
In einer sehr amüsanten Episode von „Big Bang Theory“ ist der chronisch schüchterne Computer-Nerd Raj drauf und dran, sich in Apples Sprach-Interaktions-Software „Siri“ zu verknallen, da er in der sympathischen Frauenstimme endlich ein „weibliches Wesen“ gefunden hat, mit dem er ungehemmt kommunizieren kann, und die noch dazu so fabelhaft auf seine Interessen und Bedürfnisse eingeht. Regie-Sonderling Spike Jonze („Being John Malkovich“, „Adaptation“, „Wo die wilden Kerle wohnen“) erzählt in seinem neuen Film im Prinzip dieselbe Geschichte – allerdings mit dem gewichtigen Unterschied, dass er sie nicht als Komödie auffasst, sondern vollkommen ernst nimmt.
Das Ergebnis ist ein kleines Wunder: Einerseits ein subtil satirischer Kommentar über die fortschreitende Annexion jeden Aspekts unseres Lebens durch unsere Hosentaschencomputer. Andererseits eine herzzerreißende, berührende, tragische Liebesgeschichte über die verzweifelten Wege, welche die Suche nach dem emotionalen Glück zu gehen bereit ist. Ein kleines Meisterwerk, das Anfang März völlig zurecht den Oscar für das beste Drehbuch gewann.
In einer nahen Zukunft fristet Theodore Twombly (Joaquin Phoenix) ein einsames und melancholisches Dasein, seitdem ihn seine Ehefrau verlassen hat. Nichts scheint ihm mehr Freude zu bereiten, während Theodores stille Sehnsucht nach Nähe und Liebe offenbar wird in den wunderschönen Worten, die er in seinem Job für den Internet-Dienst „BeautifulHandwrittenLetters.com“ findet: Kunden bestellen dort Liebesbriefe, die dann von einem professionellen Schreiber und in vermeintlich persönlicher, handschriftlicher Aufmachung erstellt werden. Doch Theodores Leben wandelt sich, als er sich ein neues Computer-Betriebssystem zulegt, das mit einer revolutionären künstlichen Intelligenz in der Lage ist, sich weiterzuentwickeln und im Austausch mit dem jeweiligen Nutzer eine echte Persönlichkeit zu entwickeln. Theodore ist baff, als sein neues OS sich als erstes sogar selbst einen Namen gibt. Nun ist „Samantha“ (im Original gesprochen von Scarlett Johansson) in seinem Leben – und Theodore beginnt ein Glück zu erleben, das er nicht mehr für möglich gehalten hätte. Aber eben dank einer körperlosen, künstlichen Intelligenz. Und das bringt seine ganz eigenen „Beziehungsprobleme“ mit sich.
Bei „Big Bang Theory“ war die Vorstellung, jemand könne sich in sein Betriebsystem verlieben, noch für einfache Lacher angesichts so etwas Absurdem gut, und Rajs Freunde reagierten mit reichlich Irritation auf seine neue „Freundin“. Aber ist das angesichts der emotionalen, fast schon intimen Bindung, die viele Leute heutzutage zu ihrem Smartphone aufbauen – im Besonderen die leidenschaftlichen Apple-Anhänger – wirklich so eine absurde Vorstellung? Eigentlich denkt „Her“ eine Entwicklung, die in der Realität bereits existiert (wie viele Menschen haben in der Öffentlichkeit bereits jetzt nur noch Augen für ihr Telefon?), lediglich konsequent weiter, und zeigt uns eine Welt, in der (fast) niemand mehr mit Irritation reagiert wenn Theodore erzählt, dass er jetzt eine Beziehung mit seinem Betriebssystem hat. In dieser durchaus glaubwürdigen Zukunft ist das zu einer völlig akzeptierten Möglichkeit geworden, sein persönliches Glück zu finden.
