Wenn dieses Jahr Michael Hanekes preisgekrönter Film "Cache" in die Kinos stürmen wird und man dann unmissverständlich vor Augen geführt bekommt, wie unaufgearbeitet die Vergangenheit Frankreichs noch ist, sollte man sich jedoch zuvor "Exil" von Tony Gatlif ansehen. Denn auch der französische Regisseur tunesischer Abstammung verarbeitet in seinem bereits 2004 gedrehten und auch im selben Jahr mit dem Regiepreis in Cannes ausgezeichneten Werk Frankreichs Vergangenheit auf eine wunderbare Art und Weise, die der schonungslosen und fast rabiaten Handschrift von Haneke in nichts nachsteht. In diesem fulminanten Anti-Roadmovie stellt Gatlif die Frage auf, was mit Immigranten passiert, die mit ihrem Leben in der neuen Heimat nicht mehr zurecht kommen und aufbrechen, um nach dem verlorenen Glück in der alten Heimat zu suchen. Der nackte Zano (Romain Duris, "Der
wilde Schlag meines Herzens" und "L'auberge
Espanole") dreht sich weg vom Fenster, durch dass man die
uninteressanten und tristen grauen Straßen von Paris erkennen
kann. Er könnte ein paar Stockwerke hinabsteigen und würde
sich dann im Zentrum der Gleichgültigkeit einer Weltmetropole
wiederfinden. Man könnte aber auch ausbrechen und auswandern.
"Lass uns nach Algerien gehen" sagt er plötzlich
und regungslos zu Naïma (Lubna Azabal, "25 Grad im Winter"),
die ebenfalls nackt ist und von der gleichen Emotionslosigkeit beherrscht
wird wie Zano. Gatlifs Geniestreich zeichnet einen enorm sehenswerten Culture Clash und macht aus "Exil" ein schönes Stück sorgloses und überdrehtes Road-Kino, dass ab und zu von einem angenehmen Mystifizismus überzogen wird. So wird hier aus dem biblischen Symbol der Apfelübergabe von Eva an Adam ein Vorspiel und dann eine bizarre sexuelle Phantasie. Das Zwiegespräch mit dem Großvater endet mit einem Paar Walkman-Kopfhörer, die an seinen Grabstein gehängt werden. Und Naïma weigert sich stur, die traditionelle arabische Kleidung zu tragen nur weil ... nur weil ihr zu heiß ist. Das
einzige Element, das diese kulturellen Differenzen zu verbinden
scheint, ist die Musik. "Musik ist meine Religion", sagt
Zano einmal. So ist es auch die Musik, die beide Hauptdarsteller
permanent begleitet, ob als wehleidiger Gesang einer Zigeunerband
oder als psychedelischer Elektrobeat aus einer spanischen Kneipe.
Es ist ein schräger Sound. Eine Mischung aus spanischem Flamenco,
französischen Elektro-Upbeats und arabischem Rap. Regisseur
Gatlif wurde, ähnlich wie sein männlicher Protagonist
Zano, in Algier geboren. Es ist nicht schwer zu erkennen, dass ihm
der Weg von Algier nach Paris äußerst vertraut ist. Die
nichtssagenden Gesichter zufällig vorüber gehender Passanten
oder die bei Sonnenuntergang gefilmten europäischen Landstraßen
tragen eine sehr persönliche Handschrift. Diese Reise hat nichts
mit den üblichen National Geographic-Dokumentationen zu tun.
Hier gibt es keine schönen und klaren Bilder. So sieht man,
wenn die Kamera durch die Scheibe eines Zugabteils schaut, nicht
die beeindruckende Landschaft, sondern den Schmutz der Scheibe.
Im ganzen Film fällt nicht ein unnützes Wort. Jeder nimmt von dieser Reise mit, was er bekommen konnte. Im Epilog sitzen unsere Helden auf dem Friedhof: Naïma schält eine Apfelsine. Sie sind nicht in Eile. Vielleicht kommen sie einmal wieder zurück, vielleicht aber auch nicht. Sie müssen es jedenfalls nicht mehr. Freiheit (und das scheint die universelle Botschaft dieses Schmuckstückes des jungen französischen Kinos zu sein) bedeutet, sich niemals irgendwo auf Dauer niederzulassen. |
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