
Christopher Nolan ist vermutlich der einzige Mensch auf der Welt, der ein Hollywood-Studio dazu bringen kann, 165 Millionen Dollar in einen Film zu investieren, der sich um relativistische Astrophysik dreht. Aber Nolan genießt eben den Ruf eines Goldesels, der nicht nur die massiv erfolgreiche "Dark Knight"-Trilogie stemmte, sondern dazwischen auch noch bewies, dass er selbst eine komplexe Denksport-Kopfgeburt wie "Inception" zu einem globalen Blockbuster machen kann. Was kann also schiefgehen, wenn dieser scheinbar unfehlbare Filmemacher, der seit seinem internationalen Durchbruch mit dem legendären "Memento" wirklich nichts falsch gemacht hat, sich nun an sein ambitioniertestes Werk macht und wie weiland Stanley Kubrick mit einem gigantischen Weltraum-Epos die ganz großen Fragen der Menschheit anpackt? Nun, eine ganze Menge. Denn "Interstellar" ist der mit Abstand schwächste Film im bisherigen Schaffen Nolans.
"Interstellar" spielt in einer Welt, die kurz vor dem Untergang steht. Diverse Getreidesorten, die bisher die Welt gefüttert haben, gedeihen nicht mehr, riesige Staubstürme machen in landwirtschaftlichen Regionen wie dem amerikanischen Mittelwesten den Anbau der wenigen Pflanzen, die noch wachsen, immer schwerer. Wie genau es dazu kam und was diese Umstände schon mit der Welt gemacht haben, diesbezüglich bleiben Nolan und sein Bruder Jonathan, die zusammen das Drehbuch schrieben, indes reichlich vage. Andere SciFi-Endzeit-Filme eröffnen mit ein paar schlichten Texttafeln, um dem Publikum die Grundkoordinaten ihrer Zukunftswelt zu erklären. Den Nolans scheint das zu plump und profan zu sein. Sie halten sich lieber mit einer sehr behäbigen Exposition auf, die ein paar Details aufwirft, die in ihrer Konstellation aber eher für Verwirrung als Erhellung sorgen. In der nahen, aber zeitlich auch nicht genau definierten Zukunft von "Interstellar" gibt es zum Beispiel keine MRT-Geräte mehr (warum auch immer). Und das amerikanische Militär wurde komplett abgeschafft - was in einer Welt, die aufgrund von wachsender Nahrungsmittelknappheit eigentlich kurz vor massiven Unruhen stehen müsste, eine sehr unkonventionelle Entscheidung ist, um es mal diplomatisch auszudrücken.
In diesem Szenario des nahenden Untergangs stößt der ehemalige Testpilot und jetzige Familienvater Cooper (Matthew McCounaghey) auf ein streng geheimes Projekt der NASA, das sich auf die Suche nach einer neuen Heimat für die Menschheit machen will. Ein in der Nähe des Saturns aufgetauchtes, künstlich erschaffenes Wurmloch dient dabei als Tor in eine ferne Galaxie, in der man hofft, einen lebensfreundlichen Planeten zu finden, auf dem die Menschheit neu anfangen kann. Einige todesmutige Freiwillige haben die Reise zur Erkundung einer Handvoll Planeten bereits unternommen und vielversprechende Signale zurückgesendet. Die Gefahren solch eines Weltraum-Trips und vor allem die zeitlichen Dimensionen, die durch die Verzerrung der Raumzeit dabei mitspielen, machen es indes höchstwahrscheinlich, dass niemand von solch einer Reise zur Erde zurückkehren wird. Oder wenn doch, dann nicht in überschaubarer Zeit. Aber schließlich geht es um die Rettung der Menschheit. Also überlegt Cooper nicht lange und macht sich mit drei anderen Wagemutigen (Anne Hathaway, Wes Bentley und David Gyasi) auf um herauszufinden, ob jenseits des Wurmlochs wirklich die Rettung der Menschheit liegen kann.
