Kavalkade

MOH (40): 6. Oscars 1934 - "Kavalkade"

In unserer Serie "Matthias' Oscar History" (MOH) bespricht Matthias in jeder Folge jeweils einen der zwischen den Jahren 1929 und 2000 nominierten Oscar-Beiträge aus der Kategorie "Bester Film".

von Matthias Kastl / 30. Januar 2024

Wie schon zwei Jahre zuvor ging auch der Hauptpreis der sechsten Academy Awards 1934 an ein mehrere Jahrzehnte umspannendes Epos. Und wie damals bei “Pioniere des wilden Westens“ hadere ich auch bei “Kavalkade“ mit der Entscheidung der Jury, gerade angesichts des viel stärkeren “Jagd auf James A.“ aus unserer letzten Folge. Bevor wir darauf aber genauer eingehen noch ein Hinweis in eigener Sache.

Wie bereits zum Start der Reihe erwähnt sind zwei Beiträge pro Woche ein Tempo das zeitlich auf längere Sicht kaum durchzuhalten ist – zumindest, wenn man hier und da auch noch ein paar Hintergrundinfos vermitteln und in der begrenzten Freizeit noch ein paar aktuellere Filme rezensieren möchte (so schön nostalgisch die Vergangenheit auch ist). Ursprünglich hatte ich darum angedacht immer wieder ein paar größere Verschnaufpausen zwischendrin einzulegen, halte aber inzwischen ein mehrmaliges Einfrieren und Auftauen dieser Reihe für keine gute Idee. Um weiter in einem entspannten Flow zu bleiben wechseln wir deswegen ab jetzt auf einen Beitrag pro Woche (immer Dienstags), ziehen das aber dafür konsequent durch. So gibt es jede Woche weiter frischen Content und mir die nötige Zeit, um die jeweiligen Beiträge auch in Ruhe diskutieren zu können  – was angesichts der Themen, die zum Beispiel bei den Beiträgen der nächsten Oscar-Verleihung so auf uns zu kommen (Judenverfolgung, Rassismus), auch nötig sein wird.

Jetzt aber zurück zu den sechsten Academy Awards und unserem Sieger in der Kategorie "Outstanding Production".

Kavalkade

Originaltitel
Cavalcade
Land
Jahr
1933
Laufzeit
112 min
Genre
Regie
Release Date
Oscar
Gewinner "Outstanding Production"
Bewertung
5
5/10

Genau wie der 1931er Oscar-Sieger “Pioniere des wilden Westens“ möchte auch “Kavalkade“ eine gleich mehrere Jahrzehnte umspannende Geschichte erzählen, entpuppt sich am Ende aber aus teils ähnlichen Gründen als ebenfalls enttäuschender Preisträger. Der auf einem britischen Theaterstück basierende Film schildert das Leben und Leiden einer britischen Familie und deren Dienstboten zwischen 1900 und 1930. Das wohlhabende Ehepaar Jane (Diana Wynyard) und Robert (Clive Brook, "Shanghai-Express"), sowie deren Kinder Edward (John Warburton) und Joe (Frank Lawton), werden dabei nicht nur Zeuge, sondern auch teils aktiver Teil der turbulenten englischen Geschichte – inklusive mehrere blutiger Kriege. Ebenfalls nicht spurlos gehen die Jahre derweil an deren Butler Alfred (Herbert Mundin) und dessen Familie vorüber, für die das Leben einige tragische Schicksalsschläge bereithält.

Es gibt Filme, da merkt man schon nach wenigen Minuten, dass die nächsten beiden Stunden wohl eine ziemlich zähe Angelegenheit werden dürften. Die Eröffnungsszene zwischen Jane und Edward ist trotz des durchaus vorhanden natürlichen Charmes von Diana Wynyard und Clive Brook eine unglaublich steife Angelegenheit, da sich das Drehbuch keinerlei Mühe macht die Exposition irgendwie halbwegs elegant in seine ausschweifenden Dialoge einzubauen. Von Anfang an möchte “Kavalkade“ auf sein melodramatisches Potential möglichst deutlich hinweisen, was vor allem Wynyard dazu verführt fast jeden ihrer Sätze möglichst bedeutungsschwanger in Richtung Publikum zu formulieren, anstatt natürlich mit ihrem Schauspielkollegen zu interagieren.


Das zieht sich leider durch den ganzen Film, der so gefühlt immer einen Stock im Hintern hat, was jetzt nicht gerade dadurch abgemildert wird, dass wir hier die meiste Zeit mit der britischen Oberschicht abhängen. Mit eindrücklichen und spitzzüngigen Dialogen wäre das Philosophieren während der Tea Time ja ganz unterhaltsam, angesichts der stets gleichen Botschaften und einer eindimensionalen weiblichen Hauptfigur, die außer ihrer Fähigkeit zu Leiden keinerlei tiefergehende Eigenschaften offenbart, ist es aber auf die Dauer eher ermüdend.

