Das erste Halbjahr 2016 ist geradezu überfüllt von weiteren, groß angelegten Superhelden-Filmen. Während die Qualität dabei bisher sehr unterschiedlich ausfiel und von ziemlich furchtbar bis höchst unterhaltsam reicht, ist die Dominanz der Comic-Adaptionen an den Kinokassen ungebrochen. Nur wenige Wochen nach dem letzten „Avengers“, pardon „Captain America“-Film stehen nun auch schon wieder die „X-Men“ in den Startlöchern. Der insgesamt sechste Beitrag in der Mutanten-Franchise (die „Wolverine“-Solofilme nicht mitgezählt), komplettiert dabei die zweite Trilogie der Reihe, die zuerst Matthew Vaughn mit seinem „Erste Entscheidung“ so erfrischend wiederbelebte, bevor dann wieder Bryan Singer übernahm und mit „Zukunft ist Vergangenheit“ eine clevere Zeitreise-Geschichte ablieferte. Singer zeichnet nun auch für die neueste Episode verantwortlich, die als mächtigen Gegenspieler den angeblich ersten aller Mutanten präsentiert.
Der trägt den bezeichnenden Namen „Apocalypse“ (Oscar Isaac) und erlebte eine frühe Blüte seiner Herrschaft zur Hochzeit der ägyptischen Kultur vor rund 5.000 Jahren. Doch nach einem Verrat innerhalb seiner Anhängerschaft endet die Herrschaft des Tyrannen sehr plötzlich und dieser wird unter den Trümmern einer eingestürzten Pyramide begraben, aber eben nicht getötet. In der Film-Gegenwart des Jahres 1983 befreien ihn schließlich moderne Anhänger eines Kults und Apocalypse lässt sich nur wenig Zeit um seinen Masterplan zu vollenden: Die Welt der Menschen zu vernichten, um ein neues, von ihm geführtes Mutantenreich zu errichten. Auf die Unterstützung von Charles Xavier (James McAvoy) und dessen Schülern kann er dabei nicht zählen, es schließen sich ihm aber einige andere Mutanten an, darunter vor allem auch der von einem schweren Schicksalsschlag gebeutelte Magneto (Michael Fassbender). Diese vier „Reiter der Apokalypse“ stellen eine gewaltige Bedrohung dar, der sich nur die „X-Men“ entgegenstellen können.
Okay, so ganz stimmen die flotten filmischen Zeitsprünge von den 60ern über die 70er bis nun in die 80er Jahre mit dem äußerlichen Alterungsprozess der Figuren nicht überein, aber gut, Mutantenfähigkeit halt. Im Gegensatz zu den zahlreichen kleinen Anspielungen auf die bunte Popkultur der Siebziger gibt es diesmal aber auch nur wenig Zeitkolorit zu bestaunen, würde es nicht ausdrücklich erwähnt, wäre die Handlung nur schwer im Jahr 1983 zu verorten. Einen der wenigen deutlichen Hinweise darauf gibt die Wahl des Eurythmics-Pop-Klassikers „Sweet Dreams are made of this“ als Untermalung des Auftritts von „Quicksilver“ (genau, das ist der „Flash“von Marvel-Comics, aber eben nicht die Version die im „Avengers“-Universum bereits ums Leben kam).
Der hat hier in der Interpretation von Evan Peters erneut seinen Zeitlupen-Soloauftritt, der allerdings bei weitem nicht mehr so frisch und überraschend daherkommt. Vor allem aber wirkt er in seiner lockeren, augenzwinkernden Umsetzung ein wenig deplatziert, geht es doch für praktisch die gesamte Mutantenschar in diesem Moment gerade um Leben oder Tod. Und zumindest einer der Mittelwichtigen muss dann auch tatsächlich dran glauben, was die „spaßige“ Sequenz umso rätselhafter erscheinen lässt. Es geht nämlich ziemlich ernst und grimmig zu in dieser neuen Runde mit den „X-Men“, die sich damit sowohl vom gängigen Marvel-Tonfall als auch von den vorhergehenden Folgen ihrer eigenen Reihe deutlich abheben.
Mit einem Finsterling wie „Apocalypse“ gibt es halt nicht viel zu lachen, trotzdem gelingt es dem sonst stets großartigen Oscar Isaac („Ex Machina“, „Star Wars“) unter dem tonnenschweren Make-Up kaum seiner Figur echtes Charisma zu verleihen – was bei einem praktisch aus Stein gemeißelten Gesicht auch eine recht schwere Aufgabe ist. Neben dem Oberschurken gibt es natürlich wieder eine Reihe weiterer neuer Mutanten zu bestaunen, die sich recht gleichmäßig auf die gute und die böse Seite verteilen. Wobei da die Übergänge genreüblich ja immer recht fließend sind (oder wer weiß aus dem Stehgreif, wie oft ein „Magneto“ eigentlich schon die Fronten gewechselt hat?). Das tut der Herr des Metalls auch hier wieder, wobei die Hinwendung zur dunklen Seite aufgrund eines sehr bitter verlaufenden – und sehr stark inszenierten – Handlungsbogens zwar einerseits nachvollziehbar ist, man sich aber andererseits doch etwas wundern muss, weshalb ein innerlich so vielschichtiger Charakter wie der von Michael Fasbender erneut überzeugend verkörperte Magneto sich einem so eindeutig üblen und rücksichtslosen Massenmörder wie „Apocalypse“ anschließt. Von den weiteren Neuzugängen, die oft nur die entsprechend jüngere Ausgabe uns aus den früheren Filmen bereits vertrauter Figuren darstellen, hinterlässt die aus „Game of Thrones“ bekannte Sophie Turner den stärksten Eindruck und beweist, dass sie noch etwas mehr draufhat als nur als Sansa Stark ihr Schicksal zu beweinen.
Der Aufbau dieser „Oberschurke will die Welt vernichten“-Variante ist genauso klassisch geraten wie es die Prämisse erwarten lässt, die Handlung ist daher auch weit weniger verschachtelt als bei den beiden direkten Vorgängern. Was das Ganze dann halt auch ein wenig uninteressanter macht und so richtig gut passt er irgendwie auch nicht, dieser neue, sehr düstere Grundton innerhalb der Mutantensaga. So bleiben auf dem Habenkonto einige nette Ideen und Einzelszenen (die berühmte „Weapon X“-Storyline wird auf sehr clevere Art eingebaut) und natürlich die mehr als solide Umsetzung der Action-Szenen, zu denen auch die Kräfte der Neulinge Psylocke (Olivia Munn) und Nightcrawler (Kodi Smit-McPhee) ihren visuellen Teil beitragen. Das weitere Schicksal der „X-Men“-Reihe ist nach diesem Film nun erst mal offen, der vorläufige Abschluss kommt aber insgesamt schon eine wenig müder und vor allem deutlich konventioneller daher als zuletzt und muss daher als zumindest kleine Enttäuschung verbucht werden.
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