Kip Thorne ist einer der führenden Wissenschaftler für theoretische Physik, und er ist als einer der ausführenden Produzenten dieses Films aufgeführt. Nicht ohne Grund. Thorne war zentraler Berater von Christopher Nolan, und ein Großteil des Films basiert auf Thornes theoretischen Überlegungen über Wurmlöcher, schwarze Löcher, Relativität, Raumzeit und Gravitationswellen. Das ist sehr verkopftes und theoretisches Zeugs, und auch wenn sich "Interstellar" Mühe gibt, die für seine Erzählung relevanten Kernkonzepte auf eine möglichst simpel verständliche Ebene runterzubrechen, so ändert das nichts daran, dass viele Zuschauer einige Mühe haben werden, den zum Teil sehr trocken-theoretischen Diskussionen über Konzepte der höheren Astrophysik hier zu folgen. Falls es sie denn überhaupt interessiert, was jenseits absoluter Science-Fiction-Fanatiker eher fraglich ist.
Wohl gemerkt, dies ist nicht als Schwachpunkt des Films gemeint, lediglich als ein Aspekt, der es einem breiteren Publikum schwer machen könnte, einen Zugang zu "Interstellar" zu finden. Wie Nolan indes versucht, dieses Problem auszuhebeln - das ist definitiv ein Schwachpunkt des Films. Denn wohl um der Falle eines Films nur für Fachidioten zu entgehen und einen breiteren emotionalen Anknüpfpunkt fürs Massenpublikum zu erzeugen, versucht Nolan etwas, was bislang noch immer seine größte Schwäche war: Gefühlig werden. Ein Filmemacher, dem man zurecht vorgehalten hat, dass seine Filme stets eine gewisse Kühle und Distanz zu ihren Figuren ausstrahlen, schickt sich nun an sein ganz groß gedachtes SciFi-Szenario aufzulösen rund um den bereits im Trailer geäußerten Kernsatz "Liebe ist das einzige, was die Grenzen von Raum und Zeit überwinden kann". Das kann nicht gut gehen. Und das tut es auch nicht.
Passt es zu Anfang des Films noch ins Bild des am Zwischenmenschlichen wenig interessierten Nolan, dass Cooper seine Entscheidung für das Projekt und somit zum Verlassen seiner Kinder in gefühlten fünf Sekunden fällt und der Abschied für immer von seiner jungen Tochter wie eine lästige Pflichtübung abgehandelt wird, widmet sich der Film mit wachsender Laufzeit immer mehr dem inneren Schmerz dieser Selbstaufgabe, dem emotionalen Preis, den man zahlt, wenn man seine persönlichen Gefühle und Interessen zum Wohl der gesamten Menschheit opfert. Das sind in der Tat die ganz großen Aspekte, mit denen sich ein Individuum auseinandersetzen muss, wenn es womöglich den Rest seines Lebens vollkommen allein auf einem Planeten in einer komplett anderen Ecke des Universums verbringen wird. In den Händen eines nur technisch hochbegabten Regisseurs wie Christopher Nolan, dessen Gefühl für Zwischentöne und dessen Kunstfertigkeit als Dialogautor doch recht überschaubar sind, gerät dieser zutiefst menschliche, existenzialistisch-emotionale Resonanzboden jedoch grässlich hölzern. Jede tiefere Emotion in diesem Film wirkt gewollt, erzwungen, unauthentisch. Und macht es fast unmöglich, bei "Interstellar" wirklich involviert mitzugehen.
Nun könnte man wohlwollend sagen, dass man einem Film mit derart übergroßen Ambitionen wie diesem hier es schon verzeihen kann, wenn er hier und da ein paar unsichere Schritte setzt. Ambition allein ist jedoch kein Qualitätsmerkmal, sondern erhöht nur die Gefahr, auf grandiose Weise zu scheitern. Und so oder so ist die Liste der Schwächen von "Interstellar" zu lang, um hier noch ein wohlwollendes Auge zudrücken zu können. Es ist nicht nur die so ungeschickt ausgeführte emotionale Ebene der Geschichte, so dass sich "Interstellar" gerade Richtung Schluss sehr hart an der Grenze zum Kitsch bewegt. Es ist auch die generelle Länge des Films, die sich letztlich durch die Geschichte nicht rechtfertigt. Schon von den ersten Minuten der sehr behäbigen Exposition an wirkt alles unnötig aufgeblasen, Subplots nehmen ihren wenig denkwürdigen Verlauf ohne so richtig erkennen zu lassen, wo jetzt ihre Relevanz war. Man hat den Eindruck, dass der Film locker eine Stunde kürzer hätte sein können, ohne irgendetwas seiner Essenz aufzugeben.
