Carol

Originaltitel
Carol
Land
Jahr
2015
Laufzeit
118 min
Genre
Regie
Release Date
Bewertung
9
9/10
von Frank-Michael Helmke / 4. Dezember 2015

Carol

"Carol" stammt ursprünglich aus der Feder von Patricia Highsmith, jene eher für Psycho-Thriller und vor allem ihren amoralischen "Helden" Tom Ripley bekannt gewordene Autorin, die jedoch ganz zu Beginn ihrer Karriere Anfang der 1950er Jahre als ihren zweiten Roman und damals unter Pseudonym eben diese Geschichte veröffentlichte, die so gar nicht in ihr sonstiges Werk hineinpasst. "Carol" erzählt von einer großen Liebe, aber eben einer lesbischen Liebe, und damit vor allem eine melodramatische Geschichte über die Beinahe-Unmöglichkeit, solch eine Liebe zu leben angesichts der gesellschaftlichen Restriktionen und Vorurteile, die ihr im Weg stehen.

Es ist kaum verwunderlich, dass die Verfilmung dieses Stoffes nun unter Regie von Todd Haynes entsteht, denn der Kampf von Frauen, sich gegen die normativen Kräfte und Zwänge der Gesellschaft zur Wehr zu setzen um ihre wahre Persönlichkeit ausleben zu können, ist ein durchgehendes Motiv in seinem filmischen Schaffen. Zugleich ist "Carol" Haynes' erster Kinofilm seit dem formal sehr experimentierfreudigen Bob Dylan-Porträt "I'm not there". In der Zwischenzeit beschäftigte Haynes sich mit verschiedenen Fernsehprojekten und verwirklichte unter anderem eine hochgelobte und mehrfach preisgekrönte Mini-Serie für HBO mit Kate Winslet in der Hauptrolle. Haynes' Rückkehr zum Kinoformat erweist sich nun als ein kleiner, betörender Triumphzug. Mehr noch, als das "Carol" ein weiteres bemerkenswertes Kapitel zu Haynes' großartiger Filmografie hinzufügt, erweist er sich als sein bislang bestes Werk, ein in allen Details formvollendetes Kleinod großartigster Kinoerzählung. 

CarolDas Liebespaar, von dem uns "Carol" erzählt, ist zum einen die junge, unsichere Kaufhausangestellte Therese (Rooney Mara, "Verblendung") und die titelgebende Carol Aird, Ehefrau und Mutter aus "gutem Hause". Die beiden begegnen sich zum ersten Mal, als Carol bei Therese eine Puppe als Geschenk für ihre Tochter kauft, und die Anziehungskraft zwischen den beiden Frauen ist vom ersten Moment an spürbar. Carol vergisst ihre Handschuhe auf Thereses Verkaufstresen - ob mit Absicht oder nicht, wird nie klar, eines von vielen Details, die Haynes und seine brillante Drehbuchautorin Phyllis Nagy bewusst offen lassen, um den ambivalenten Raum zu bespielen, indem sich ein mit dem Feuer spielender Flirt anfänglich bewegt: Passiert hier wirklich, was ich gerade denke, oder war es nur ein unschuldiger Zufall? Ob unschuldig oder nicht, die Handschuhe geben Therese die Möglichkeit, erneut Kontakt zu Carol aufzunehmen, und so gerät sie nicht nur immer stärker in den Bann von Carols faszinierender Ausstrahlung, sondern lernt auch die rasant bröckelnde Fassade von Carols vermeintlich perfekter gesellschaftlicher Existenz kennen: Die wohlsituierte Ehe mit ihrem Gatten (Kyle Chandler) ist nur noch ein hohles, liebloses Nichts und auf dem besten Weg zur Scheidung, einzig die Liebe zur gemeinsamen kleinen Tochter und die Angst, das Sorgerecht zu verlieren, lässt Carol noch zögern, zu ihrem wahren Naturell zu stehen. Zumal ihr Mann auch nicht davor zurückschreckt, mit verletztem Stolz mehr als genug Anspielungen über die "befremdliche" Beziehung zu machen, die Carol vor einiger Zeit schon zu einer guten Freundin hatte, und Carols "Neigung" in einem möglichen Trennungskrieg als Waffe gegen sie zu verwenden. Haben Carol und Therese unter diesen Umständen überhaupt eine Chance auszuleben, was zu ihrer Zeit noch ohne Übertreibung den Stempel "verbotene Liebe" trägt?

