About Schmidt

Originaltitel
About Schmidt
Land
Jahr
2002
Laufzeit
124 min
Genre
Release Date
Bewertung
10
10/10
von Simon Staake / 29. Mai 2010

Der bezeichnendste Moment kam, als Jack Nicholson den Golden Globe für seine famose Darstellung des titelgebenden Warren Schmidt überreicht bekam, und zwar in der Kategorie "Bester Hauptdarsteller in einem Drama". "Komisch", wunderte sich Nicholson, "und ich dachte, wir hätten eine Komödie gedreht". "About Schmidt" ist natürlich beides, aber nur unzureichend beschrieben mit dem Hilfsbegriff Tragikomödie.

Es ist ein Film, der sich auf manchmal gehässige, aber immer mitfühlende Weise über seine Figuren lustig macht. Ja, es gibt ein, zwei laute Lacher hier und viele Schmunzler, aber der Film streift nie den ernsthaften, bedrückenden Rahmen ab, in dem all diese kuriosen Figuren gefangen sind. Eine Komödie mit einem traurigen Herz also. Oder eine Tragödie, die oft zum breiten Grinsen veranlasst. Letztlich ein Film wie das Leben selbst: Die bittersüße Gleichzeitigkeit des Seins, vorgeführt am Leben des Warren Schmidt.


Dieser Warren Schmidt hätte wohl kaum gedacht, dass er mit 66 Jahren vor den Trümmern seines vormals so geregelten Lebens steht. Er wird von seiner Firma in den Ruhestand geschickt, seine Tochter Jeannie (Hope Davis) will den in Warrens Augen totalen Verlierer und Proleten Randall (Dermot Mulroney) heiraten, und dann stirbt auch noch Ehefrau Helen (June Squibb) nach 42 Ehejahren. Plötzlich fühlt sich Warren Schmidt nutzlos und entfremdet.

Was kann da helfen? Eine für 22 Dollar im Monat übernommene Patenschaft für den sechsjährigen Ndugu in Tansania, dem er ellenlange Briefe schreibt? Wiederauflebenlassen von Erinnerungen an den Orten seiner Jugend? Oder aber die dann wichtigste Mission, die Warren für sich sieht: In den Riesenwohnwagen und auf nach Denver, um Jeannies Hochzeit mit dem ungeliebten Randall zu verhindern.

Jack Nicholson ist Schmidt. So der geplante deutsche Titel, den man sich gottlob dann doch verkniff. Aber die Aussage steht und bleibt gültig. Jack Nicholson ist Schmidt. Welcome to the Nicholson Show, nur diesmal ganz anders als sonst. Den großen Mittelteil seiner Karriere - also die letzten zwei Jahrzehnte - hat Nicholson eigentlich nur noch sich selbst gespielt: Den überlebensgroßen Jack, männlich und potent, mit wölfischem Grinsen und diesen unnachahmlich hochgezogenen Augenbrauen.


Und nun? Hit the Road, Jack - Welcome back, Charakterdarsteller Nicholson. Bereits seine feingliedrige Zeichnung eines innerlich kaputten Charakters in "Das Versprechen" ließ vor zwei Jahren aufhorchen. Und jetzt diese tour de force als Schmidt. Später wird man in die Geschichtsbücher des Films schreiben, mit diesen beiden Darstellungen begründete Nicholson sein großartiges Alterswerk.

Sie sind nicht nur Ausdruck einer wiedergefundenen Ernsthaftigkeit in Nicholsons Spiel, sondern zollen auch veränderten Zeiten Tribut. Auch Nicholson bleibt nicht ewig jung. Und seine Charaktere in "Das Versprechen" und vor allem hier in "About Schmidt" sind körperlich verfallen, so wie sie im Geist zerfallen sind. Nicholson scheut sich nicht vor diesen Extremen oder Mut zur Hässlichkeit, und wenn er sich als verwahrloster Schmidt mit Wampe und unrasiert im Schlafanzug durch die Gegend schleppt, muss man diese Glanzleistung einfach anerkennen. Sein Warren Schmidt ist eigentlich ein einsamer, kleiner Mann - und Nicholson spielt ihn so. Ohne Grandeur, ohne überzogenes Pathos. Und gerade diese ungewohnt subtile Darstellung lässt seine Leistung umso monolithischer wirken.

