Paris, Texas - Special Edition (2 DVDs)
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"Paris, Texas" - der Film, der dem deutschen Autorenfilmer Wim Wenders die Goldene Palme bei den Filmfestspielen in Cannes einbrachte und ihn endgültig als Regisseur von internationalem Rang etablierte - beginnt mit einem der klassischsten Motive des Westerns: Aus der unendlichen Weite der zerklüfteten texanischen Wüste kristallisiert sich ein einsamer Wanderer, der zurückkehrt in die Zivilisation. Schon mit dieser Eröffnung setzt Wenders eine Referenz an John Fords Western-Meilenstein "The Searchers" (deutscher Verleihtitel: "Der schwarze Falke"), in dem John Wayne als gebrochener Cowboy Ethan Edwards auf ganz ähnliche Weise seinen ersten Auf(t)ritt hat. In "The Searchers" begibt sich Edwards auf die (jahrelange) Suche nach seiner von Indianern verschleppten Nichte (pikanterweise nicht, um sie zu retten, sondern um sie zu töten - von den "Rothäuten" missbraucht und somit "unrein", empfindet der zwiespältige "Held" von "The Searchers" seine Nichte als Schandfleck für die Familienehre). Diese Suche ist natürlich eigentlich eine Suche nach sich selbst, getrieben von der leisen, verzweifelten und niemals wirklich ausgesprochenen Hoffnung auf Sühne und Vergebung für eigene, vergangene Fehler.
Im Laufe der Jahrzehnte haben viele Filmemacher "The Searchers" ihre Ehrerbietung erwiesen - einer der berühmtesten war Martin Scorsese, dessen dunkles Meisterwerk "Taxi Driver" quasi die pessimistische Antithese zu John Fords Western darstellt. Wim Wenders gelang mit "Paris, Texas" die wohl rührendste Hommage an den großen Klassiker - auch bei ihm geht es um die Suche eines einsamen Cowboys nach Vergebung. Doch weil in Wenders' Filmen eigentlich grundsätzlich keine Gewalt vorkommt, geht es nicht mehr um Indianer und Cowboys, Verschleppung und Vergewaltigung - sondern nur noch um Mitmenschlichkeit, Familie und die Möglichkeit und Unmöglichkeit von Liebe. Wenders' schlafloser Held, der am Anfang des Films zunächst stumm und scheinbar ohne Gedächtnis quasi vom Wilden Westen ausgespuckt wird, heißt Travis (Charakter-Nebendarsteller Harry Dean Stanton in seiner vielleicht besten Vorstellung). Nachdem er halb verdurstet zusammengebrochen ist, kontaktiert der behandelnde Arzt seinen Bruder Walt (Dean Stockwell), der seit vier Jahren nichts mehr von Travis gehört hat. Walt kommt von L.A. nach Texas geflogen, um seinen Bruder abzuholen, doch die Annäherung zwischen den beiden ist schwierig. Immer wieder büchst Travis aus, er scheint versessen darauf zu sein, zu einem öden Stück Land zu gelangen, dass er per Post gekauft hat: Ein Grundstück in der Stadt Paris, Texas (der Filmtitel bezeichnet also tatsächlich einen Ort, und keine Reiseroute von der französischen Hauptstadt nach Amerika). Im Folgenden wird sich Travis vorsichtig und allmählich an seinen entfremdeten Sohn annähern, und schließlich mit ihm zusammen aufbrechen, um Jane ausfindig zu machen. Eine Entwicklung, bei der wie in jedem Selbstfindungs-Drama der Weg das eigentliche Ziel ist. Travis hat seine Familie verletzt, beinahe zerstört und im Stich gelassen - Wie und Warum wird der Zuschauer erst ganz am Ende des Films erfahren. Was Travis in den vier Jahren seiner Abwesenheit getrieben hat, bleibt jedoch auch dann ein ungeklärtes Geheimnis - und ist letztlich auch nicht wichtig. Was auch immer er getan hat: Er hat nicht die Antworten gefunden, die er gesucht hat. Ob er sie am Ende des Films gefunden hat, und ob seine erfolgte Sühne wirklich die erhoffte Erlösung bringt - auch das sind nicht definitiv zu beantwortende Fragen. Am Ende ist Travis immer noch (oder doch wieder) der ewig heimatlose, rastlose, anachronistische Cowboy - in der unendlichen Weite des Westens auf der Suche nach einem fast schon mythischen Ort, an dem er endlich zu sich selbst zu kommen hofft. In seinem vorhergehenden Film "Der Stand der Dinge" (Wenders' pessimistische Verarbeitung seiner