begeisternde Rezension Herr Helmke.

Aber tun Sie mir doch bitte einmal den Gefallen (ist nicht im geringsten böse gemeint) und lesen noch einmal selbst was und wie Sie es geschrieben haben. Danach wäre es toll, wenn Sie mir (oder uns) erläutern würden, wie Sie auf diese Wertung gekommen sind. So wie ich das sehe und im Grunde ja sehen muss, wurde hier ein in jeglicher Hinsicht nahezu perfekten Film abgewertet, weil er was... sehr positiv ist?
Bei allem Respekt und auch Freude über das hohe und alles andere als selbstverständliche Maß an Hingabe, dass Sie in ihre Arbeit und Ihre Meinung fließen lassen aber Wertung und Text wollen, wie leider ziehmlich häufig bei Filmszene, absolut nicht zusammenpassen. Alles klingt hier nach neun Augen mit extremer Tendenz zu zehn.

Ihr Text beschreibt einen Film, den nahzu jeder Mensch, der sich auch nur ein wenig für dieses Thema und derartige Filme interessiert, gesehen haben sollte. Und Ihre Wertung drück hingegen aus, dass ich ihn mir ansehen sollte, sobald sich vielleicht mal die Gelegenheit dazu bietet. Man mag mich Korinthenkackerisch (schreibt man das so?) nennen aber ich bin der Meinung, dass das sehr wohl einen Unterschied macht.

Bin ich vielleicht überempfindlich?

Würde mich sehr über eine Antwort freuen.

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Die Filmvorschau im Kino war einfach nur langweilig (und viel zu lang). Insofern bin ich überrascht, dass so ein gut bewerteter Film dahinter stecken soll.

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@Alex:
Man kann sich darüber streiten, ob eine Acht-Augen-Wertung nicht auch schon aussagt, dass man sich einen Film unbedingt ansehen sollte, wenn einen das Thema interessiert. So sehe ich das jedenfalls. Aber um auf die von Ihnen empfundene Diskrepanz zwischen Text und Wertung einzugehen: Ich kann gut verstehen, dass sie das so empfinden. Mein Bestreben beim Schreiben war es, einen Text zu verfassen, der meine Begeisterung für den Film deutlich macht und eine hohe Wertung rechtfertigt, gleichwohl man "Brooklyn", wenn man möchte, auch eine Reihe wenig lobenswerter Eigenschaften attestieren kann. Ich bin offenbar ein wenig übers Ziel hinaus geschossen, da ich eine ganze Reihe negativer Adjektive, die auf den Film auch passen würden, vermieden habe. Man könnte "Brooklyn" zum Beispiel als seicht, schönfärberisch, klischiert und nicht nur als "sehr positiv", sondern als "zu positiv" bezeichnen. Beim Schreiben hatte ich einen Absatz angefangen (dann aber wieder gelöscht), der "Brooklyn" mit einer jener "Eine Frau geht ihren Weg und steht dabei zwischen zwei Männern"-Schmonzetten verglich, die häufig am Sonntag Abend im ZDF laufen. Wenn man will, kann man "Brooklyn" als genau solch einen Film, nur mit viel besserem Produktionsniveau, Drehbuch und Darstellern betrachten.
Man kann geteilter Meinung darüber sein, ob eine solche Seichtigkeit bei nahezu perfekter Ausführung trotzdem eine 9- oder gar 10-Augen-Wertung rechtfertigt. Ich persönlich stelle an die innere Komplexität eines Films noch ein wenig höhere Ansprüche, bevor ich eine Höchstwertung auspacke. Aber das kann man natürlich auch anders sehen, und wenn Sie sich "Brooklyn" ansehen sollten und er für sie 10 Augen verdient hätte, dann freu ich mich mit Ihnen für ein in Ihren Augen grandioses Kino-Erlebnis. :-)

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Danke für diese tolle Antwort.

Ich glaube, dass es tatsächlich diese Informationen bzw. diese Seite der Medaille war, die mir in Ihrem Bericht gefehlt hat. Jedemfalls habe ich nun, wie ich glaube, einen sehr viel besseren Eindruck von dem Film und wie ihre (natürlich trotzdem sehr gute Wertung) zu stande gekommen ist.
Ich weiß jedoch nicht, ob ich dazu komme den Film im Kino zu sehen. Im Sauerland ist, einen guten jedoch "kleinen Film" im Kino sehen zu wollen, meist gleichbedeutnd damit, für Hin- und Rückfahrt gut anderthalb Stunden oder mehr in Kauf zu nehmen. Ich denke ich warte auf die Blu-Ray-Veröffentlichung. Dann werde ich aber gerne eine Wertung abgeben.

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