Im Gegensatz zu “Pioniere des wilden Westens“ sind die zentralen Figuren hier aber zumindest alle halbwegs sympathisch, auch wenn das Porträt der Bediensteten vereinzelt etwas herablassend umgesetzt ist und das Interesse der Macher für deren Belange nicht wirklich ehrlich rüberkommt. Überhaupt hat man das Gefühl, dass man hier eher darauf fokussiert ist möglichst viele bedeutende geschichtliche Ereignisse abzuhaken, als sich wirklich mit den daraus resultierenden Konsequenzen für die Figuren auseinanderzusetzen. Ein klein bisschen bezeichnend dafür ist ein Empfang, bei dem ausführlich das Ankommen der unterschiedlichsten Gäste gezeigt wird, sobald aber Jane und Robert eintreffen die ganze Sequenz auf einmal abgebrochen wird, ohne das irgendetwas passiert ist.

Natürlich ist die Passivität der Figuren zu einem Teil dadurch erklärbar, dass man hier eine durchaus starke Botschaft kommunizieren möchte: Das Rad der Zeit nimmt auf persönliche Einzelschicksale keine Rücksicht und dreht sich stattdessen gnadenlos weiter, inklusive stets sinnloser und immer grausamer werdender Kriege. Aber damit diese Botschaft einen wirklich ins Herz trifft muss einfach mehr passieren als ein simples Abarbeiten des meist immer gleichen Schemas. Immer wenn in “Kavalkade“ jemand ganz viel Glück zu haben scheint, kommt sicher gleich das Schicksal um die Ecke und entreißt dieses auf meist sehr brutale Weise.


Zugegeben, gerade in diesen schicksalshaften Szenen gelingen dem Film einige potentiell wirklich herzzerreißende Bilder. Ein Kind, das den Tod des Vaters nicht registriert und unbeschwert weiter tanzt. Ein romantisches Gespräch auf einem Schiff, bei dem am Ende nur dem Publikum clever die tragische Zukunft der Beziehung offenbart wird. Und der wohl stärkste Moment des Filmes, in dem eine vom Schicksal gebeutelte Figur inmitten einer feiernden Menge versucht die Fassung zu bewahren.

Die Wirkung dieser Szenen verpufft aber leider deutlich, da der Film sowohl im Vorfeld als auch im Nachgang zu diesen Momenten einfach zu hölzern agiert. So besteht das romantische Gespräch auf dem Schiff aus banalen Plattitüden und das daraus resultierende tragische Schicksal der Figuren wird im Anschluss nur kurz aufgegriffen. Was eben daran liegt, dass der Film möglichst viel in viel zu wenig Zeit erzählen will (noch mal viele Grüße an “Pioniere des wilden Westens“). Das man dabei immer wieder seine Protagonisten wechselt ist leider auch etwas unglücklich. Gerade die beiden Kinder von Jane und Robert, sowie deren Partner, bekommen einfach zu wenig Zeit, um so richtig an Bedeutung zu gewinnen.

Immerhin sieht “Kavalkade“ toll aus und ist passend zum Setting elegant inszeniert. Aber Hohlkörper bleibt am Ende eben Hohlkörper, da hilft auch der nette Anstrich nur bedingt. Angesichts der eigentlich ja faszinierenden und zeitlosen Botschaft, die der Film vermitteln will, ist das dann schon sehr frustrierend. Gerade das Ende, bei dem in einer cleveren Montage der Gesellschaft der Spiegel vorgehalten und der Wahnsinn der damaligen Zeit an den Pranger gestellt wird, hätte einen viel besseren Film verdient. Auch weil diese Montage gerade aus heutiger Sicht, mit dem Wissen rund um den nur wenige Jahre später startenden zweiten Weltkrieg, wie eine auf grausame Art wahr gewordene Prophezeiung wirkt. Am Ende ist “Kavalkade“ aber leider eine viel zu zähe und oberflächliche Angelegenheit, um alleine der noblen Botschaft und einiger guter Szenen willen hier eine Empfehlung aussprechen zu können.

"Kavalkade" ist aktuell als Blu-ray-Import auf Amazon in Deutschland verfügbar. Alternativ ist der Film auch auf Youtube auffindbar (Stichwortsuche "Cavalcade 1933").

In Ermangelung eines Trailers gibt es hier zumindest eine kurze musikalische Reise in den Film.


Überblick 6. Academy Awards
Alle nominierten Filme der Kategorie “Outstanding Picture“ der sechsten Academy Awards 1934 nochmal auf einen Blick:


Ausblick
In unserer nächsten Folge starten wir genau in einer Woche in die siebten Academy Awards 1935 mit einem ganz speziellen Film, für den ich im wahrsten Sinne des Wortes ein paar extra Meilen gehen durfte.


10
10/10

Gott, hoffentlich macht ihr das noch lange weiter. Ich freue mich jedes Mal darauf.

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Antwort auf von Benutzername

Keine Sorge, uns ist es auch wichtig die Reihe nicht abreißen zu lassen und die Motivation ist hier weiter sehr hoch. Was man denke ich auch gerade bei der nächsten Folge am nächsten Dienstag sehen wird - mein bisheriges Highlight der Reihe, um schon mal ein bisschen die Neugier zu wecken;-)

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