Severance - Staffel 1

von Matthias Kastl / 18. Februar 2022

Der Siegeszug der Serien hat in den letzten Jahren nicht nur jede Menge toller Geschichten hervorgebracht, sondern auch noch für ein weiteres wundervolles Comeback gesorgt. Befreit von den zeitlichen Fesseln des klassischen TV-Marktes ist der kreative Serienvorspann endlich wieder zurückgekehrt. Lange Zeit wurde dieser ja eher stiefmütterlich behandelt, heute dagegen treffen wir immer mehr auf hochwertig produzierte kleine kreative Kunstwerke, ob nun bei "Game of Thrones", "The Crown" oder "Foundation" (um mal nur ein paar dieser Vertreter zu nennen).

Mit "Severance" kommt nun ein weiteres Vorspann-Highlight hinzu, das auf brillante Weise die schräge Essenz der Serie visuell eindrucksvoll auf den Punkt bringt. Doch dem Team rund um den Produzenten und Regisseur Ben Stiller ("Tropic Thunder", "Zoolander") gelingt hier noch so viel mehr. Vor allem die Kunst, einen nahezu perfekten Genre-Mix abzuliefern, der genau die richtige Balance aus liebevoller Abgedrehtheit, emotionaler Wucht und spannender Unterhaltung findet. Kurz gesagt, "Severance" ist eine der beeindruckendsten ersten Staffeln der letzten Serienjahre. Und eines ist auf jeden Fall sicher, nach dieser ersten Staffel dürften viele das Thema Work-Life-Balance unter ganz neuen Gesichtspunkten betrachten.

 

Für eine ganz besondere Art der Work-Life-Balance haben sich Mark (Adam Scott, "Verlobung auf Umwegen", "Das erstaunliche Leben des Walter Mitty"), Irving (John Turturro, "O Brother, where art thou?", "Miller's Crossing"), Helly (Britt Lower) und Dylan (Zach Cherry) entschieden. Sie alle haben sich für die Firma Lumen Industries der sogenannten Severance-Prozedur unterzogen. Bei dieser wird durch einen operativen Eingriff dafür gesorgt, dass die zukünftigen Erlebnisse auf der Arbeit strikt separat vom Privatleben abgespeichert werden. Konkret gesagt: Das Privat-Ich hat keine Ahnung was das Arbeits-Ich bei Lumen Industries so treibt – und umgekehrt.

Doch Ereignisse auf und außerhalb der Arbeit sorgen dafür, dass die unterschiedlichen Ichs so langsam beginnen ihre Rollen in diesem Konstrukt zu hinterfragen. Während unsere Bürotruppe auf der Suche nach der Wahrheit vorsichtig beginnt, Kontakt zu Mitarbeitern anderer Abteilungen zu knüpfen, wie dem alten Burt (Christopher Walken), erhält das private Ich von Mark außerhalb des Firmengeländes einen mehr als verstörenden Besuch. Doch diese Entwicklungen bleiben nicht unbemerkt, und vor allem Marks Chefin Peggy (Patricia Arquette, "Boyhood", "True Romance") ist daran interessiert, so schnell wie möglich die perfekte Work-Life-Balance wiederherzustellen.

 

Oft benötigen Serien ja zu Beginn ein klein wenig Anlaufzeit, um ihren Groove zu finden. “Severance“ dagegen startet einfach mal direkt mit einer der stärksten ersten Folgen der letzten Serienjahre und legt damit auch den Grundstein für eine atmosphärische dichte und exzellent geschriebene erste Staffel. Dabei hat man anscheinend heutige Jobausschreibungen genau studiert und treibt deren Vokabular hier nun auf genauso bedrohliche wie skurrile Weise auf die Spitze. Ja, Lumen Industries bietet seinen Arbeitnehmern großzügig ausgelegte Büroräume, frisches Obst, gemeinsame Team-Events und verspricht die perfekte Work-Life-Balance. Doch alleine das grandiose Setdesign deutet schon an, dass man bei dieser Firma lieber sehr schnell seine Kündigung einreichen sollte.

Wenn unsere Figuren minutenlang durch nie enden wollende weiße Gänge irren, in riesigen aber minimalistischen Räumen verloren ihrer monotonen Arbeit nachgehen und dabei von der Leere und Kühle der Umgebung nahezu erdrückt werden, dann überträgt sich dieses Unbehagen auch auf das Publikum. Diese Arbeitsplatz-Dystopie wird nur noch dadurch faszinierender und absurder, dass die Serie sie mit zahlreichen weiteren skurrilen Details füllt. Details, die so wundervoll-schräg daherkommen, dass wir so wenig wie möglich davon verraten möchten. Nur soviel, Lumen Industries Vorstellung von emotionalen Firmenfeiern und Bonus-Zahlungen geht sehr deutlich am Massengeschmack vorbei.

