"Brooklyn" ist einer dieser Filme, die einen daran erinnern, dass es einen guten Film nicht so sehr ausmacht, was er erzählt, sondern wie er es tut. Die Story von "Brooklyn" ist an sich weder etwas Besonderes noch originell. Er erzählt eine klassische Einwanderergeschichte anhand seiner Hauptfigur Eilis (Saoirse Ronan), eine schüchterne und unsichere junge Frau, die auf Drängen ihrer Schwester Anfang der 1950er Jahre das tut, was schon Millionen ihrer irischen Landsleute vor ihr getan haben: In der Hoffnung auf ein besseres Leben nach Amerika auswandern. Es folgt ein herzzereißender Abschied von Schwester und Mutter und nach der Ankunft im titelgebenden New Yorker Stadtteil fast lähmendes Heimweh, nur ein wenig gelindert durch die herzensgute Gemeinschaft früherer Einwanderer, die sich um ihresgleichen kümmert. Nach und nach formt sich für Eilis tatsächlich ein neues, besseres Leben in Amerika, doch als sich alles zu einem bescheidenen Märchen des Immigrantenglücks zu wandeln scheint, zwingt eine unerwartete Familientragödie Eilis zurück nach Hause, und auch dort breitet sich auf einmal die Chance auf eine glückliche Zukunft aus, die vor ihrer Immigration so unmöglich erschien.
Dass sich der Heldin Eilis hier gleich die Aussicht auf Lebensglück in zweifacher Ausführung anbietet, verdeutlicht, dass "Brooklyn" trotz kleinerer Momente von Tragik eine ziemliche Wohlfühl-Veranstaltung ist. Bis auf eine markante Ausnahme laufen hier eigentlich auch nur positiv gezeichnete Figuren herum, beizeiten vielleicht etwas exzentrisch oder überkandidelt, aber im Kern wohlmeinend. Dies ist keine Geschichte, die von ihren Konflikten lebt, abgesehen natürlich von dem Kernkonflikt im Herzen jeder Immigranten-Geschichte: Die Hoffnung auf ein neues, selbstbestimmtes Leben gegen die Sehnsucht nach und die Bindung an die alte Heimat. Alles recht harmlos und liebenswürdig und herzerwärmend also, und so etwas steht dann auch leicht unter dem Verdacht, dann doch eher oberflächlich und langweilig zu sein. Das ist das aber überhaupt nicht ist, liegt eben am Wie dieses Films.
Da ist die ungemein gekonnte und sichere Inszenierung von James Crowley, der mit soviel Feingefühl für das richtige Zeitkolorit ans Werk geht, dass er seine Handlungsära perfekt zum Leben erweckt und eines der gelungensten period pieces der letzten Jahre auf die Leinwand zaubert, seinem Film dabei aber zugleich einen sanften Hauch nostalgischer Patina verleiht. Da ist das grandiose Drehbuch von Nick Hornby, der hier die gar nicht leichte Aufgabe hatte, eine populäre Romanvorlage für eine Kinoadaption zurecht zu stutzen und dabei formidable Arbeit leistete, indem er selbst kleinen Nebenfiguren, die nur für wenige Szenen im Film auftauchen und von denen wir nicht einmal den Namen erfahren, so markante Auftritte beschert, dass sie dem Zuschauer lebendig im Gedächtnis bleiben. Resultat ist ein Sammelsurium denkwürdiger Kurzauftritte und entzückender szenischer Details, die einem ein permanentes Lächeln aufs Gesicht zaubern. Und da ist natürlich das hervorragend gecastete und agierende Ensemble, das all diesen Figuren das richtige Leben einhaucht. "Brooklyn" ist gespickt mit tollen Charakterdarstellern, die sich allesamt ganz in den Dienst der Geschichte stellen und durch die Bank so perfekt auf ihre Rollen passen, dass man beinahe geneigt ist, die Casting-Abteilung zum eigentlichen Star dieses Films zu erklären.
Wäre da nicht Saoirse Ronan. Ihr Vorname mag unaussprechlich sein, doch er wird uns Filmliebhabern noch sehr häufig begegnen. Es ist fast ein wenig beängstigend, was für eine komplette, ausdrucksstarke und höchst versierte Schauspielerin diese junge Dame mit gerade einmal 21 Jahren schon ist. Seit sie mit ihrem Auftritt in "Abbitte" der Filmweltöffentlichkeit erstmals nachhaltig auffiel, hat Ronan mit Hauptrollen wie in "In meinem Himmel" oder "Wer ist Hanna?" immer wieder deutlich auf sich aufmerksam gemacht. Für "Brooklyn" erhielt sie nun ihre erste Oscar-Nominierung als beste Hauptdarstellerin, und man kann mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sagen, dass es nicht die letzte bleiben wird. Eher die erste von einem Dutzend. Oder so. Hochverdient ist diese Nominierung auf jeden Fall, denn mit welcher Präzision und ergreifender Subtilität Ronan hier zu jedem Zeitpunkt das Publikum am emotionalen Innenleben ihrer Figur teilhaben lässt, erhebt "Brooklyn" nahezu im Alleingang von einer schönen, aber etwas betulich-harmlosen "Eine junge Frau geht ihren Weg"-Mär hin zu einem zutiefst glaubwürdigen und berührenden Porträt einer authentischen Immigranten-Biografie.
Ronans Vorstellung ist der zentrale Schmuckstein im Mosaik nahezu perfekt ausgeführter filmischer Handwerkskunst, die "Brooklyn" ausmacht. Hier fügt sich die Arbeit aller Beteiligten zusammen zu einem herausragenden Gesamtergebnis, einem romantischen Drama alter Schule, in dem man in kleinen Details wie der Farbdramaturgie von Eilis' Kleidern, die im Laufe des Films ihren Persönlichkeits- als auch ihren Stimmungswandel untermalen, eine Verehrung für klassische Kino-Erzählung erlebt, wie sie in Hollywood immer mehr verloren geht. Ja, es ist vielleicht alles etwas harmlos und positiv in diesem Film. Aber es fühlt sich trotzdem menschlich und aufrichtig an. Und es ist vor allem eins: Einfach schön anzusehen.
Neuen Kommentar hinzufügen