We've come a long way, baby. Als die Marvel-Studios 2008 einen Testballon namens "Iron Man" auf die Leinwände der Welt losließen und einen fulminanten Überraschungs-Erfolg hinlegten, hätte wohl trotzdem kaum jemand (außer Kevin Feige) gedacht, dass sich daraus die erfolgreichste Film-Franchise in der Geschichte des Kinos entwickeln würde. Elf Jahre und 21 Filme später erreicht das Marvel Cinematic Universe mit "Avengers: Endgame" nun seinen vorläufigen Höhe- und Endpunkt. Und als solcher ist dieser Film eine definitiv würdige Angelegenheit.
"Endgame" ist die direkte Fortsetzung des letztjährigen Mega-Krachers "Avengers: Infinity War", der das fassungslose Kinopublikum ja mit dem so ziemlich größten denkbaren Cliffhanger hatte sitzen lassen (obligatorische Spoiler-Warnung, aber wer diesen "Spoiler" nicht eh schon kennt, braucht sich diesen Film eigentlich gar nicht ansehen). Denn der Titan Thanos hatte tatsächlich sein Ziel erreicht, alle sechs der sagenumwobenen Infinity-Steine an sich gebracht und schließlich mit einem einfachen Fingerschnipsen exakt die Hälfte aller Lebewesen im Universum einfach ausgelöscht. Vor den ungläubigen Augen der Zuschauer hatte sich am Ende von "Infinity War" dann auch ziemlich genau die Hälfte der über 21 Filme zusammengetragenen Superhelden-Riege des MCU in Staub aufgelöst. Unter den übrig Gebliebenen befindet sich indes praktischerweise die gesamte Original-Kernbesetzung der Avengers, namentlich "Iron Man" Tony Stark (Robert Downey jr.), Captain America (Chris Evans), "Black Widow" Natasha Romanoff (Scarlett Johansson), Thor (Chris Hemsworth), "Hulk" Bruce Banner (Mark Ruffalo) und "Hawkeye" Clint Barton (Jeremy Renner). Die finden sich nun auch sofort zusammen, um mithilfe der jüngsten, übermächtigen Addition im MCU namens Captain Marvel (Brie Larson) das Geschehene möglichst sofort wieder rückgängig zu machen. Der scheinbar einzig mögliche Weg dazu (Thanos finden, überwältigen, Infinity-Steine an sich bringen und - Schnips!) wird jedoch zum Fehlschlag. Und so müssen die Avengers die unfassbare und unabänderliche Realität akzeptieren und mit einer Welt klarkommen, die angesichts des Verlusts der Hälfte ihrer Bevölkerung zu einem ziemlich deprimierenden und kaum noch funktionalen Ort wird.
Natürlich ist diese Realität dann doch nicht ganz so unabänderlich wie gedacht, sonst würde es diesen Film ja gar nicht geben. Doch bis die Avengers dann doch noch auf die zündende Idee kommen, wie sich das alles wieder geradebiegen ließe, wadet "Endgame" erstmal eine gute halbe Stunde in der allgemeinen Hoffnungslosigkeit der Situation. Das ist für Marvel-Verhältnisse schon eine recht bedrückende Angelegenheit, und wo man sonst selbst im größten Ernst der Lage immer noch Platz für einen lockeren Spruch und grandios eingestreute Gags gefunden hat, verkneift man sich das hier angemessenerweise für eine ganze Weile. Der Ton wird erst dann wieder etwas heller, wenn ein Hoffnungsschimmer am Horizont auch Anlass dafür gibt. Am deutlich gesetzteren Erzähltempo ändert allerdings auch das nicht sehr viel.
