
Erwartungshaltung und Messlatte liegen hoch beim „Get Out“-Nachfolger. Hatte doch Jordan Peele mit seinem Kino-Erstling sowohl Publikum als auch Kritiker begeistert und für seine schwarzhumorige Gesellschaftsparabel sogar den Drehbuch-Oscar sowie eine Nominierung als bester Film abgestaubt. Sehr ungewöhnlich für einen Horror-Film, wobei sich „Get Out“ ja nur phasenweise wirklich in diesem Genre bewegte. „Wir“ kommt dagegen nun tatsächlich als echter, reinrassiger Horror-Streifen daher und schafft es dabei auch in dem eigentlich abgegrasten Subgenre „Home Invasion“-Movie neue, aufregende Akzente zu setzen. Die zweite, gesellschaftspolitische Ebene ist dennoch auch hier wieder vorhanden und so liefert Peele erneut ein vielschichtiges, höchst interessantes Werk ab.
Obwohl sie dort als kleines Mädchen einst ein unheimliches Erlebnis hatte, kehrt Adelaide (Lupita Nyong'o aus „Black Panther“ und „12 Years a Slave“) Jahre später mit ihrer Familie in den Urlaubsort Santa Cruz zurück. Das beklemmende Gefühl ist sofort wieder da, was ihr Mann Gabe (Winston Duke) allerdings überhaupt nicht nachvollziehen kann. Das ändert sich aber schon in der ersten Nacht, als vor dem Ferienhaus plötzlich vier unheimlich wirkende, zunächst schweigende Gestalten auftauchen. Die entpuppen sich bei näherer Betrachtung als optisch identisch aussehende Doppelgänger von Adelaides Familie, die allerdings keine besonders freundlichen Absichten haben. Schnell wird klar, dass den Vieren ein Kampf auf Leben und Tod bevorsteht und das sie auch nicht als Einzige von so einer Attacke betroffen sind.
Dass die Protagonisten in „Wir“ sich quasi selbst gegenüberstehen wird natürlich schon durch den Titel und Trailer zum Film deutlich, viel mehr allerdings (erfreulicherweise) diesmal nicht, und daher soll auf die weitere inhaltliche Entwicklung hier auch nicht allzu konkret eingegangen werden. Der Auftritt der merkwürdigen Doppelgänger erfolgt allerdings schon recht früh, was bedeutet, dass die Story schon noch Einiges mehr bietet, auch wenn es dann zunächst einmal zur direkten Auseinandersetzung zwischen den jeweiligen Gegenparts kommt. Die Frage, wie man sich am besten selbst austrickst ist ja aber auch nicht ohne Reiz und wird mit einigen originellen Einfällen beantwortet. In diesen Momenten ist „Wir“ dann auch am ehesten klassischer Horror-Film, wenn die Figuren kämpfen, weglaufen und nach Fluchtwegen suchen. Wobei die Rollenverteilung dabei im Verlauf mehrfach wechselt und es trotz der bedrohlichen Situation erneut nicht an trockenem Humor und Sprüchen mangelt. Auch „Wir“ kommt zumindest phasenweise wieder als Komödie daher, wenn auch nicht so prägnant wie bei „Get Out“.
Dafür - wie schon erwähnt - mehr Horror, denn die Darstellung der, sagen wir mal leicht unperfekten Doppelgänger ist schon furchteinflößend. Wobei die stärkste Leistung eindeutig von Lupita Nyong'o erbracht werden muss, denn deren Negativ-Version sticht (aus Gründen) heraus und artikuliert sich als Einzige halbwegs verständlich, allerdings mit einer Art zu sprechen, die tatsächlich schaudern lässt (es kann hier nicht beurteilt werden, wie gut da die Übertragung in die deutsche Synchronfassung funktioniert). „Amerikaner“ antwortet diese dann auf die Frage, wer die wütenden Duplikate denn seien und spätestens hier ahnt man, dass Jordan Peele sich wieder eine recht böse Gesellschaftsparabel ausgedacht hat. Peele ist anscheinend nicht der Mann, der sein Publikum gerne im Vagen und mit vielen offenen Fragen zurück lässt, daher gibt es auch hier schließlich eine Art rationale Erklärung für das eigentlich Unerklärbare, die auch schon mit den Schrifttafeln zu Beginn des Films angedeutet wird.
Eine Auflösung, die mit Sicherheit nicht jeden überzeugen und auch nicht jedem gefallen wird, und nach der Pressevorführung gab es diverse Stimmen zu vernehmen, dass es doch besser gewesen wäre auf diese lieber zu verzichten. Aber wenn wir ehrlich sind, war auch die Körper- und Kräftetransformation in „Get Out“ für sich betrachtet komplett abstruser Nonsens. Wer sich daran nicht gestört hat, sollte sich daher nun eigentlich auch nicht über die Auflösung der Geschehnisse in „Wir“ beklagen. Weit hergeholt ja, aber doch sehr wirkungsvoll. Peele hat damit praktisch sein eigenes kleines Mini-Genre geschaffen, nämlich dass des doppelbödigen, sozialkritischen Horrorfilms mit schwarzen Protagonisten. Ob er auch noch etwas gänzlich Anderes drauf oder überhaupt Interesse daran hat, muss sich zwar erst noch zeigen. Fürs Erste wird aber auch sein neuer Film von uns mit dem Prädikat „lohnt sich“ versehen.
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