Erlebnisse mit den Gesetzen der amerikanischen Filmproduktion und -finanzierung und gleichzeitig Abgesang auf den aussterbenden europäischen Autorenfilm) hatte Wenders seinen Protagonisten und Alter Ego (der Regisseur des Films im Film) noch sagen lassen: "Stories only exist in stories. Whereas life goes by without the need to turn into stories." Obwohl man dieses Motto auch auf die offene Erzählung von "Paris, Texas" anwenden kann, hat Wenders in seiner Karriere doch keinen so großen Schritt gemacht wie zwischen diesen beiden Werken (er selbst bezeichnete "Paris, Texas" als seinen zweiten Film - alle davor waren zusammen sein erster). Verabschiedet hat er sich von der bisweilen zu introspektiven Erzählweise des selbstreflexiven Autorenfilmers, Adieu gesagt zu zahlreichen Mätzchen und Eigenwilligkeiten der Inszenierung und sich geöffnet für klassische Erzählformen, die es zuvor noch aus Prinzip zu durchbrechen galt. Und nichts veranschaulicht diese Veränderung so deutlich wie das bloße Aussehen der beiden Filme: Ist "Der Stand der Dinge" noch in sehr düsterem Schwarz/Weiß gefilmt (perfekt passend zur deprimierten Grundstimmung), wird man in "Paris, Texas" schon in den ersten Sekunden von den prachtvoll leuchtenden Farben der Wüste und des Himmels geradezu erschlagen. Wenn Wenders zuvor noch ein junger Wilder war, dann ist er mit diesem Film endgültig erwachsen geworden. Dennoch hat Wenders mitnichten bei "Paris, Texas" einen gänzlich konventionellen und ganz un-Autorenhaften Film gemacht. Nicht nur das offene Ende, auch das gesamte Erzähltempo, das zugunsten der Poesie und Resonanz vieler Szenen konsequent langsam gehalten wird, lässt den auteur weiterhin zum Vorschein treten, der ebenso seine unbändige Liebe für die Medien Film und Fotografie auch in diesem Werk anklingen lässt: Travis' zaghafte Annäherung an seinen Sohn Hunter bekommt ihre entscheidenden Schübe durch das gemeinsame Betrachten eines alten Familienvideos und das Durchblättern eines Fotoalbums. Auch hier erzählt Wenders zwei Dinge gleichzeitig: Diese Szenen sind zum einen ein allgemeiner Kommentar über die Macht und Magie der visuellen Medien, über ihre einzigartige Fähigkeit, einen Moment, ein Gefühl für die Ewigkeit festzuhalten. Zugleich zeigen sie dem Zuschauer aber auch das, was Travis verloren hat, und was er in seiner leisen Verzweiflung wieder zu erlangen versucht. Wenders konnte seine Eigenwilligkeiten als Autorenfilmer nie ganz ablegen, und sein Gesamtwerk erschwert dem interessierten Zuschauer bis heute mit einer gewissen intellektuellen Sperrigkeit den Zugang. Doch "Paris, Texas" bleibt bestehen als Höhe- und Kulminationspunkt seines Schaffens, der alle wichtigen Elemente von Wenders' Werk - stilistisch, motivisch, filmhistorisch und thematisch (siehe dazu auch unser Spotlight über Wim Wenders) - perfekt in sich vereint. Auch die enorme Tragweite und Bedeutung von Musik für Wenders trat in seinem Opus Magnum erstmals nachhaltig in Erscheinung: Der legendäre Soundtrack von Ry Cooder spiegelt die unendlichen Weiten des Landes und die tragische Nostalgie des ewigen Drifters Travis perfekt wider, und eröffnete dem Gitarristen eine internationale Karriere. Cooder war es schließlich auch, der als musikalischer Leiter und Produzent gemeinsam mit Wenders den späten Weltruhm des gealterten Musiker-Ensembles vom "Buena Vista Social Club" ermöglichte. Auch wenn man sich vor der Aussage hüten sollte, dass man sich nur diesen einen Film von Wim Wenders ansehen braucht, um Wesen und Werk des Regisseurs zu begreifen (schließlich hat er noch eine Vielzahl sehr sehenswerter Filme gemacht, nicht zuletzt den ebenfalls zu unserer Gold-Ruhmeshalle gehörenden "Der Himmel über Berlin"): "Paris, Texas" ist und bleibt der definitive Wenders-Film, der wichtigste und meistbeachtete Beitrag zur Filmgeschichte eines der bedeutendsten und einflussreichsten Regisseure des deutschen Kinos. |
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