Klar, man sieht noch immer den "alten Jack" ab und an aufblitzen, gerade in der auch mit einigen kleineren Längen versehenen zweiten Hälfte des Films (dies als einziger Kritikpunkt) brechen alte Manierismen das eine oder andere Mal durch. Aber trotzdem: So sehr und so überzeugend wie hier ist er zuletzt in den 70ern hinter einem Charakter zurückgetreten. Wir sehen nicht Jack Nicholson, der unter irgendeinem Rollennamen sich selbst spielt, sondern Warren Schmidt, der zufällig recht große Ähnlichkeit mit Jack Nicholson hat. Genau diese Glaubwürdigkeit ist es, die sein Spiel und den Film an sich zu einem solchen Genuss machen. Sorry, Eminem; aufgepasst, Daniel Day Lewis - wenn Hauptdarsteller-Oscar Nummer Drei nicht demnächst in Nicholsons Vitrine steht, ist irgendetwas fürchterlich falsch gelaufen.


Das gesamte Ensemble ist exzellent, mit einer zweiten Überraschung. Dermot Mulroney - ehemals eher farbloses, aber hübsches Objekt der Begierde von Julia Roberts in "Die Hochzeit meines besten Freundes" - zeigt sich hier ebenfalls von einer noch nicht gesehenen Seite. Als Randall Hertzell rennt er mit Vokuhila-Frisur, Schnauzer und Geheimratsecken herum und ist kaum zu erkennen. Nicht nur eine erstaunliche körperliche Transformation, sondern auch eine recht schöne Performance von Mulroney, der dem einfältigen aber liebenswerten Randall zu mehr als einer simplen Karikatur macht. Schmidt mag Randall unzulänglich finden und hat damit auch in vielen Belangen recht, aber Randall liebt Jeannie ohne Erwartungen - etwas, das Schmidt niemals könnte. Kathy Bates als Schwiegermutter in spe ist darstellerisch sowieso über alle Zweifel erhaben und auch Hope Davis als nicht unnötig verhübschte Tochter ist absolut glaubhaft.

Glaubwürdigkeit wurde jetzt zweimal erwähnt, warum aber macht man hier so ein Riesenaufhebens drum? Weil dieser Film von wirklichen Menschen handelt und weil man hier das Gefühl hat, dies sind - bei aller satirischen Überzeichnung - wirkliche Menschen. Und das ist eine Rarität in Hollywood. Wirkliche, atmende, unsympathische, liebenswerte, komische Menschen sind hier versammelt. Menschen des Amerikanischen Mittelwesten.

Denn dies ist auch ein Film über seine Lokalität. So wie Scorsese und Woody Allen von New York nicht loskommen, oder Tarantino von L.A., so setzt Regisseur und Drehbuchschreiber Alexander Payne (zusammen mit Kumpel Jim Taylor) seine Heimatstadt in seinen Filmen, diesen Tragödien der Eintönigkeit, in den Mittelpunkt - Omaha, Nebraska. "Was? Wo? Nie gehört" werden jetzt viele sagen, und man muss auch nicht wirklich von Omaha, Nebraska gehört haben. Fakt aber ist, dass diese Charaktere so großartig akkurat getroffen sind, von der Bewegung bis hin zur Redewendung, dass die Ortswahl nicht nur logisch erscheint, sondern geradezu notwendig.

Denn die Städte New York und L.A., die eigentlich gar nicht wirklich Amerika sind, verleiten mit ihren Extremen zu extremen Figuren - wandelnde Klischees, allesamt. Oder, wie Payne selbst sagt: "Das Leben in L.A. und New York ist durchaus nicht typisch für Amerika: Zwischen beiden liegt ein riesiger Kontinent". Und genau in dessen Herz trifft dieser wunderbare Film, genau dieses Herz thematisiert er. They don't call it the heartland for nothing: Hier brechen Herzen wirklicher und sehr viel trauriger als in den Seifenopernmetropolen der Küste. Und niemandes Herz mehr als das von Warren Schmidt.

