Es ist mal wieder soweit: Das vergangene Filmjahr findet seinen traditionellen Abschluss mit der Oscar-Verleihung, die diesmal in der Nacht vom 28. auf den 29. Februar stattfindet. Höchste Zeit, dass wir wie jedes Jahr unseren analytischen Blick über das Kandidatenfeld streifen lassen und feststellen, wer unserer Meinung nach die besten Siegeschancen hat.
BESTER FILM
Wer ist nominiert?
"The Big Short", "Brooklyn", "Bridge of Spies", "Mad Max: Fury Road", "Der Marsianer", "The Revenant", "Room", "Spotlight"
Wer fehlt?
Es ist schon interessant, dass die Academy seit einigen Jahren zwar zehn Nominierte in der Hauptkategorie aufführen kann, dieses Höchstmaß aber in den letzten Jahren konsequent nicht ausschöpft. So als wollte man sagen: Wer hier nicht genannt wird, wurde nicht etwa von zehn besseren Filmen ausgestochen, sondern hat es schlicht nicht verdient, hier Erwähnung zu finden. Der größte Skandal unter den Nicht-Nominierten ist unserer Meinung nach ganz klar Todd Haynes' "Carol", der nicht nur eine Nominierung, sondern sogar die Auszeichnung als bester Film verdient gehabt hätte. Erschreckend, dass die Akademie dieses Meisterwerk weder hier noch für die beste Regie berücksichtigt hat. Nicht wenige Stimmen haben außerdem eine Nominierung für den neuen Star Wars-Film erwartet, doch "Das Erwachen der Macht" muss sich damit begnügen, 'nur' der so ziemlich erfolgreichste Film aller Zeiten zu sein. Es gibt Schlimmeres. Dass der eigentlich beste Film des letzten Jahres, Pixars "Alles steht Kopf" hier nicht dabei ist, ist ebenfalls sehr bedauerlich, aber Animationsfilme gehen bei der Akademie wohl immer noch nicht als "richtige" Filme durch.
Wie sieht das Rennen aus?
Es schien bis vor ein paar Wochen eigentlich ziemlich spannend. Die ersten Kritikerpreise der Award Season gingen an "Mad Max", und kurzzeitig gab man sich der Träumerei hin, wie krass es wäre, wenn ein solch außergewöhnlicher, eigensinniger Genre-Film wie dieser tatsächlich den Haupt-Oscar gewinnen würde. Doch das wird wohl ein frommer Traum bleiben. Die "amerikanischste" Wahl fällt entweder auf "The Big Short" oder "Spotlight", doch ersterer ist qualitativ zu unstetig und letzterer zwar ein großartiger Film, aber wohl zu zurückhaltend und unspektakulär, um die Academy wirklich auf breiter Front zu beeindrucken. Stattdessen hat sich "The Revenant" in den letzten Wochen ganz klar in die Favoritenrolle gedrängt, nachdem er schon bei den Globes und bei den BAFTAs triumphiert hat. Einziger Indikator, der für einen anderen Sieger spricht: Bei der Preisverleihung der amerikanischen Produzentengilde (PGA) gewann "The Big Short" den Hauptpreis, und in den letzten acht Jahren hat der Sieger der PGA Awards im Anschluss auch immer den Oscar gewonnen. Wir fürchten indes, dass diese Serie dieses Jahr reißen und es einen unverdienten Sieger geben wird.
Wer wird gewinnen? „The Revenant“
BESTE REGIE
Wer ist nominiert?
Adam McKay (The Big Short)
Alejandro Gonzales Inárritu (The Revenant)
George Miller (Mad Max: Fury Road)
Lenny Abrahamson (Room)
Tom McCarthy (Spotlight)
Wer fehlt?
Wer für den besten Film, aber nicht für die Regie nominiert ist, braucht sich für den Hauptpreis eigentlich keine Chancen ausrechnen, also zeigen sich eigentlich erst hier die "wirklichen" Nominierten für den besten Film. Als skandalöse Nicht-Beachtung ist hier trotzdem Todd Haynes für "Carol" zu nennen, der ein verdienter Preisträger gewesen wäre.
Wie sieht das Rennen aus?