Der generelle Eindruck unnötiger Übergröße setzt sich auch auf akustischer Ebene fort, denn beim Soundtrack haut Nolans Stammkomponist Hans Zimmer so bombastisch auf die Kacke, dass einem zwischendurch fast die Ohren wegfliegen - und nicht im positiven Sinne. Besonders ärgerlich ist das angesichts der miesen Tonmischung, wegen der in hochdramatischen Szenen die Dialoge immer wieder von Zimmers Gewummer übertönt werden. Da man dies bereits in vorherigen Filmen Nolans feststellen konnte, muss dies wohl als bewusste Entscheidung des Regisseurs betrachtet werden. Ihre Sinnhaftigkeit erschließt sich trotzdem nicht. Und selbst dem Filmschnitt, eine herausragende Stärke in Nolans vorherigen Filmen, scheint diesmal der Sinn für die Feinheiten der Erzählung zu fehlen. So verwendet Nolan zum Höhepunkt des Films eine Parallelmontage, welche die Gleichzeitigkeit der Ereignisse auf der Erde und in der fernen Galaxie suggerieren soll und so eine Dramatik herstellen will, die eigentlich gar nicht existiert. Denn der Film ist da bereits längst an einem Punkt angekommen, wo Zeit zu einer komplett relativen Größe geworden ist und damit an zumindest einem Ende dieser Parallelmontage vollständig irrelevant.
Man muss Nolan zugute halten, dass es ihm mit der Auflösung seiner Geschichte gelingt, die sehr großen Fragezeichen, die am Anfang aufgeworfen werden (Wer oder was hat das künstliche Wurmloch erschaffen? Wie kommt der entscheidende Hinweis zustande, der Cooper zum NASA-Projekt führt?), halbwegs sauber zu beantworten und die Sache damit rund zu machen. Ob man mit diesen Antworten nun mitgeht, ist wiederum eine andere Frage und Sache des persönlichen Geschmacks und/oder des Wohlwollens gegenüber dem Regisseur. Der Rezensent muss zugeben, dass seine Enttäuschung an diesem Punkt schon so groß war, dass es für "Inhärente Logik am Ende immerhin nicht komplett versaubeutelt" nur noch ein minimales Pluspünktchen gab.
Beim Thema des Films, seinem immensen Produktionsbudget und den Könnern hinter der Kamera ist es müßig zu erwähnen, dass "Interstellar" natürlich eine ganze Menge ziemlich spektakulärer Bilder zu bieten hat, und Nolan macht einen guten Job, die astrophysikalischen Phänomene, mit denen er hier hantiert, überzeugend zu visualisieren. Das macht seinen Film aber noch lange nicht zu einem einzigartigen Bilderrausch der Kategorie "So etwas hat man noch nicht gesehen". Es hilft jedenfalls nur bedingt dabei, das Gesamterlebnis eines Films zu verbessern, bei dem es einfach an zu vielen Ecken und Enden hapert. Für die leidenschaftlichen Filmfans, für die Nolan im Moment einen ähnlich gottgleichen Status genießt wie Peter Jackson seinerzeit nach dem Ende der "Herr der Ringe"-Trilogie, mag es an Blasphemie grenzen und schwer zu akzeptieren sein. Wir sind in dieser Hinsicht auf wütende Tiraden in den User-Kommentaren vorbereitet. Aber das Urteil bleibt, wie es ist: Mit den Ambitionen und Ansprüchen, die er in diesem Film vereinen wollte, ist "Interstellar" für Christopher Nolan eine Nummer zu groß geworden, und der Regisseur damit letztlich gescheitert. Man will Nolan deswegen nicht gleich Hybris und Größenwahn unterstellen. Aber er ist eben doch kein Stanley Kubrick. Und "Interstellar" eine massive Enttäuschung.
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