„Her“ ist im Prinzip ein Science-Fiction-Film klassischer Prägung, indem er eine Zukunftswelt entwirft, die unserem Hier und Jetzt den Spiegel vorhält. Tatsächlich ist es beeindruckend, wie es Spike Jonze mit einfachen Mitteln gelingt, eine Zukunftswelt zu illustrieren, die nur wenige Jahre von unserer entfernt zu sein scheint. Das Stadtbild von Los Angeles scheint in seiner endlosen Weitläufigkeit nur noch aus anonymen Hochhäusern zu bestehen (die meisten Außenaufnahmen entstanden tatsächlich in Shanghai, das mit seinem Bauboom hier die gesichtslose, anonyme Großstadt-an-sich der Zukunft „doubelt“). Smartphones und Computer sind in ihrem Design eine glaubwürdige Weiterentwicklung des Ist-Stands, ebenso wie die Mode: Der Hipster/Nerd-Chic, der heutzutage zunehmend zur Uniform der „Digital Natives“ wird, ist in „Her“ omnipräsent geworden. Es gibt im gesamten Film niemanden, der eine Jeanshose trägt oder in heutigem Sinne irgendwie „cool“ aussieht.
So glaubwürdig und greifbar erscheint die Zukunftsvision, die Jonze hier entwirft, dass man auch problemlos mitgeht bei seinen deprimierenden bis bizarren Entwürfen über die zukünftige Gestaltung des Zwischenmenschlichen. In einer Welt, in der Kommunikation sich immer mehr in den virtuellen Raum und weg vom echten physischen Kontakt verlagert, wird selbst eine Verabredung zum schnellen Sex via Internet-Chatroom zu einer letztlich körperlosen Angelegenheit, für die man nicht mehr das Haus verlässt. In solch einer Welt ist es dann auch kein akutes Beziehungshindernis mehr für Theodore und Samantha, dass sie eben keinen Körper besitzt. Doch gerade als man denkt, dass ihre Beziehung (und somit auch der Film) aufgrund dieses Umstands in eine natürliche, unweigerliche Sackgasse gerät, erschafft „Her“ eine seiner stärksten aber auch verstörendsten Szenen, als Samantha in einem Akt der Verzweiflung diese fehlende Körperlichkeit zwischen ihr und Theodore auf bizarre Weise zu überbrücken versucht.
Eine solch außergewöhnliche Filmidee steht und fällt natürlich vor allem mit zwei Dingen: Erstens dem Hauptdarsteller, denn da Joaquin Phoenix hier die meiste Zeit nur mit einer Stimme interagiert, ist die Kamera beinahe permanent bei ihm und er allein muss das Publikum durch die emotionalen Wellenschläge dieser Geschichte führen, ohne dabei zu plakativem „Overacting“ zu greifen, das die Glaubwürdigkeit seiner sehr introvertierten Filmfigur zerstören würde. Dieser schwierige Balanceakt gelingt ihm herausragend und es ist bedauerlich, dass dies nicht mit einer Oscar-Nominierung gewürdigt worden ist. Zweitens das Drehbuch, das sich hier eben nicht an das Paradigma halten kann, dass filmisches Erzählen vor allem über Bilder funktioniert. Das Kernstück des Films, die Beziehung von Theodore und Samantha, wie sie entsteht und wie sie sich entwickelt, ist reiner Dialog, und gerade in den ersten Minuten, die die beiden zusammen verbringen und quasi ihr erstes Kennenlernen erleben, verbringt Jonzes Skript absolut Erstaunliches.
Wenn er sich hier nachdrücklich für den Drehbuch-Oscar empfohlen hat, so verdient er ihn sich schließlich endgültig im Schlussdrittel des Films, wenn Jonze beweist, dass er sein Szenario auf bemerkenswerte Weise durchdacht hat. Wenn die Frage, ob solch eine Beziehung eigentlich „falsch“ ist, obwohl sie der einzige Weg ist, auf dem Theodore glücklich sein kann, nämlich beantwortet ist, stellt sich danach noch eine andere Frage. Denn auch zu einer Beziehung zwischen einem Menschen und einem Betriebssystem gehören immer noch zwei – und die andere „Person“ ist eben eine sich weiter entwickelnde, künstliche Intelligenz.
„Her“ ist Spike Jonzes bis dato sensibelster und auch reifster Film, denn es ist erstaunlich und bemerkenswert, wieviel Wahrheit und Wahrhaftigkeit über die Komplexität menschlicher Beziehungen in dieser Geschichte über eine eben nur halb menschliche Beziehung steckt. Und dass es trotz des Handicaps, dass Samantha nur eine Stimme ist (wenn auch die von Scarlett Johansson), eine ebenso tief- wie ergreifende Liebesgeschichte geworden ist, die in ihrer emotionalen Aufrichtigkeit wahrlich zeitlos ist.
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