"Endgame" ist mit 181 Minuten Laufzeit der mit deutlichem Abstand längste Marvel-Film, und steuert diese epische Länge auch sehenden Auges an. Er verdient sich seine Länge nicht mit Michael Bay-artig ausufernden Actionsequenzen oder einem scheinbar niemals enden wollenden Showdown. Tatsächlich fällt das große Schluss-Crescendo für einen Film dieser Größenordnung sogar erstaunlich kompakt aus. Nein, "Endgame" findet seine Länge, weil er sich bewusst Zeit lässt - Zeit mit all den Charakteren, die man so sorgsam über so viele Filme entwickelt hat, und denen man hier ganz bewusst ihre eigenen kleinen und großen Momente aufrichtigen emotionalen Tiefgangs gibt. Wir wollen hier gar nicht ins Detail gehen, denn der Filmverleih hat explizit darum gebeten, keine der zentralen Wendungen des Films zu spoilern, und erstaunlicherweise haben auch die Trailer zu "Endgame" nicht den Hauch eines Hinweises darauf vermittelt, wie der Plan der Avengers - der immerhin bereits nach gut 50 von 181 Filmminuten klar ist - genau aussieht. Nur soviel: Das zentrale Plotvehikel von "Avengers: Endgame" macht es möglich, das gesamte bisherige Marvel-Universum in seiner ganzen Bandbreite in einen Film zu kondensieren und all seinen zentralen Helden bedeutsame persönliche Momente zu geben.
Dies dominiert vor allem den breiten Mittelteil des Films, und wie stimmig und immer wieder emotional berührend dies alles von statten geht ist ein Anzeichen dafür, wie wohl sich die Darsteller in ihren Figuren fühlen, die sie hier teilweise bereits im neunten Film spielen, als auch wie sicher und liebevoll die Führung eben dieser Figuren sowohl durch die Drehbuchautoren als auch durch das Regie-Brüderduo Anthony und Joe Russo geschieht. Die Russos durften ja seit dem zweiten Captain America-Film mit "Civil War" und eben "Infinity War" die zentralen Ensemble-Werke des MCU verantworten. Es ist spürbar, wie sehr "Endgame" für sie alle ein Herzensprojekt war, auch im Wissen, dass hier ein sehr großes Kapitel zu Ende geht. Verständlich, dass man sich da seine Zeit lassen will.
Nur, es ist vielleicht etwas zu viel des Guten. Dies ist nicht mehr als ein milder Kritikpunkt, denn "Endgame" ist für jeden Freund der bisherigen Marvel-Filme (und wer ist das nicht) von Anfang bis Ende ein Genuss. Doch es lässt sich nicht leugnen, dass der Film gerade im Mittelteil ein paar Längen entwickelt und er insgesamt weit von der atemberaubenden Spritzigkeit und dem stellenweise fast Screwball-artigen Tempo von "Infinity War" entfernt ist. Und natürlich gilt für "Endgame", dass er als eigenständiger Film quasi nicht funktionsfähig ist. Als große Schlussnote und Kulmination des bisherigen MCU ist der Film sicher nahezu perfekt - oder zumindest so gut, wie er nur hätte werden können. Als für sich allein stehendes Kino-Erlebnis waren jedoch diverse seiner 21 Vorgänger definitiv stärker und aufregender. (Und bevor jetzt die Kommentare losgehen, warum er dann trotzdem dieselbe Wertung wie "Infinity War" bekommt - verschiedene Autoren, verschiedene Sichtweisen: der Schreiber dieser Zeilen hier hätte "Infinity War" mit neun Augen bewertet, und hat zumindest darüber nachgedacht, für "Endgame" auch 'nur' sieben zu vergeben)
Es bleibt jedoch dabei, dass man nach elf Jahren MCU keine (oder nur sehr wenige) der 181 Minuten mit all diesen liebgewonnenen Helden missen möchte, und es "Endgame" auch nicht krumm nehmen mag, wenn er sich am Schluss besonders viel Zeit lässt, um den hier anstehenden Abschieden ihren wohlverdienten Raum zu geben. Denn hier geht tatsächlich eine Ära zu Ende - so deutlich, dass "Endgame" als wirklicher Schlusspunkt des MCU absolut angemessen und passend wäre. Natürlich ist das hier nicht wirklich das Ende. Da sind die Logik des Marktes und die Interessen der Aktionäre der Walt Disney Company vor. Für die nächsten drei Jahre stehen bereits Starttermine für zehn weitere (größtenteils noch nicht näher definierte) Marvel-Filme fest, und es ist auch bereits bekannt, dass man mehrere der hiesigen Helden-Riege in ihren eigenen TV-Serien auf dem demnächst startenden Streaming-Dienst von Disney wiedersehen wird. Trotzdem schließt sich mit "Endgame" ein großes Kapitel Kinogeschichte, und man kann zum Ende dieser Ära nur sehr zufrieden konstatieren: Schön war's. Sehr, sehr schön.
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