Die amerikanischen 1950er Jahre, mit ihrem besonders stark ausgeprägten Konformismus und den systematischen Bemühungen, nach Ende des zweiten Weltkriegs Frauen zurück in ihre "angstammten" Rollenbilder als hörige Hausfrauen und brave Kinderhüterinnen zu drängen, ist ein historisch besonders ergiebiges Pflaster für Todd Haynes und seine favorisierten Themen, und so ist es wenig verwunderlich, dass er sich dieser Ära hier bereits zum zweiten Mal widmet. CarolHaynes' kaum weniger herausragender "Dem Himmel so fern" war seinerzeit aber mehr noch ein Film über die Filme der 50er Jahre, ein selbstreferentielles Melodram, das in jeder stilistischen und inszenatorischen Hinsicht seinen eigenen Vorbildern huldigte, während es von den gesellschaftlichen Zwängen in Amerikas Oberschicht jener Zeit erzählte und den Selbstverleugnungen, zu denen vor allem Frauen dadurch gezwungen wurden. "Carol" bewegt sich nun im selben Habitat, bespielt im Grunde das gleiche Thema, kommt aber diesmal ohne das bewusst aufgesetzte Pathos einer Douglas-Sirk-Hommage daher und streift somit die bewusste Künstlichkeit seines Quasi-Vorgängers ab, um stattdessen in einer natürlichen Authentizität zu erstrahlen, die nahe an der Perfektion ist.

Hier stimmt einfach alles. Es ist nicht nur eine Frage der detailverliebten Ausstattung, der richtigen Autos und Kleidung und Zigaretten, um eine überzeugende Nachstellung der 1950er Jahre zu erzeugen. Es ist auch ein punktgenauer Sinn dafür, wie die Figuren sich zu- und miteinander verhalten, was man sagen konnte und was nie mehr als eine Anspielung sein durfte, die trotzdem hochexplosiven Charakter hatte. Haynes erzeugt ebenso feinfühlig wie mit traumwandlerischer Sicherheit eine punktgenaue atmosphärische Stimmung, die den Geist der Handlungsära perfekt einfängt und zugleich einen bedrückenden und betörenden melancholischen Resonanzraum schafft, in dem die emotionalen Echos der zentralen Liebesgeschichte höchst wirkungsvoll nachhallen können.

"Carol" ist, kurz gesagt, Kinokunst auf allerhöchstem Niveau. Ein Film, der zwar eigentlich keine "große" Geschichte erzählt, der aber dennoch nach einer Leinwand schreit, um den zahllosen kleinen Details, die ihn tragen, das nötige Gewicht zu geben. Es ist ein Film, bei dem die große Bedeutung eines Augenblicks nicht darin liegt, dass eine Figur einer anderen die Hand auf die Schulter legt, sondern darin wie sie es tut. Es sind kleinste Nuancen in Körpersprache und Blicken, die zwischen den Charakteren hier viel mehr sagen als das, was sie tatsächlich aussprechen. Und Haynes hat den Segen von zwei Hauptdarstellerinnen, die auch in der Lage sind, diese Nuancen tatsächlich in ihren Vorstellungen zum Vorschein zu bringen. Rooney Maras Fähigkeit, hinter einer vermeintlich starren, fast kühlen Fassade eine enorme Zerbrechlichkeit anzudeuten, ist Gold wert für das Porträt der jungen Therese, die selbst noch nicht so richtig weiß, wer sie eigentlich ist und was sie will, und diese Unsicherheit hinter scheinbarer Unnahbarkeit verbirgt.

CarolDie noch größere Sensation ist aber - natürlich, wie könnte es anders sein - Cate Blanchett. Wieder einmal. Die Superlative zur Beschreibung ihrer Leistungen sind einem ja schon vor Jahren ausgegangen. Und dennoch kommt man nicht umhin, wieder einmal zu konstatieren, dass Blanchett vielleicht noch nie so gut war wie hier. Trotz oder vielleicht gerade weil ihre Vorstellung als Carol ein solcher Contrapunkt zu ihrer Oscar-gekrönten Meisterleistung in Woody Allens "Blue Jasmine" ist. Dort feuerte Blanchett aus allen Rohren. Hier strahlt sie vor allem dadurch, wie wenig sie von ihrer Figur heraus lässt - und zeigt gerade dadurch, wie gut diese Carol darin geübt ist, geübt sein muss, ihr wahres Ich eben nicht herauszulassen, wohl wissend, welch verheerende Konsequenzen das für sie haben kann. So gelingt Blanchett ein unfassbar grandioses Porträt einer Frau, die vom ersten Moment an wirkt, als sei sie mit einem unerschütterlichen, fast schon majestästischen Selbstbewusstsein gesegnet, die tief in sich drin aber verängstigt und emotional ausgelaugt bis fast hin zur völligen Gebrochenheit ist. Eine erneute Oscar-Nominierung steht hier außer Frage. Ein erneuter Sieg sollte niemanden verwundern.

Ebenso wenig, wie es niemanden verwundern sollte, demnächst auch die Namen von Mara, Nagy, Haynes und des Films selbst in der Nominiertenliste der wichtigsten Oscar-Kategorien zu sehen. "Carol" ist kein Film, der ein großes Publikum anzieht, er wird nicht viel Geld einspielen und kaum größere Beachtung finden. Das ändert aber nichts daran, dass er einer der besten Filme des Jahres ist.

Bilder: Copyright

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