Im Prinzip gilt hier dasselbe wie in der Hauptkategorie. Wenn wir uns einen Preisträger wünschen könnten, wäre es definitiv George Miller, und gewisse Chancen kann man ihm wohl zurechnen, weil es auch eine Art Auszeichnung für sein gesamtes Lebenswerk wäre. Dennoch scheint die Sache hier ziemlich eindeutig, und Inárritu dürfte nach seinem Triumph mit "Birdman" im letzten Jahr der erste Regisseur werden, der den Regie-Oscar zweimal hintereinander gewinnt.
Wer wird gewinnen? Alejandro Gonzales Inárritu für „The Revenant"
BESTER HAUPTDARSTELLER
Wer ist nominiert?
Leonardo diCaprio (The Revenant)
Bryan Cranstion (Trumbo)
Matt Damon (Der Marsianer)
Michael Fassbender (Steve Jobs)
Eddie Redmayne (The Danish Girl)
Wer fehlt?
Die Darsteller-Nominierungen heizten dieses Jahr erneut die Kontroverse an, ob die Oscar-Akademie latent rassistisch ist für ihre fortwährende Missachtung afroamerikanischer Darsteller. Dieses Jahr trat die Debatte vor allem Will Smith los, der sich für das Drama "Concussion" am liebsten selbst gern auf der Nominiertenliste gesehen hätte. Weitere Missachtungen untermauerten den Vorwurf: Auch Michael B. Jordan hätte für "Creed - Rocky's Legacy" eine Nominierung als Hauptdarsteller verdient gehabt, ebenso wie Idris Elba als bester Nebendarsteller in der ersten Kinofilm-Produktion von Netflix, "Beasts of no Nation". Die Akademie gelobte inzwischen politisch korrekte Besserung, und durch grundlegende Reformen will man die Zahl an Academy-Mitgliedern, die ethnischen Minderheiten angehören, in den nächsten Jahren drastisch erhöhen, und die Zusammensetzung der Oscar-Jury als Verein alter, weißer Männer bekämpfen. Man darf hier durchaus kritisch anmerken, dass es so etwas wie eine Quoten-Nominierung auch nicht geben sollte - die fünf Besten eines Jahrgangs haben eine Nominierung verdient, und wenn da einfach kein Schwarzer, Latino oder Asiate dabei ist, dann ist das halt so. Trotzdem: Es ist richtig und wichtig, dass längst überfällige Reformen zur Zusammensetzung der Oscar-Akademie nun endlich angegangen werden.
Abgesehen von dieser Kontroverse hatten viele hier eigentlich auch mit Johnny Depp für "Black Mass" gerechnet, der ursprünglich mal als Mitfavorit in dieser Kategorie gehandelt wurde. Jetzt kann er gleich ganz zuhause bleiben.
Wie sieht das Rennen aus?
Eigentlich gibt es keins. Leonardo diCaprio hat in "The Revenant" vielleicht nicht die beste Leistung seiner Karriere gezeigt, Oscar-würdig ist sie dennoch und diCaprio inzwischen einfach mehr als überfällig für einen Oscar-Sieg. Dass er sich dieses Jahr gegen alle vermeintlichen Widerstände die Gold-Statue erkämpfen wird, hat zuletzt sogar ein parodistisches Videospiel thematisiert, indem ein animierter diCaprio sich den roten Teppich hinunter boxt und dabei alle Konkurrenten ausschaltet. Ein sehr gelungener Witz, der zugleich die Wahrheit spricht: DiCaprio wird dieses Jahr durch nichts und niemanden aufzuhalten sein.
Wer wird gewinnen? Leonardo DiCaprio für „The Revenant“
BESTE HAUPTDARSTELLERIN
Wer ist nominiert?
Cate Blanchett (Carol)
Brie Larson (Room)
Jennifer Lawrence (Joy)
Charlotte Rampling (45 Years)
Saoirse Ronan (Brooklyn)
Wer fehlt?
Eigentlich niemand so richtig. Genau diese fünf Nominierungen konnte man erwarten, die beiden Damen, die hier ansonsten auch mit Fug und Recht hingehört hätten, sind stattdessen als beste Nebendarstellerinnen nominiert, da sich das jeweilige Filmstudio in dieser Kategorie bessere Siegchancen für sie versprach und sie deshalb dort meldete - eine übliche Praxis für eigentliche Hauptdarsteller, die in ihren Filmen aber eher die zweite Geige spielen. Wie nämlich Alicia Vikander in "The Danish Girl" und Rooney Mara in "Carol".