Das emotionale Spektrum, das Nicholsons Schmidt durchläuft, ist buntgefächert. Tiefe Trauer nach dem Tod seiner Frau, aber sofort danach unbändige Wut, als er ihre Liebesbriefe an einen anderen findet. Ergreifend, aber nicht rührselig; komisch, aber nicht billig. So werden die Irrungen und Wirrungen, die Schmidt durchläuft, gezeigt. Ob er nun erfolglos sein Geburtshaus besucht (dort steht mittlerweile ein Reifengeschäft), ebenso erfolglos seiner ehemaligen Universität ("Rock Chalk, Jayhawk, K-U!") einen Besuch abstattet, oder sich ungebührlich an eine Zufallsbekanntschaft heranschmeißt: Die Disfunktionalität, mit der sich Schmidt durch sein neues Leben schlägt, zeigt ihn als jemanden, der nie wirklich gelebt hat. Nichts tut das allerdings mehr, als seine Brieffreundschaft mit dem kleinen Patenkind Ndugu aus Tansania.


Obwohl auf den ersten Blick nicht mehr als eine Beiläufigkeit, sind jeweils die Szenen, die mit dem aus dem Off kommenden "Lieber Ndugu" eingeleitet werden, die wahren Schlüsselstellen. Aus zweierlei Gründen: Zum einen sind sie natürlich urkomisch, denn die minutenlangen Tiraden, die Schmidt ablässt, können unmöglich von einem sechsjährigen Afrikaner verstanden werden (ob Schmidt dies nicht bemerkt oder es absichtlich ignoriert wird nicht geklärt und ist eigentlich auch egal). Viel wichtiger jedoch: Sie entlarven Schmidt als einen Mann, der sich nicht mehr ändern kann, der lieber weiter in Illusionen lebt. Denn die Bilder enttarnen selbst diese hilflose und völlig unnötige Charade, wir hören Schmidt Ndugu Dinge erzählen, die dem Geschehen auf der Leinwand völlig konträr gegenüberstehen.

Noch ein Triumph dieses Filmes. Obgleich faktisch ein Road Movie, unterwirft er sich nicht den so simplen wie einfältigen Regeln des Genres. Diese besagen, dass jemand nur auf die Straße muss, neue Bekanntschaften treffen muss, um am Ende dann garantiert etwas gelernt bzw. sich selbst gefunden zu haben. Nicht so hier. Schmidt bleibt Schmidt, und eine unangemessene weil unglaubwürdige Wandlung zum Gutmenschen macht der im Grunde genommen äußerst unangenehme weil zutiefst menschliche Schmidt auch nicht durch.

Dieser Film macht es dem Zuschauer nicht zu einfach. Zum Glück. Denn solch prätentiöse Patentlösungen sieht man nur in Schmonzetten und oberflächlichem Unsinn. Als Schmidt den Wohnwagen wieder vor seinem Haus einparkt, wird es dem Zuschauer selbst überlassen: Hat Schmidt etwas gelernt? Und wenn ja, dann was? Der Road Trip als Sackgasse, die Suche erfolglos. Auch so schließt sich ein weiterer Kreis. In seinem Durchbruch "Easy Rider" endete Nicholsons Road Trip mit dem Tod, und Captain America wusste später ebenfalls "We blew it".

Ein Jahr später suchte Nicholson sich in "Five Easy Pieces" selbst und fand doch nichts. Und jetzt, über zwanzig Jahre später, der krönende, in Form und Inhalt völlig unerwartete Abschluss dieser Quasi-Trilogie. Und es ist wie damals zu seiner Glanzzeit: Ein weiterer Triumph. Right on, Jack.

P.S.: Wer mehr über Patenschaften in Ländern der Dritten Welt erfahren will: Das im Film gezeigte Kinderhilfswerk gibt es wirklich, und es vermittelt seit 1937 Patenschaften als Hilfe zur Selbsthilfe. Mehr Informationen unter www.plan-deutschland.de


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