 
Das sich all dies stellenweise wie ein etwas surrealer Traum anfühlt, liegt auch an der Inszenierung. Die nimmt sich sehr viel Zeit und zelebriert nicht nur ausführlich die Fußmärsche unserer Protagonisten durch die monotonen Gänge, sondern verstärkt auch die skurrilen Momente wundervoll durch eine clevere Kameraarbeit. Ein dickes Kompliment an dieser Stelle an Ben Stiller, der für die meisten Folgen die Regie übernommen hat und eine wirklich beeindruckende und sehr reife Leistung abliefert. Die Arbeit vor der Kamera ist aber mindestens genauso gut gelungen, vor allem angesichts der Tatsache, dass fast die komplette Besetzung vor einer Gratwanderung steht. Jede Figur ist ein bisschen merkwürdig und abgedreht und trotzdem schaffen es wirklich alle Beteiligten nicht zu surreal zu wirken und setzen damit das Identifikationspotential mit dem Publikum nicht aufs Spiel.

Das gilt dabei nicht nur für Adam Smith und die herausragende Britt Lower, deren Figur auf herrliche Art und Weise immer zwischen cooler Berechenbarkeit und spontanen emotionalen Ausbrüchen schwankt. Auch John Tuturro, dessen Figur leicht sehr nervig hätte ausfallen können, wächst einem dank dessen feinfühligem Spiel und einer wirklich ganz besonderen Beziehung zu dem von Christopher Walken gespielten Burt richtig ans Herz. Und selbst kleine Nebenfiguren werden mit derart liebevollen skurrilen Macken versehen, dass man nach den insgesamt neun Folgen eigentlich für das komplette Ensemble ein breites Lächeln übrig hat.

 

Doch um das klarzustellen, „Severance“ ist eine Satire der meist eher leisen absurden Zwischentöne, die vor allem im weiteren Verlauf aber um eine ordentliche Portion Drama und Spannung ergänzt werden – schließlich hat Lumen Industries natürlich nichts Gutes mit unseren Figuren im Sinn. Gerade die eher dramatischen Aspekte funktionieren ziemlich eindrucksvoll. Gefühlt verliert der Mittelteil der Serie zwar ein klein wenig an Momentum, doch am Ende merkt man, dass hier nur jemand den nötigen Anlauf nimmt, um uns ein absolut grandioses, packendes Serienfinale zu liefern.

Hier zeigt sich dann auch die größte Stärke der Serie, nämlich das riesige dramaturgische Potential, was sich aus den gespaltenen Persönlichkeiten für die Story ergibt. Wenn sich hier die Grenzen zwischen den verschiedenen Ichs aufzulösen beginnen und zum Beispiel unsere „Firmeninsassen“ verzweifelt darüber nachdenken, wie wohl ihr wahres Leben aussieht und ob und wie sie zu ihren anderen Hälften Kontakt aufnehmen könnten, dann entwickelt „Severance“ einfach eine unglaubliche emotionale Wucht.

Stellenweise erinnert das Geschehen dabei ein wenig an die Filme von Charlie Kaufmann (wie „Being John Malkovich“ und „Vergiss mein nicht“). Doch während Kaufman in seinen letzten Filmen es dem Publikum oft schwer machte, seine absurden Puzzlestücke wieder korrekt zusammenzusetzen (wenn das überhaupt gewollt war), achtet man hier genau darauf das Publikum mit einem klaren roten Faden an Bord zu halten. Und viele abstruse Momente werden dadurch wieder etwas abgefedert, dass unsere Protagonisten im Anschluss einfach wieder normale Arbeitsplatzkonversationen führen. Und anstatt am Ende zu philosophisch zu werden, nutzt „Severance“ sein Szenario um schlussendlich komplett in den Thriller-Modus zu schalten. Und das kulminiert dann dank der tollen Vorarbeit, der faszinierenden Storyidee und den liebevoll gezeichneten Figuren in einem so emotional befriedigenden und packenden Finale, dass man gebannt nach Luft schnappt, wenn die Staffel auf ihren großen Höhepunkt zusteuert.


Es bleibt zu hoffen, dass dieses kleine Serienjuwel die nötige Aufmerksamkeit findet, damit die Macher diese Story zu Ende erzählen können. Am Ende der Staffel bleiben wir nämlich mit vielen offenen Fragen und einem packenden Cliffhanger zurück, und natürlich besteht ein wenig die Sorge, dass am Ende die Auflösung dieser Geschichte deutlich weniger faszinierend daherkommt (wäre ja nicht das erste Mal in der Seriengeschichte, nicht wahr, lieber J.J. Abrams?). Das wird aber erst die Zukunft zeigen, vorerst können wir uns nur vor Ben Stiller und seinem Team verneigen. „Severance“ ist großartiges Serienfutter mit ganz hohem Suchtfaktor geworden. Aber bitte beim Anschauen natürlich immer auf die eigene Work-Life-Balance achten.

"Severance" startet mit den ersten beiden Folgen am 18. Februar 2022 auf AppleTV+. Danach erscheinen die ausstehenden Folgen jeweils im Wochenrhythmus.

Bilder: Copyright

Habe die Rezension jetzt nur überflogen weil noch nicht durch bin, grad Folge 4. Bisher aber wirklich ein Juwel und mit eine der besten Serien auf AppleTV! Neben WeCrashed mein Serienhighlight der letzten Monate! Absolut empfehlenswert!

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