Wie sieht das Rennen aus?
Es scheint auch hier eine eindeutige Sache zu werden. Cate Blanchett gibt in "Carol" zwar einmal mehr die wohl beste Vorstellung ihrer Karriere, sie ist aber erst vor kurzem mit dem Oscar ausgezeichnet worden. Saoirse Ronan wäre auch eine würdige Preisträgerin, doch sie steht immer noch ganz am Anfang ihrer Karriere und wird in den nächsten 10 bis 15 Jahren wohl sowieso noch zwei bis drei Oscars gewinnen. Brie Larson hat im Vorfeld alle anderen großen Filmpreise gewonnen und ist damit die glasklare Favoritin.
Wer wird gewinnen? Brie Larson für „Room“
BESTER NEBENDARSTELLER
Wer ist nominiert?
Christian Bale (The Big Short)
Tom Hardy (The Revenant)
Mark Rylance (Bridge of Spies)
Mark Ruffalo (Spotlight)
Sylvester Stallone (Creed)
Wie sieht das Rennen aus?
"Sylvester Stallone gewinnt einen Darsteller-Oscar", das wäre bis vor kurzem noch als ein gelungener Witz unter Cineasten durchgegangen. Doch dieses Jahr könnte der vermeintliche Unsinn tatsächlich Wahrheit werden, denn Stallone hat im Vorfeld bereits mehrere Preise gewonnen und ist hier mindestens Mitfavorit. Sein ärgster Konkurrent ist definitiv Mark Rylance, der sich mit seinem grandios trockenen Auftritt zum wahren Star von "Bridge of Spies" mauserte und den Preis mehr als verdient hätte. Was aber irgendwie auch für die anderen drei Nominierten gilt. Eine verdammt starke Kategorie dieses Jahr.
Wer wird gewinnen? Mark Rylance für „Bridge of Spies“
BESTE NEBENDARSTELLERIN
Wer ist nominiert?
Jennifer Jason Leigh (The Hateful Eight)
Rooney Mara (Carol)
Rachel McAdams (Spotlight)
Alicia Vikander (The Danish Girl)
Kate Winslet (Steve Jobs)
Wie sieht das Rennen aus?
Hier gibt es tatsächlich endlich mal ein bisschen Spannung. Bei den Globes gewann Kate Winslet, da war Rooney Mara allerdings als Hauptdarstellerin nominiert. Winslet gewann auch bei den BAFTAs, hatte dort als Engländerin allerdings auch einen gewissen Heimvorteil. Bei der Preisverleihung der Schauspielergilde von Amerika triumphierte wiederum Alicia Vikander über die beiden Favoritinnen. Es wird sich zwischen diesen Dreien entscheiden, doch wer am Ende die Nase vorn hat, ist nur sehr schwer zu sagen. Unser Siegertipp ist darum auch ein wenig Wunschdenken.
Wer wird gewinnen? Rooney Mara für „Carol“
BESTES ADAPTIERTES DREHBUCH
Wer ist nominiert?
Charles Randolph, Adam McKay - "The Big Short"
Nick Hornby - "Brooklyn"
Phyllis Nagy - "Carol"
Drew Goddard - "Der Marsianer"
Emma Donoghue - "Room"
Wie sieht das Rennen aus?
Der größte Überraschung einer Nicht-Nominierung findet sich tatsächlich in dieser Kategorie. Dass Aaron Sorkin für "Steve Jobs" hier nicht einmal vorgeschlagen ist, ist eigentlich ein rechtschaffener Skandal. Bei den Globes ausgezeichnet, bei den Oscars nicht mal dabei - wann hat es das jemals gegeben? Zumal Sorkins Skript ein wahrer Geniestreich ist, schon allein deshalb, weil er im ansonsten innovationsfeindlichen Biopic-Genre eine neue, brillante strukturelle Variante fand. Folgt diese Kategorie ihrer üblichen Funktion als "Trostpreis" für den Gescheiterten im Rennen um den besten Film, dürfen sich Randolph und McKay einige Chancen ausrechnen. Die beiden besten Arbeiten stammen aber von Hornby und Nagy. Ein echter Favorit ist hier schwer auszumachen, und so tippen wir wieder nach Sympathie.
Wer wird gewinnen? Phyllis Nagy für „Carol“
BESTES ORIGINALDREHBUCH
Wer ist nominiert?
Matt Charman, Ethan Coen, Joel Coen - "Bridge of Spies"
Alex Garland - "Ex Machina"
Pete Docter, Meg LeFauve, Josh Cooley, Ronnie Del Carmen - "Alles steht Kopf"
Josh Singer, Tom McCarthy - "Spotlight"
Andrea Berloff, Jonathan Herman, S. Leigh Savidge, Alan Wenkus - "Straight Outta Compton"
Wie sieht das Rennen aus?
Wiederum: Nach dem Trostrpeis-Prinzip heißt der Sieger hier "Spotlight" und ist auch so mindestens Mitfavorit. Dass "Straight Outta Compton" überhaupt nominiert ist, ist schon eine Überraschung, und auch "Bridge of Spies" und "Ex Machina" dürfen sich vermutlich nicht wirklich Chancen ausrechnen. Als Hauptfavorit muss hier aber eigentlich das Drehbuch gelten, das auch schlichtweg das beste war, und die brillante Basis für den besten Film des letzten Jahres bildete.
Wer wird gewinnen? "Alles steht Kopf"
Die Nominierten der anderen Kategorien (unser Sieger-Tipp ist fett gedruckt):
BESTER FREMDSPRACHIGER FILM
El abrazo de la serpiente (Kolumbien)
Krigen (Dänemark)
Mustang (Türkei)
Saul fia (Ungarn)
Theeb (Vereinigte Arabische Emirate)
BESTER ANIMATIONSFILM
Anomalisa
O Menino e o Mundo
Alles steht Kopf
Shaun das Schaf - Der Film
Omoide no Mani
BESTE KAMERA
Emmanuel Lubezki - The Revenant
Edward Lachman - Carol
Robert Richardson - The Hateful Eight
John Seale - Mad Max: Fury Road
Roger Deakins - Sicario
BESTE KOSTÜME
Carol
Cinderella
The Danish Girl
Mad Max: Fury Road
The Revenant
BESTER SCHNITT
The Big Short
Mad Max: Fury Road
The Revenant
Spotlight
Star Wars: Das Erwachen der Macht
BESTE MASKE
Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand
Mad Max: Fury Road
The Revenant
BESTE FILMMUSIK
Bridge of Spies (Thomas Newman)
Carol (Carter Burwell)
The Hateful Eight (Ennio Morricone)
Sicario (Johann Johannsson)
Star Wars: Das Erwachen der Macht (John Williams)
BESTER ORIGINAL-SONG
"Earned it" aus "50 Shades of Grey"
"Til it happens to you" aus "Hunting Ground"
"Manta Ray" aus "Racing Extinction"
"Writing's on the Wall" aus Spectre"
"Simple Song #3" aus "Ewige Jugend"
BESTE AUSSTATTUNG
Bridge of Spies
The Danish Girl
Mad Max: Fury Road
Der Marsianer
The Revenant
BESTER DOKUMENTARFILM
Amy
Cartel Land
The Look of Silence
What Happened, Miss Simone?
Winter on Fire: Ukraine's Fight for Freedom
BESTE KURZDOKUMENTATION
Body Team 12
War within the Walls
Claude Lanzmann: Spectres of the Shoah
A Girl in the River: The Price of Forgiveness
Last Day of Freedom
BESTER ANIMIERTER KURZFILM
Historia de un oso
Mi ne mozhem zhit bez kosmosa
Prologue
Sanjay's Super Team
World of Tomorrow
BESTER KURZFILM
Ave Maria
Day One
Alles wird gut
Shok
Stutterer
BESTER TONSCHNITT
Sicario
Mad Max: Fury Road
Der Marsianer
The Revenant
Star Wars: Das Erwachen der Macht
BESTER TON
Bridge of Spies
Mad Max: Fury Road
Der Marsianer
The Revenant
Star Wars: Das Erwachen der Macht
BESTE VISUELLE EFFEKTE
Ex Machina
Mad Max: Fury Road
Der Marsianer
The Revenant
Star Wars: Das Erwachen der Macht
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